Ponant läutet neue Eisbrecher-Ära ein

Die neue Le Commandant Charcot von Ponant ist «one of a kind». TRAVEL INSIDE hat den revolutionären Neubau in Le Havre besucht.
Die Le Commandant Charcot im Hafen von Le Havre. ©BE

Der erste Eindruck im Hafen von Le Havre: Der bullige Bug verrät, dass hier etwas anders ist als sonst. Er muss schwimmendes Eis bis zu 2,5 Meter Dicke brechen können. Und die etwas spezielle Heck-Form des Rumpfs erlaubt es dem Schiff, auch rückwärts zu fahren. Der Aufbau über dem Rumpf wiederum ähnelt mit einem überdachenden bogenförmigen Konstrukt den sechs Explorer-Schiffen, die die Reederei in den letzten Jahren Schlag auf Schlag übernommen hat.

Mit einer Länge von 150 Metern ist die Le Commandant Charcot nur rund 20 Meter länger als die Explorer-Klasse, mit einer Breite von 28 Meter aber 10 Meter breiter, was typisch ist für Eisbrecher. Und während die Explorers mit knapp 10’000 BRZ vermessen sind, kommt die Le Commandant Charcot auf 31’280 BRZ – das äussert sich auch am etwas wuchtigeren Gesamtbild.

Ein aussergewöhnliches Schiff

Mit dem Bau eines aussergewöhnlichen Schiffes wollte die französische, vor allem in der Luxusgüter-Industrie engagierte Artemis-Holding von François-Henri Pinault 2015 die Übernahme der Reederei Ponant feiern. Zur Diskussion stand etwa ein klassisch-nostalgischer Transatlantikliner oder ein ausschliesslich windgetriebener Grosssegler. Letztlich fiel der Entscheid auf den Bau eines waschechten Eisbrechers im Stil des hohen Premium-Standards von Ponant.

Das Resultat, die neue Le Commandant Charcot, wurde nach sechs Jahren Entwicklung und Bau auf den Vard-Werften in Rumänien (Kasko) und Norwegen (Innenausbau) letzte Woche in Le Havre getauft und Vertriebspartnern, Medien und Top-Stammkunden vorgestellt. Aus Le Havre stach einst der französische Entdecker Jean-Baptiste Charcot in See, der Namensgeber des Neubaus.

«Der Wagemut dieses Projekts besteht nicht nur darin, Gäste an die Grenzen der Arktis und Antarktis zu bringen, sondern dies in völliger Sicherheit und mit Respekt vor den Werten der Seefahrt und vor allem der Natur zu tun», sagte Hervé Gastinel. CEO von Ponant. Er unterstrich ebenso die Komplexität des Neubaus, die auch eine Reihe von Innovationen und neue Entwicklungen erforderten.

Polarklasse PC2 und Antrieb

Nun waren ja schon bisher gewisse touristische Fahrten auf Eisbrechern möglich, allerdings auf älteren und nicht zu diesem Zwecke erbauten Schiffen. Beispiele sind etwa der russische Atomeisbrecher 50 Years of Victory, die Kapitan Dranitsyn oder die Sampo. Mit der Le Commandant Charcot wurde nun erstmals ein neuer Eisbrecher erbaut, der gleichzeitig eine moderne Cruise-Infrastruktur bietet und mit neuster Umwelt- und Antriebs-Technologie ausgestattet ist.

Baulich im Vordergrund steht natürlich der massiv verstärkte Rumpf mit einer viel dickeren Stahlhülle (ca. sechs Zentimeter), doppelter und dreifacher Beplankung, mehr Verschweissungen etc.. Dank einer abgerundeten und unten abgeflachten Form des Bugs kann sich das Schiff auf das Eis schieben und es mit seinem Gewicht zerdrücken – der übliche Bugwulst fehlt. Der Tiefgang beträgt 10 Meter.

Die Le Commandant Charcot ist mit der Polarklasse PC2 klassifiziert, ein aussergewöhnlich hoher Wert. Alle üblichen Expeditionsschiffe liegen auf der PC-Skala von 1 (max.) bis 7 (min.) bei PC5 oder PC6. PC2 heisst, dass das Schiff ganzjährig in mittlerem mehrjährigem Eis verkehren kann. «Das entspricht einer schwimmenden Eisdecke von bis zu 2,5 Meter», präzisierte Mathieu Petiteau, der die Neubauten bei Ponant entwickelt.

Erforderlich ist auch ein sehr leistungsfähiger Antrieb, der bei der Le Commandant Charcot über zwei ABB-Azipods (Propellergondeln) erfolgt, die um 360 Grad drehbar sind – deshalb kann das Schiff auch rückwärts fahren. Gespiesen werden diese durch sechs Dual-Fuel-Motoren von Wärtsila, die sowohl mit Flüssigerdgas (LNG) wie Diesel (Marine Gasoil) betrieben werden können.

Die LNG-Infrastruktur ist für die Arktis organisierbar, allerdings noch nicht für die Antarktis, woran Ponant nun arbeitet. Aber auch der Einbau von sehr grossen und speziell gekühlten LNG-Tanks war für ein Schiff dieser Grössenordnung eine Herausforderung. Die maximale Geschwindigkeit beträgt übrigens 15 Knoten.

