Tobias Pogorevc: «Da werden viele Reiseveranstalter leiden»

Tobias Pogorevc, CEO Helvetic Airways im TRAVEL INSIDE Interview mit Journalist Kurt Schaad.
Tobias Pogorevc, CEO Helvetic Airways

Die Eltern von Tobias Pogorevc sind in den 60er Jahren aus Slowenien in den Kanton Obwalden eingewandert. Sein Vater arbeitete als Glasbläser. Der CEO von Helvetic Airways ist in Sarnen geboren und aufgewachsen. Nach dem Studium an der HSG in St. Gallen folgte eine klassische Finanzkarriere. Revisor bei einer Unternehmensberatung, Wirtschaftsprüfer, Controllingfunktionen, Auslandaufenthalte. Ein Bekannter führte ihn mit dem neuen Besitzer der Fluggesellschaft zusammen. 2007, nach zwei Gesprächen mit Martin Ebner wurde er, 37 Jahre alt, CFO bei der Regionalfluggesellschaft.


Mit Martin Ebner, der nachweislich viel von Finanzen versteht, haben Sie sich wohl schnell verstanden. Die folgende Frage dürfte für Sie nicht unbekannt sein: Verstehen Sie als Finänzler auch etwas von Flugzeugen?

Diese Frage kommt immer wieder. Der Anfang war schon speziell, da der Fachjargon für mich neu war. Ich weiss, weshalb ein Flugzeug fliegt, aber meine Hauptaufgabe besteht darin, die Unternehmung als Ganzes profitabel fliegen zu lassen. Für das Operative haben wir unsere ausgewiesenen Spezialisten. Das gibt eine einzigartige Mischung, weil das ökonomische Denken genau gleich gewichtet wird wie das flugtechnische Denken. Und über allem steht die Sicherheit der Flugoperationen.

Finanzwissen kann sicher nicht schaden. Wenn Piloten allein eine Fluggesellschaft gründen kommt es nicht immer gut.

Das kann ich nicht beurteilen. Es gibt aber auch jetzt, in diesen turbulenten Coronazeiten, Verwegene mit Start up-Projekten. Wenn man deren Businesspläne nur schon kurz anschaut, dann weiss man: das kann nicht funktionieren. Die Aviatik ist etwas sehr Emotionales, etwas Optimistisches. Man geht oft von optimistischen Szenarien aus: Optimistische Yields mit optimistischen Sitzladefaktoren ohne operationelle Probleme. Man sieht aber rasch: es kann gar nicht funktionieren.

Mit anderen Worten: mit Ihrem Geschäftsmodell haben sie bessere Margen erzielt als viele andere Fluggesellschaften.

In guten Jahren waren wir profitabel. Aber es geht nicht um die Margen als solches. Wir haben ein konservatives Geschäftsmodell. Wir sind in einem anderen Geschäftsfeld tätig als die sogenannten «Legacy-Carriers» und wir versuchen so schlank und effizient wie möglich zu sein. Das können wir, weil wir ganz flach aufgestellt sind und weil wir ausschliesslich auf das Regionalsegment fokussieren. Vermutlich habe ich pro Flug nicht mehr Revenue als ein Konkurrent, aber vielleicht hole ich mehr heraus, weil wir so effizient sind. Das funktioniert auch deshalb, weil wir eine überschaubare Grösse haben.

Sie sind als CFO eingetreten, bevor sie CEO wurden. Die Geschäftsleitung scheint mir relativ übersichtlich.

Lange waren wir zu zweit, seit 2018 sind wir zu dritt. Eine gute Grösse für die Unternehmensführung, mehr braucht es nicht. Wichtig sind kurze Entscheidungswege.

Wer ist denn jetzt CFO?

CFO haben wir keinen, das mache ich weiterhin parallel, aber wir haben zwei COO.

Wenn sie auf die sechs Monate Corona zurückschauen, wie würden Sie das beschreiben?

Furchtbar.

Nur Furchtbar? Wie wäre es mit dynamisch, chaotisch oder katastrophal?

