Swiss-CCO Goudarzi Pour: «Später werden wir auch die Ancillaries dynamisieren»

Der Swiss-Kommerzchef Tamur Goudarzi Pour will nicht Nachfolger von Swiss-CEO Thomas Klühr werden. Und er erklärt im TRAVEL INSIDE Interview, warum jetzt gerade mit einem neuen Preismodell gestartet wird.
Tamur Goudarzi Pour, CCO. ©Swiss

Herr Goudarzi Pour, Sie haben TRAVEL INSIDE, das Fachmedium der Reisebranche, zum Interview gebeten. Was wollen Sie der Reisebranche mitteilen?

Wir haben am Montag 5.10. mit der Einführung des Continuous Pricing einen Meilenstein angekündigt. Endlich, wenn auch etwas später als ursprünglich geplant, können unsere Kunden davon profitieren.

Warum führen Sie gerade jetzt, in dieser ohnehin schwierigen Zeit, dieses neue Pricing-Modell ein?

Das war schon länger geplant. Es bringt Vorteile für alle. Das ist der Grund, weshalb wir glauben, dass es auch jetzt passt. Der Kunde bekommt in jedem Fall das günstigste Angebot. Statt einem Preissprung auf die nächsthöhere Preiskategorie, erhält er mit Continuous Pricing einen Preis dazwischen angeboten, der günstiger ist als der nächste Preissprung. Insofern profitiert unser Kunde als erster.

Das ist schön für den Kunden. Aber was hat der Trade davon?

Es profitieren alle. Durch diese Art von Pricing discounten wir. Wir erhoffen uns durch ein besseres Erkennen des Preisverhaltens des Kunden entsprechende Volumina. Durch höhere Volumina profitiert natürlich auch das Reisebüro.

Lässt sich damit mehr Geld verdienen?

Wir hoffen natürlich, dass wir mehr Geld verdienen, wenn wir mehr Kunden erreichen.

Dies aber nur wer einen NDC-Zugang hat, auf GDS läuft das neue Preismodell ja nicht.

Die Reisebüros sind zunehmend mit NDC ausgestattet. Wir stehen dazu ja seit Jahren im Dialog. Für jene Reisebüros, die noch nicht umgestellt haben, bieten wir weiterhin Hand an, dass wir uns gemeinsam an einen Tisch setzen und überlegen, wie wir auch ihnen helfen können. Wir haben trotz Krise einen Technologie-Funds vorgesehen, um Reisebüros in der Umsetzung zu unterstützen, wenn sie sich dazu entscheiden, auf die neue Technologie zu setzen. Wir glauben, dass diese neue Technologie, die in den GDS gar nicht darstellbar ist, ein weiterer grosser Schritt ist, die Distribution nach vorne zu bringen.

Was kostet die Umstellung für jene, die noch keine NDC-Anbindung haben, und was müssen sie neu lernen?

Das ist natürlich keine kurzfristige Angelegenheit. Es braucht die Anbindung an die Lufthansa-API. Das kann in unterschiedlicher Form passieren. Es gibt eine Vielzahl von Partnern, die Aggregatoren, die es im Markt bereits gibt, die API ermöglichen. Wir haben über 70 Partner.. Mit wem man schlussendlich zusammen arbeitet, ist dem Reisebüro natürlich freigestellt. Wir unterstützen in der Beratung. Die Reisebüros unterscheiden sich in der Anbindung, die sie benötigen, weshalb die Kosten  je nach Wahl unterschiedlich sind. Das würden wir gerne im Gespräch mit den Reisebüros, die sich dafür interessieren, nochmal vertiefen.

Gibt es konkret finanzielle Unterstützung für Reisebüros, die sich umstellen müssen?

Ja, das gibt es. Die Höhe der Unterstützung wird von Fall zu Fall geprüft. Wir stellen gemeinsam als Lufthansa Group einen Gesamtbetrag dafür bereit. Dieses Angebot ist ja nicht neu, es liegt seit längerem vor. Ich glaube, Themen wie Continuous Pricing sind von ihrer digitalen Natur her zunehmend gar nicht mehr anders darstellbar. Dieser digitale Wandel, den wir seit Jahren sehen und der sich in der Corona-Krise nochmals deutlich verschärft hat, gilt es gemeinsam zu managen.

Wieviel Geld liegt den bereit für diese Unterstützung, ein paar Hunderttausend oder ein paar Millionen?

Wir haben einen ausreichend grossen Betrag als Lufthansa Group, um die Reisebüros beim Wandel zu unterstützen.

Wie schaut es bei den NDC-Anbindungen bisher aus, wie hat sich deren Anteil am Buchungsvolumen in den letzten zwei Jahren entwickelt?

Die Zahl hat sich deutlich erhöht. Wir haben weltweit über 3000 Partner angebunden, von kleinsten Büros bis zu den ganz Grossen. Mittlerweilen erreichen wir einen Distribution Share von über 75 Prozent, inklusive Vertrieb über die eigenen Plattformen. Der Anteil der Verkäufe über die NDC-Plattform ist mittlerweile teilweise höher als über einzelne GDS. In der Schweiz liegt dieser zudem über dem internationalen Durchschnitt. Über klassische GDS läuft zurzeit noch 25 Prozent des Geschäfts.

