«Reisen als Teil des Heilungsprozesses eröffnet sich als neues Segment der Reisebranche»

Ann Amann, Autorin und ehemalige Inhaberin von Ann Amann Travel Consulting, hat durch einen schweren Schicksalsschlag eine neue Art des Reisens entdeckt.
Ann Amann mit ihrem Mann, der 2022 an den Folgen eines Schlaganfalls verstorben ist. ©Ann Amann

Ann Amann hat Tourismusmanagement studiert und war Inhaberin von Ann Amann Travel Consulting, spezialisiert auf Special Interest Travel. 2017 traf sie ein schwerer Schicksalsschlag: Ihr Mann erlitt einen Schlaganfall.

Dieses Schicksal führte sie nach Thailand, wo sie mit ihrem pflegebedürftigen Mann bis zu seinem Tod lebte. Bis heute lebt sie zwischen Zürich und Chiang Mai im Norden Thailands und hat ihre Erfahrungen in ihrem autobiografischen Buch «Schlagartig alles anders / Brains, Hearts and Wandering Souls» verarbeitet.

Ihre Geschichte beleuchtet den wachsenden Gesundheits- und Pflegetourismus aus einer persönlichen Geschichte. Ann Amann erklärt, inwiefern dieses Reisesegment auch für die Schweizer Reisebranche relevant werden könnte.


Ann Amann, Autorin & ehemalige Inhaberin Ann Amann Travel Consulting 

«Als mein Mann, ein Neurowissenschaftler, 2017 in Zürich einen schweren Schlaganfall erlitt, änderte sich unser Leben von einem Moment auf den anderen. Nach Wochen in Schweizer Kliniken – geprägt von Präzision und Effizienz – wurde deutlich, dass es in Europa kaum Pflegeeinrichtungen gibt, die Menschen mit klarem Geist, aber hohem körperlichem Unterstützungsbedarf, wirklich gerecht werden.

Mein Mann blieb bis zuletzt geistig hellwach, interessiert und voller Humor – doch körperlich auf 24-Stunden-Pflege angewiesen. In Thailand, wohin wir schliesslich zogen, erlebten wir eine Form von Betreuung, die Herz, Würde und Menschlichkeit ins Zentrum stellte. Pflege bedeutete dort Nähe, Geduld und Achtsamkeit – Werte, die weit über medizinische Kompetenz hinausreichen.

Mein Mann hat 2022 seinen Körper verlassen. Doch bis zuletzt führte er, seinen Umständen entsprechend, ein gutes und erfülltes Leben – getragen von Fürsorge, Lächeln und einem respektvollen Miteinander. Diese Erfahrung hat mein Verständnis von Reisen, Pflege und Heilung grundlegend verändert.

Ich selbst habe Tourismusmanagement studiert und war Gründerin von Ann Amann Travel Consulting, spezialisiert auf Special Interest Travel. Nach dem Schlaganfall meines Mannes und den Auswirkungen der Pandemie legte ich die Firma still – doch meine Leidenschaft für Reisen als menschliche und heilende Erfahrung ist geblieben.

Pflege ist Kultur

Pflege ist mehr als ein System – sie ist Ausdruck einer Kultur. In Asien begegnete ich einem Verständnis von Betreuung, das den Menschen sieht, nicht nur den Patienten. Diese Haltung, tief verwurzelt im buddhistischen Mitgefühl, schafft Räume, in denen Heilung möglich wird – auch wenn keine Genesung im klassischen Sinn mehr erwartet wird.

In Europa dagegen steht oft Effizienz im Vordergrund. Pflegekräfte sind überlastet, Strukturen eng, menschliche Wärme schwer planbar. Doch gerade hier wächst das Bedürfnis nach würdevollen, interkulturellen Pflegeformen, die Lebensqualität und Mitmenschlichkeit verbinden.

Gesundheitstourismus im Wandel

Weltweit nimmt der sogenannte Health & Recovery Tourism zu: Menschen reisen nicht nur zur Behandlung, sondern zur Regeneration – körperlich, emotional und seelisch. Thailand, Indonesien oder Südindien bieten inzwischen integrative Gesundheitszentren an, die moderne Medizin mit spiritueller Praxis, Ernährung und Bewegung verbinden.

Auch in der Schweiz, Österreich oder Deutschland entstehen erste Initiativen, die Pflege und Gastfreundschaft neu denken – mit Fokus auf Erholung, Nachsorge und Lebensqualität. Für die Reisebranche eröffnet sich hier ein neues, sensibles Segment: Reisen als Teil des Heilungsprozesses.

Heilung durch Perspektive

In Chiang Mai begann mein Mann wieder zu lachen – und ich begann, wieder zu schreiben. Aus dieser Zeit entstand mein Buch Schlagartig alles anders (englisch: Brains, Hearts and Wandering Souls) – eine Geschichte über Liebe, Verlust und den Mut, aus Schmerz Sinn zu schaffen.

Vielleicht liegt genau darin die Zukunft des Reisens: weniger Konsum, mehr Bewusstsein. Weniger Flucht, mehr Hinwendung. Wenn Reisen zur Begegnung wird – mit Orten, Menschen und dem eigenen Leben – dann kann es wirklich heilen.»