Also, da muss ich etwas ausholen. Als ich 2018 CEO wurde, haben wir mit der Eigentümerschaft entschieden, dass wir mittelfristig die modernste Regionalairline mit der umweltfreundlichsten Flotte in Europa sein wollen. Mit der Umsetzung und der Einflottung haben wir 2019 begonnen und wollten im Sommer 16 Flugzeuge bewegen und über 100 neue Stellen schaffen. Dann gab es im Januar erste Indikationen, dass da etwas kommt, das ganz gefährlich ist, das zum Kollaps der Branche führen kann.

Wir haben dann rasch zwei Massnahmenpakete aufgegleist: Das erste Massnahmenpaket sollte sicherstellen, dass wir gut durch die Coronakrise kommen und das Zweite, dass wir nachher gut aufgestellt sind, damit wir wieder profitabel sein können. Beides ist parallel gelaufen, es waren aber zwei unterschiedliche Pakete. Sofort haben wir einen Marschhalt in der Wachstumsstrategie verfügt, Flugzeuglieferungen verschoben und den Personalbestand angepasst. Dazu kam ein Investitionsstopp. Das waren alles Massnahmen, die in die Zeit nach Corona zielten. Kurzfristig war klar: Operation herunterfahren, temporäre Stilllegung, Kurzarbeit.

Im Gegensatz zur Swiss, wo Mitarbeitende mit Einkommen unter 4000 Franken keine Lohnreduktion auf 80 Prozent in Kauf nehmen müssen, erhalten bei Helvetic die Flight Attendants im Rahmen der Kurzarbeit nur 80 Prozent ihres an sich schon sehr tiefen Lohns. Die Aktion der Swiss wäre doch auch bei Ihnen eine nette Geste gewesen.

Die ergriffenen Massnahmen und die Kurzarbeitsentschädigung helfen uns, um durch die Krise zu kommen. Wie viele andere Unternehmen in der Schweiz haben wir bei niemandem das Kurzarbeitsgeld aufgestockt. Jeder Franken zählt.  Wir haben aber alle Cabin Attendants, die erst dieses Frühjahr zu uns gestossen sind und mitten in der Ausbildung steckten, weiter ausgebildet und beschäftigt. Sie haben eine Zukunft bei uns.

Wo stehen Sie jetzt?

Wir sind jetzt bei 25-30 Prozent der ursprünglichen Produktion. Das ist deutlich zu wenig. Wir sind wie alle Fluggesellschaften in der Krise aber wir haben ein klares Set-Up für nachher. Und ich bin felsenfest überzeugt: wenn es wieder losgeht haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Wir werden im Sommer 2021 die modernste Flotte haben. Wir haben keine Staatsschulden. Natürlich haben wir Schulden beim Eigentümer, die wir zurückerstatten müssen. Aber weil wir dann unsere Hausaufgaben gemacht haben ergibt das einen Konkurrenzvorteil. Wenn man schaut mit wie vielen Milliarden Gesellschaften gestützt werden, dann können die unmöglich eine moderne Flotte aufbauen. Es dauert Jahre, bis eine Airline eine Milliarde an Unterstützungsgeldern wieder hereingeholt hat…. Jahre!

Helvetic Airways hat das Glück, einen Eigentümer mit einem dicken Portemonnaie zu haben. Fast ein bisschen wie ein Mäzen, was er natürlich nicht ist.

Einen Covid Kredit beantragen und in 30 Minuten bekommen wäre einfacher gewesen. Sie kennen Herrn Ebner. Wir waren mehrmals bei ihm mit immer neu gerechneten Businessplänen. Es war ein hartes Ringen. Wenn er von unseren Zukunftsplänen nicht überzeugt gewesen wäre, hätte er die Überbrückung nicht zur Verfügung gestellt.

Wie ist jetzt der ganze Prozess: furchtbar oder dynamisch?