Wie lange werden Sie noch mit GDS arbeiten?

Wir sind in intensiven Verhandlungen mit den GDS, weil diese zunehmend auch NDC-Angebote auf den Markt bringen. Wichtig ist für uns dort, dass eine End-to-End-Prozessrealisierung gerade auch für die Corporate-Geschäftskunden existiert. Es wird noch eine Weile dauern, bis die GDS so weit sind. Ich gehe davon aus, dass in den nächsten neun bis 12 Monaten Lösungen gefunden werden. Der einzelne Reisebüro-Agent kann jetzt schon entscheiden, wie er am besten an die neue Welt angeschlossen wird. Wir können ihn dabei beraten.

Die Umstellung heisst doch, man kann beim GDS den Stecker ziehen.

Nein. GDS haben verschiedenste Formen und nehmen auch Fahrt auf bei den NDC-Angeboten. Die GDS verändern sich, das ist technologisch unvermeidbar und bereits absehbar.

Haben die Agenten mit dem neuen Preismodell die Garantie, den besten Preis zu sehen?

Ja. Mit dem NDC-Angebot erhalten die Agenten in jedem Fall auch die klassischen Angebote angezeigt, die er auch im GDS sieht. Neu ist, dass nun auch günstigere Preise angeboten werden unterhalb der Sprungs zur nächsten Buchungsklasse. Das geht nur via NDC. Der Kunde profitiert immer im NDC Kanal vom günstigsten Preis.

Mit welchen Parametern im Hintergrund wird dieser Preis berechnet?

Wir haben das in fünf Jahren im Eigenbau entwickelt und getestet. Es sind Algorithmen, die eine gewisse Preisbereitschaft basierend auf den klassischen Verlaufsdaten berechnen, die man von den Buchungen kennt. Ganz wichtig: Was wir nicht nutzen, sind personalisierte Daten. Wir machen kein Einzelpersonen-Pricing, sondern berechnen Kundensegmente. Es ist also irrelevant, wo jemand wohnt und ob man mit einem iPhone oder Samsung Handy bucht.

Was meinen Sie mit Segmente? Bekomme ich einen anderen Tarif, wenn ich jedes Jahr vier mal nach London fliege, als wenn ich das nur alle zwei Jahre mache?

Nein, nicht Sie persönlich. Segmente sind eine grosse Anzahl von Kunden, die eine gewisse Zahlungsbereitschaft haben, wenn sie nach London fliegen.

Wird auch das Buchungsverhalten bezüglich Ancillaries für das Continuous Pricing verwendet, bzw. ist die Ancillary-Buchung preisrelevant?

Aktuell haben die Ancillaries noch statische Preise. Zu einem späteren Zeitpunkt möchten wir auch die Ancillaries dynamisieren, und dann mit dem Preis zu einen dynamischen Paket zusammenstellen. Bis es soweit ist, wird es noch eine Weile dauern. Wir machen allerdings schon Tests mit dynamisierten Ancillaries, aber die Entwicklung ist noch nicht abgeschlossen.

Wie lange gilt ein dynamischer Preis – etwa wenn ein Kunde vor der Buchung noch überlegen will?

Hier gelten unverändert die heutigen  Ticket-Timelines. In zeitlicher Hinsicht haben wir ja jetzt schon dynamische Preise. Wenn die Nachfrage steigt, steigt auch der Preis. Das wird auch in Zukunft so sein.

Im Juli verneinten Sie im TI-Interview vehement, dass der Flugplan überambitioniert sei, er stelle Planungssicherheit und Vertrauen her. Sie rechneten mit einer Durchführungsquote von 95%. Der Sommer mit all den Stornierungen hat das Gegenteil gezeigt. Sind Sie ein Schönredner oder ein Zweckoptimist?

Der Sommer hat überhaupt nicht das Gegenteil gezeigt, der Herbst hat das Gegenteil gezeigt. Wir haben den ganzen Sommer über Kapazität aufgebaut, im Juli mehr als im Juni, im August mehr als im Juli. Erst im September hatten wir zum ersten  Mal wieder ein sinkendes Angebot, und im Oktober ebenso.  Die Quarantänebestimmungen in über 50 Ländern zwingen uns dazu, massiv in unser Angebot einzugreifen. So kann das nicht weitergehen. Die Lösung muss sein, dass Schnelltests eingeführt werden, um die Quarantäne zu ersetzen oder zumindest zu reduzieren.

Was heisst das in Zahlen?

Wir werden im Winter 85 Prozent der Destinationen von 2019 anbieten. Wir bieten also eine grosse Netzbreite. Aber wir werden nicht die Netztiefe haben, die Anzahl Frequenzen pro Zielort werden deutlich geringer sein. Im Kontinentalverkehr werden wir unter 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sein. Insgesamt  hatten wir 50 Prozent im Dezember geplant. Nun werden wir bis Ende Winter zwischen 30 und 40 Prozent erreichen, wobei 40% eher ambitioniert ist.

