Südamerika: «Erwarte ein Nullerjahr»

Interview mit Vreni Müller: Sie hat Dorado Latin Tours erfolgreich geführt und 2007 an Kuoni verkauft. Jetzt betreibt sie mit Otromundo eine spezialisierten Südamerika-TO.
Vreni Müller vor Machu Picchu in Peru.

Vreni Müller ist ein Urgestein im Tourismusgeschäft: Mit etwas über 30 Jahren als Reiseleiterin in den Tourismus eingestiegen. 9 Jahre für Kuoni tätig. Vor 30 Jahren kleines Reisebüro übernommen. Als Unternehmerin Dorado Latin Tours zum Erfolg geführt. 2007 an Kuoni verkauft. Jetzt mit Otromundo und individuellen Südamerika Reisen für das gehobene Segment als Einzelmaske erfolgreich.


Vreni Müller, wie läuft Ihr Geschäft zurzeit?

Ich habe praktisch für das ganze Jahr alles annulliert. Noch wenige Reservationen für den Herbst sind offen, aber auch hier sind wir mit den Kunden bereits im Gespräch, die Reisen auf nächstes Jahr zu verschieben. Ich rechne mit einem Nullerjahr, ausgenommen Reisen im Januar und Februar, die noch durchgeführt wurden. Neue Anfragen für meine Destinationen erwarte ich nicht vor nächstem Jahr.

Haben Sie alle Kundengelder schon zurückgezahlt? Haben Sie schon Gelder von Airlines oder Hotels etc. zurückerhalten? Wie verkraften Sie die Verluste?

Für Reisen, die mit Abflug dieses Jahr annulliert/verschoben wurden und Otromundo Anzahlungen erhalten hat, habe ich diese an die Kunden rückvergütet. Die meisten Kunden, welche die diesjährige Reise annullierten, haben auf nächstes Jahr verschoben – einige bereits mit den neuen fixen Daten. Ein Risiko bleibt, ob die Partner in Südamerika die Krise überleben werden. Für annullierte Reisen, die bereits bezahlt waren, habe ich von allen Gutschriften zu 100% erhalten, aber kein ‘Cash’. Bei den meisten habe ich ein gutes Gefühl. Ich arbeite mit ihnen seit vielen Jahren zusammen, so dass ein gegenseitiges grosses Vertrauen vorhanden ist.

Die Verluste sind da. Ab März bis Ende Jahre habe ich aus dem Reisegeschäft kein Einkommen mehr. Trotzdem bin ich in einer privilegierten Lage. Als Einfrau-Unternehmen arbeite ich von zuhause aus. Meine Fixkosten sind gering. Versicherungen, Mitgliedschaften etc. waren bereits Anfang Jahr bezahlt, Auslagen für Personal oder Miete habe ich keine. Und nebst Otromundo, das für mich Leidenschaft und Hobby ist, habe ich ein regelmässiges Einkommen von Pensionskasse und AHV.

In dieser privilegierten Situation: Was empfinden Sie, wenn Sie sehen, was zurzeit in der Reisebranche passiert?

Ich kann nachempfinden wie schwierig die Situation für viele sein muss, da ich ja als ehemalige Besitzerin von Dorado Latin Tours ebenfalls mal mit 6 Mitarbeiter/innen unterwegs war. Da gab es Zeiten, wo eine Krise in dem Ausmass, wie wir sie heute erleben, eine grosse Gefährdung gewesen wäre. Sie zeigt uns auf, wie enorm wichtig es ist, in guten Zeiten Reserven zu bilden. Tourismus ist eine Hochrisikobranche. Das muss sich jeder bewusst sein, sonst wird es äusserst schwierig, Krisen zu bewältigen. Schon kleinere Krisen, nicht zu sprechen von der heutigen.

Was kann ein Inhaber eines Reisebüros heute tun, um für die Zeit nach der Corona Krise gerüstet zu sein?