Natürlich beides! Aber viele in der Branche haben die Tragweite der Krise noch nicht erfasst. Ich spüre da immer noch die Hoffnung, dass es schon noch gut kommen wird. Wir haben alle noch viel harte Arbeit vor uns. Hotelplan und diese Woche DER Touristik haben schon mal deutlich reagiert. Aber stellen sie sich vor: die Olympiade nächstes Jahr oder die Fussball EM finden nur noch mit der Hälfte der Zuschauer statt – wenn sie dann überhaupt stattfinden. Da werden viele Reiseveranstalter und verwandte Betriebe leiden.

Und wenn der Impfstoff da ist?

Dann wird es sofort ändern. Die Leute wollen reisen, wollen die Welt entdecken, wollen ihre Verwandten besuchen. Geschäftsleute wollen wieder persönliche Kontakte. Das Schlimme ist die Unsicherheit und das fehlende Vertrauen. Wenn das nicht vorhanden ist, werden die Leute auch nicht buchen.

Sie sind mit dem Wet-Lease-Vertrag mit der Swiss in einer guten Position. Die Swiss kann ja nicht sagen, der gilt jetzt nicht mehr.

Wir haben eine langjährige, sehr gute Zusammenarbeit und einen langfristigen Vertrag, gekoppelt mit dem Betrieb der modernsten Flugzeuge.

Ist das eigentlich wie bei den Flugtickets? Bekommt Helvetic Airways das Geld auch zum Voraus von der Swiss, bevor der Flug durchgeführt wird?

Das sind Details, über die wir nicht sprechen. Es ist eine Vertragsbasis, wie wir sie in den letzten Jahren gehabt haben. Wir sind einem engen Austausch mit der Swiss, in welchen man sich als Partner gegenseitig unterstützt.

Wie ist das für den CFO, wenn er sieht, dass er nur noch Ausgaben und keine Einnahmen mehr hat?

Das schmerzt nicht nur den CFO. Aber dann muss man sich halt auch etwas einfallen lassen. Etwas, das wir jetzt gemacht haben, sind die sogenannten Pop-Up-Flüge. Damit können wir den Trainingsaufwand kompensieren und die Motivation hochhalten. Pop-Up-Flüge sind etwas ganz Neues und Innovatives. Und wir dachten, die Reiseveranstalter würden uns die Türen einrennen: Alles kurzfristig realisierbar, der Reiseveranstalter hat kein grosses Risiko und der Kunde schon gar keines. Wenn es wegen Corona Einschränkungen gibt, bekommt er sofort das Geld zurück. Trotzdem haben wir lange gesucht bis dann junge, innovative, eigentümergeführte Unternehmen die Idee aufgegriffen haben. Es ist spannend, wie das jetzt Fahrt aufnimmt und hauptsächlich kleinere Reiseveranstalter mit uns neue Ideen entwickeln. Im besten Fall verdienen sie ein paar Franken und Wenns nicht gut kommt, verlieren sie nichts.

Wie ist es eigentlich bei Helvetic Airways mit der Rückerstattung von abgesagten Flügen?

Als klar war, dass es eine Stilllegung geben wird, haben wir die bereits bezahlten Beträge für Charterflüge und Einzelbuchungen schnell an die Reiseveranstalter und Direktbucher zurückgezahlt. Der grösste Teil ist im März und Anfangs April zurückgeflossen. Einzelne GDS-Buchungen wurden noch nicht freigegeben, da der Endkunde den Refund auch direkt bei uns beantragt hat…

Für Helvetic Airways also ein positives Image, das in Zukunft mit Kundentreue belohnt werden wird.

Man darf sich da nichts vormachen. Wir können Schweizer Qualität und ein gutes Produkt liefern aber im Bereich Leisure steht und fällt es wegen 10, 20 Franken Preisunterschied. Wenn der Konkurrent pro Sitzplatz 20 Franken günstiger ist, dann fliegt man mit dem Konkurrenten. Ob der mit einem 20 Jahre alten Flieger kutschiert oder die Crew kein Deutsch spricht, spielt keine Rolle.