Der Hybridantrieb mit LNG und Gasoil, die derzeit als fortschrittlichste und am geringsten umweltschädlichen Treibstoffe gelten, wird zudem ergänzt durch Batteriespeicher, die das Schiff bis zwei Stunden elektrisch, vollständig emissionsfrei und lautlos bewegen können. Das Gewicht dieser gewaltigen Batterien beträgt rund 40 Tonnen.

Rettung und Umwelt

Eine andere Herausforderung stellte sich auch in Bezug auf das Rettungsmaterial: «Steckt das Schiff im Eis fest, kann man es nicht einfach mit Rettungsbooten evakuieren», erklärte Kapitän Marchesseau. Deshalb wurden neuartige Rettungsinseln, sogenannte «Ice Cubes» entwickelt, die das Überleben von rund 460 Menschen in einer bis minus 25 Grad kalten Eiswüste für mindestens fünf Tage garantieren. Für Notzwecke, nicht aber für touristische Ausflüge, führt die Commandant Charcot auch einen Helikopter mit.

Es versteht sich von selbst, dass auf dem Neubau auch die neuste Technologie und modernsten Systeme für die Abfall- und Abwasser-Aufbereitung vorhanden ist. Von Bord geht nichts ausser vollständig gereinigtes Wasser. Erwähnenswert ist schliesslich, dass die Le Commandant Charcot Infrastrukturen und Plattformen für Wissenschafter an Bord zur Verfügung stellt.

Komplette Cruise-Infrastruktur

Zum Innenleben des Schiffes: Der neue Eisbrecher bietet über sechs Passagierdecks eine Infrastruktur, die dem hohen Premium-Standard von Ponant entspricht: Zuunterst auf Deck 3 befinden sich die Vorbereitungsräume für die Zodiac-Ausflüge und ein Vortragssaal, auf Deck 4 das medizinische Zentrum. Das Gourmet-Restaurant Numa (eine Sitzung), die Main Lounge mit kleinem Cigar-Raum, das Theater, eine Boutique, der Fotoservice, die Rezeption und der Expeditionsschalter sind auf Deck 5 angeordnet.

Zuoberst auf Deck 9 voraus liegt die Panorama-Lounge und -Bar, die Fitness-, Wellness- und Spa-Infrastruktur (u.a. mit einem Snow-Room und Innenpool) sowie das Buffet-Restaurant Sila. Und hinten an frischer Luft gibt es eine Aussenbar mit einem (künstlichen) Feuerplatz und einem sich an der Heckwand entlang ziehenden Outdoor-Pool.

Die 123 Kabinen und Suiten liegen auf Deck 6, 7 und 8, alle aussen, mit Balkon und kompletter Ausstattung, die man auf einem Premium-Schiff erwarten darf. Die Prestige Kabinen sind mit 20 Quadratmetern vermessen (plus Balkon), die verschiedenen Suiten zwischen 28 und 48 Quadratmetern. Neu auf einem Ponant-Schiff gibt es vier 98 Quadratmeter grosse Duplex-Suiten mit Jacuzzi auf der Terrasse. Und die Owner Suite kommt auf 115 Quadratmeter plus eine 186 Quadratmeter (!) grosse Jacuzzi-Terrasse voraus.

Das Innendesign wird durch eine moderne, elegante Schlichtheit und einen klaren, fast nüchteren Stil geprägt: Helle Holzfarben und lichte Grautöne, dezent von dunkleren und nur selten andersfarbigen Elementen durchbrochen, dominieren. Passend dazu bilden stilvolle Designer-Möbel und eine beeindruckende Sammlung von prächtigen Kunstgegenständen stimmige Kontrapunkte. Beinahe extravagant wirkt eine grossformatige Video-Installation im Liftschacht.

Neue Routen und Entdeckungen

Es versteht sich von selbst, dass Ponant mit der Le Commandant Charcot nun aussergewöhnliche Destinations-Entdeckungen und bisher unzugängliche Routen in polaren Regionen plant, die mit klassischen Expeditionsschiffen nicht angesteuert werden können. Dies mit dem gebotenen Respekt und der Demut, die Ponant grundsätzlich prägt, wie CEO Gastinel unterstreicht.

Solche Ziele sind natürlich der geografische Nordpol, wohin bereits die Testreise diesen Sommer führte, die Nationalparks von Nordostgrönland oder in der Antarktis die Bellinghausen-See, die Insel Charcot, das Weddellmeer oder das Larsen Schelfeis.

Richtig los mit zahlenden Gästen geht es nun am 1. November 2021 ab Punta Arenas mit Fahrten in die Antarktis. Im nächsten Sommer legt das Schiff einige Fahrten ab Spitzbergen zum Nordpol auf, daneben Expeditionen ab Island nach entlegenen und selten besuchten Küstenabschnitten von Grönland und Spitzbergen.

Und im Winter 22/23 sind aussergewöhnliche 28- bis 30-tägige Halb-Umrundungen der Antarktis zwischen der Südspitze Südamerikas (Ushuaia) und Neuseeland (Dunedin) geplant.

(Beat Eichenberger)