Experten zu Reisen in Corona-Zeit: «Vom Gruppentourismus hin zu Einzelreisen»

Fachleute prognostizieren die Entwicklungen im künftigen Reiseverhalten. TRAVEL INSIDE fasst die wichtigsten Aussagen aus dem Artikel in der «NZZ» zusammen.
©iStock.com / wildpixel

Thomas Bieger, Professor für Betriebs- und Tourismuswirtschaft an der Hochschule St. Gallen (HSG), sieht eine Entspannung für die weltweite Reiseindustrie ab dem Moment, in dem international ein akzeptables Niveau der Pandemie erreicht ist, und man das Virus durch verschiedene Massnahmen «im Griff» habe.

Denkbar seien dabei zum Beispiel sogenannte Tourismuskorridore, die Reisen zwischen Ländern erlauben, welche einen gleichen Level an Infektionen haben. Hongkong habe bereits einen solchen Korridor geplant, ebenso Australien/Neuseeland.

Wann dieser Punkt erreicht sein werde, sei schwierig abzuschätzen. So gehe die Konjunkturforschungsstelle (KOF) davon aus, dass die Nachfrage aus Fernmärkten ab Herbst 2021 wieder merklich steigen wird. Die IATA, der Dachverband der Fluggesellschaften, prognostiziert, dass das Reisen erst 2024 ein ähnliches Niveau erreicht wie vor der Pandemie.

«Wir werden uns wegbewegen vom Gruppentourismus, hin zu Einzelreisen. Wir dürften uns in Zukunft stärker auf die Natur ausrichten und weniger auf Städte», prophezeit Bieger. Auch das Buchungsverhalten der Kunden habe sich nachhaltig geändert. «Durch die Corona-Krise haben sich die Kunden an sehr viel kurzfristigeres Buchen gewöhnt. Auch haben viele Anbieter aufgrund der schwierigen Situation die Stornierungsgebühren gestrichen; es wird kaum mehr möglich sein, diese wieder einzuführen.»

Knotenpunkte mit hoher Konzentration von Touristenströmen würden sich wohl auch in Zukunft nicht vermeiden lassen. Das Bewusstsein der Reisenden werde sich aber sehr wohl verändern in Richtung Ziele oder Attraktionen, wo man den Massen besser ausweichen könne. Darin sieht Thomas Bieger auch eine Chance für Destinationen, die bislang eher ein Schattendasein fristeten: «Tourismus ist generell eine der krisenerprobtesten Branchen, was einem einen gewissen Optimismus für die Entwicklung nach der Corona-Krise geben kann. Die Menschen kehren rasch zu einem Konsummodus zurück. Es wird wohl auch weiterhin Günstig- oder Billigangebote geben. Zu hoffen ist aber, dass sich wie bei anderen Konsumgütern auch hier schnell wieder ein Qualitätsverständnis zum hochwertigen Produkt entwickeln wird.»

Vielleicht wird nach Corona bewusster gereist

André Lüthi, Mitbesitzer und CEO der Globetrotter Group und SRV-Vorstandsmitglied, kann sich vorstellen, dass nach Corona bewusster gereist wird. Generell meint er damit, dass eher weniger, dafür qualitativ hochwertigere Reisen gebucht würden. «Statt für 40 Euro nach Barcelona oder Rom zu fliegen, sagt man sich: Ich mache noch eine, allenfalls zwei längere Reisen pro Jahr, bereite mich vor, lasse mich auf ein Land und seine Kultur ein und komme mit einer anderen Sicht nach Hause.»

Für die Reiseanbieter, die sich auf Nischen fokussieren, sieht Lüthi gute Chancen, die Krise zu überleben. Besonders Flexibiltät werde in Zukunft gefragt sein, um sich schneller an neue Begebenheiten anpassen zu können. Jedes Reiseunternehmen komme kleiner aus dieser Krise heraus. Gerade diese Flexibilität sei sehr heikel und werde je nach Anbieter wohl unterschiedlich gehandelt werden: «Wenn die Reiseanbieter aber generell auf Annullationsgebühren verzichten, müssen sie bald Konkurs anmelden. Wenn mir jemand über drei Monate hinweg ein Hotelzimmer frei hält und es dann etwas kostet, wenn ich kurzfristig annulliere, finde ich das nur fair.»

Hunderttausende von Menschen auf der ganzen Welt sind vom Tourismus abhängig, sie alle kämpfen jetzt ums Überleben. Es werde ganz sicher zu Konkursen kommen: bei Lodges, Mietwagenfirmen, Fluggesellschaften, Hotels. Diejenigen, die durchhalten, werden die Preise erhöhen müssen.

Dabei kann sich Lüthi aber vorstellen, dass in einer ersten Phase die Preise fallen, damit die Anfrage angekurbelt wird. Mittel- und längerfristig wird Reisen aber wohl teurer werden. «Es gibt nach wie vor viele Kunden, die sich ihre Reise von A bis Z professionell organisieren lassen wollen und die bereit sind, dafür zu bezahlen. Gerade in einer Krisensituation ist es für sie wichtig, wenn sie auf die Unterstützung eines Reisebüros zählen können und wissen, dass sie im Ausland nicht alleine gelassen werden.»

«Wenn der Planet nicht mehr von Angst vor dem Virus gesteuert ist, sondern von Respekt, und es unter den Ländern ein koordiniertes Vorgehen gibt, wenn sie ihre Grenzen wieder öffnen, hoffe ich, dass wir ab Sommer 2021 langsam, langsam wieder zurück in eine Normalität finden werden», so Lüthi.

Thomas Frick, Chief Operating Officer der Swiss, konstatiert, dass die Fluggesellschaften beim Thema Rückerstattungen viel Goodwill verspielt haben und dass die Airlines über technische Lösungen nachdenken müssen, damit sie im nächsten Fall besser vorbereitet seien. «Bei der Swiss gehen wir davon aus, dass die Erholung von dieser Krise bis 2024/25 dauern wird. Ich würde schätzen, dass das alte Niveau in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts erreicht sein wird. Künftige Massnahmen dürfen auf das Gesamterlebnis des Fliegens keine massiv negativen Auswirkungen haben. Für die unmittelbare Zukunft denke ich aber, dass uns die Masken und die Schutzkonzepte weiterhin begleiten werden.»

Ein Gesundheitscheck beim Einsteigen sei wenig sinnvoll, da eine Person bekanntlich ansteckend sein könne, ohne Symptome zu zeigen. «Ich halte einen obligatorischen Impfpass oder einen Testnachweis für wahrscheinlicher, die allerdings nicht von den Airlines, sondern von den Ländern vorgegeben würden.» Die Swiss setze sich ausserdem stark für die Möglichkeit von Testzentren am Flughafen ein. (CF)