Im Interkontinentalverkehr konnte wir uns vor allem aufgrund des Frachtgeschäfts stabilisieren. Zu Beginn der Corona-Pandemie waren es neun Destinationen, bis zum Ende des Winters werden es bis zu 22 sein. Wir geben  unser Bestes, die Schweiz an Europa und die Welt anzubinden. Aber es wird aufgrund des Flickenteppichs bei den Reisebestimmungen immer schwieriger. Wir brauchen dringend Corona-Test-Lösungen. Sie bieten die relativ grösste Sicherheit.

Haben Sie Signale, dass es in der Schweiz eine Test-Lösung geben wird?

Wir haben schon das Gefühl, dass unsere Argumente auf Verständnis stossen. Die offiziellen Stellen wägen natürlich alle Argumente ab, wie wir auch. Wir müssen deutlich machen, dass Reiseverkehr Verlässlichkeit braucht und dass die Fluggäste erst wieder Vertrauen ins Reisen gewinnen, wenn  sie keine lange Quarantäne befürchten müssen. Das steht nicht im Gegensatz zur Sicherheit, im Gegenteil.

Sollte die Test-Lösung kommen, würde die Swiss die Tests in die Flugpreise inkludieren?

Diese Schnelltests sind nicht sehr teuer, wir schätzen rund 10 Franken. Hier wird sicher eine Lösung gefunden zwischen Flughäfen, Airlines, Bund und Reisenden.

Wäre die Swiss logistisch bereit für Tests?

Innerhalb der Lufthansa Group laufen bereits Vorbereitungen für die Tests, auch bei Swiss.

Wir hoch schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit, dass Swiss den Winterflugplan wie publiziert fliegen wird, wie hoch wird die Annullationsquote werden?

Eine Prognose abzugeben ist schwierig, da wir komplett von den Quarantänebestimmungen abhängig sind. Letzte Woche beispielsweise, als Portugal auf die Quarantäneliste kam, haben wir über Nacht eine Boeing B-777 und 9 weitere Flugzeuge mit über 2000 zusätzlichen Sitzen bereit gestellt, um unsere Fluggäste zeitnah von Lissabon nach Hause zu bringen. Das Flugzeug war innerhalb von zweieinhalb Stunden ausverkauft.

Haben Sie alle Passagiere aus Portugal zurückholen können, die zurück wollten?

Alle, die mit uns hinfliegen, bekommen auch eine Rückflugmöglichkeit. Das Thema für die Menschen ist ja nicht, ob sie zurückkommen, sondern ob sie in Quarantäne müssen.

Offenbar werden angekündigte Direktflüge ab Zürich, z.B. Los Angeles, Südafrika  oder Madrid, nicht mehr als direkte Swiss-Flüge durchgeführt, sondern als Umsteigeverbindungen mit LH über Frankfurt oder München. Stimmt das, und warum ist das so?

Wie erwähnt setzen wir auf eine grosse Netzbreite und  bieten eine Grosszahl unserer Destinationen an, einfach nicht in der üblichen Frequenz. Wenn ein Fluggast einen bestimmten Tag und eine bestimmte Uhrzeit wünscht, versuchen wir ihm ein Angebot zu machen, auch mit Unterstützung der Lufthansa Group. Man muss schon sehen: Wir sind in einer Pandemie-Situation, in der 85 Prozent aller weltweiten Destinationen, nicht nur jene von Swiss, von Reiserestriktionen durch Corona belegt sind.

Zugespitzt gesagt: Das kann doch der Anfang vom Ende des Hubs Zürich sein und der Start von Swiss als Zubringer-Airline für die Lufthansa.

Nein. Wir bauen den Interkontinental-Verkehr ja sogar aus und sind Ende des Winters bei über 20 Zielen. Wir fliegen nach wie vor nur, wenn wir die variablen Flugkosten decken können. Die Alternative ist, dass wir gar nicht fliegen.

Genau diese Anbindung war das Argument für die Systemrelevanz der Swiss und die Staatshilfe. Hat sich die Politik schon dazu gemeldet?

Das Flugprogramm von Swiss zeigt unser Engagement, die Schweiz weiter an Europa und die Welt anzubinden.  Wir gehen da mit unserer Planung sehr stark in die Vorleistung. Auch im Vergleich mit anderen Hubs steht Zürich gut da, insbesondere beim Langstreckenangebot.

Wie werden sich die Preise entwickeln, mal abgesehen vom neuen Pricing-Modell?

Dank Continuous Pricing werden die Preise sicher günstiger werden. Dazu kommt, dass die Kapazitäten im Markt immer noch höher sind als die Nachfrage. Das setzt die Preise noch bis zum nächsten Frühjahr trotz Kapazitätsanpassungen unter Druck. Ausserdem ist das Geschäftsreiseaufkommen noch gering. Daran hat sich seit unserem letzten Gespräch im Juli leider nichts geändert.

Zum Schluss noch eine persönliche Frage: Ihr Chef, Thomas Klühr, verlässt seinen Job Ende Jahr. Sind Sie im Rennen um die Nachfolge als CEO?

Ich bin nicht im Rennen um die Nachfolge.

(Interview: Christian Maurer)