Wichtigste Voraussetzung, um in unserer Branche zu bestehen, ist zweifellos sehr gute Qualität – dazu gehören Top Beratung, Top Auftritt, überdurchschnittlicher Einsatz, um nur ein paar Eigenschaften zu nennen. Jetzt, wo Reisebüros sich eigentlich nur mit Annullationen herumschlagen, finde ich es wichtig, dass man mit Stammkunden auch mal das Gespräch sucht, um nach deren Gesundheit zu fragen. Aber auch um herauszuspüren, wie sie gegenüber dem Reisen für die Zukunft eingestellt sind. Das kann dem Reisebüro-Besitzer wichtiges Feedback geben, um Kundengedanken in seine Geschäftsideen einzubeziehen. Der Kunde muss die Gewissheit haben, dass du für ihn nicht nur da bist, wenn er bei dir eine Buchung platziert. So fühlt sich der Kunde ernst genommen und Gesten, die nicht nur in Zusammenhang mit einer Buchung stehen werden sehr geschätzt. Das weiss ich aus eigener Erfahrung.

Wichtig ist auch Transparenz den Mitarbeiter/innen gegenüber. Ein reger Austausch zur Situation ist sehr wichtig. Man muss Mitarbeiterinnen einbeziehen, Sie motivieren, über neue Ideen nachzudenken, sich auch nicht zurückhalten, wenn es scheint, dass es «verrückte» Ideen sind. Ein «Brainstorming» ist dazu sicherlich ein guter Weg.

Sie haben als Unternehmerin Ihre Geschäfte zum Erfolg geführt. Was bedeutet für Sie Unternehmertum?

Ein eigenes Geschäft zu besitzen, unabhängig zu sein, mag für viele erstrebenswert sein. Damit ist man aber noch kein Unternehmer. Abhängig ist man weiterhin, nämlich von den Einnahmen. Wenn man den Kunden und seine Bedürfnisse nicht ins Zentrum stellt, dann fehlen auch die Einnahmen. Und wenn man von den Einnahmen keine vernünftigen Reserven bilden kann stimmt auch das Geschäftsmodell nicht. Man muss sich auch klar auf ein Kundensegment ausrichten und diesem auch treu bleiben. Wenn man sein angestammtes Segment verlässt, um vermeintlich mehr Margen zu erzielen, kommt es selten gut. Ich habe diesbezüglich auch durch Erfahrungen gelernt. Die Kunden müssen spüren, dass du mit Herzblut bei der Sache bist. Das heisst auch nicht selten, 12, 13 Stunden pro Tag im Geschäft zu sein.

Wie weit spielt auch Glück (oder Pech) eine Rolle?

Ja, Glück aber auch Pech können eine wesentliche Rolle spielen. Pech ist beispielsweise, wenn man erst vor kurzem ein Reisebüro übernommen oder neu gegründet hat. Da werden selten genügend Reserven vorhanden sein. Wir alle reagieren unterschiedlich, einer wird zum Kämpfer und sehr kreativ, ein anderer wird von den Sorgen dermassen geplagt, dass sich das auf seine Leistung, aber auch auf die Motivation seiner Mitarbeiter sehr negativ auswirkt. Glücksphasen sollte man jedoch dazu nutzen, weitere Schritte zu überdenken, nicht einfach auf dem Glück ausruhen. Dann ist sicherlich auch die Zeit, Reserven zu bilden, denn Glücksphasen zeigen sich ja schlussendlich auch in der Jahresbilanz.

Wenn man davon ausgeht, dass ein Impfstoff frühestens in einem Jahr auf dem Markt sein wird, ist man auch mit gutem Unternehmertum einmal am Anschlag.

Für ein durchschnittliches Reisebüro ist das schon schwierig. Wenn ich sehe, wie viele sich enorm Mühe gegeben haben, ihre Kunden heimzuholen, dann werden diese auch nach der Coronazeit wieder bei ihnen buchen. Ein überdurchschnittlicher Top Service hilft auch über Krisen hinweg. Und man hat jetzt auch Zeit, innovativ über neue und möglicherweise alternative Reiseziele nachzudenken. Das Reisebüro MUSS UNBEDINGT für den Kunden ein Mehrwert sein, sonst springt er ab. Ausgezeichnete Destinationskenntnisse sind unerlässlich. Für ein Reisebüro, das die ganze Welt verkauft, ist das sicher schwieriger als für einen kleineren Tour Operator, der sich nur auf gewisse Ziele konzentriert.

(Interview: Kurt Schaad)