Bei den Spezialchartern dürfen wir aber auf eine sehr treue Kundschaft zählen, die uns auch in diesen Zeiten berücksichtigt, in welcher Dumpingpreise das Angebot beherrschen. Letzte Woche flog Borussia Dortmund wieder mit uns… zum wiederholten Mal, weil sie wissen, welches Produkt sie erwartet.

Es bleibt also auch nach Corona ein knallharter Wettbewerb?

Vor allem ein fragwürdiger Wettbewerb. Mit ein paar wenigen Ausnahmen hat in Europa die Airline-Industrie schon länger nicht mal die Kapitalkosten gedeckt. Da hätte sowieso etwas passieren müssen und jetzt ist Corona gekommen. Die IATA hat 85 Milliarden Verluste fürs dieses Jahr prognostiziert. Dabei sind schon Staatshilfen von über 100 Milliarden geflossen. Damit wurden wohl Unterbilanzen vom Vorjahr saniert oder Polster für die Zukunft geschaffen.

Player, die es gar nicht mehr braucht im Markt, die chronisch defizitär sind, werden für die nächsten Jahre durchgeseucht. Alitalia hat über 10 Milliarden in den letzten 10 Jahren bekommen. Jetzt kommen nochmals drei Milliarden vom Staat dazu. Stellen sie sich den Netzwerkspezialisten der Alitalia vor, der das Pricing für die Strecke Zürich – Rom macht. Die Swiss fliegt für 200 Franken. Der sagt sich: ich fliege für 150. Ob ich Verlust mache spielt überhaupt keine Rolle.

Bei den kleinen Regionalgesellschaften ist es tatsächlich zu Konkursen gekommen. Aber auch dort wird der Konsolidierungprozess weitergehen müssen. Als Ökonom sage ich: eigentlich müsste der Stärkere überleben.

Dann gehe ich wohl richtig in der Annahme, dass Sie von der Flugticketabgabe, die das Parlament in Bern wohl nächstens beschliessen wird, nicht viel halten.

Das ist reine Symbolpolitik. Es ist schon okay, wenn man Häuser energieeffizient sanieren will. Dann soll man sagen, dass man Geld aus der Aviatik herausnehmen und verteilen will, das wäre ehrlich. Aber vom Umweltgedanken her bringt das überhaupt nichts. Emissionen werden keine eingespart werden, im Gegenteil: Mit dem jetzigen Modell wird verhindert, dass man umweltfreundliche Flugzeuge einsetzt (höhere Kapitalkosten) und man wird den Verkehr ins nahe gelegene Ausland verschieben. Dabei gäbe es viel innovativere Modelle: Abgabe nach Ausstoss. Und diese geht zu 100 Prozent in Forschung und Entwicklung für synthetische Treibstoffe, in moderne Treibwerke, in Elektroflugzeuge.

Die Lösung wäre eine weltweite CO2-Steuer?

Mit dem CORSIA-Abgabemodell wurde ein Modell geschaffen, das weltweit greifen wird. Es geht ja um einen Anreiz, Flugzeuge zu bewegen, die weniger Treibstoff verbrauchen und demzufolge weniger CO2 ausstossen.

Wo ist bei der Flugticketabgabe die Lenkung, wenn Passagiere bei «Oldtimer» und neuen Flugzeugen die gleiche Abgabe zahlen müssen? Es gibt keine Logik dahinter, ausser dass man umverteilen will.

Sie sind der Finänzler und waren als solcher jahrelang ausserhalb der Flugbranche tätig. Haben Sie je mal bereut, in die Aviatik gewechselt zu haben?

Nein. Die Aviatik ist extrem spannend. Wenn man in einem Cockpit mitfliegt und die Piloten beobachtet, wie strukturiert und prozessorientiert sie das Flugzeug steuern: da kann jede Branche, angefangen bei der Medizinalbranche bis zu den Banken, von dieser Strukturiertheit und Prozessorientiertheit lernen. Das ist unglaublich.

Auf der anderen Seite erleben Sie bei den Passagieren viele Emotionen, freundliche Leute, freundliches Personal. Dieser Mix ist extrem spannend und faszinierend.

Und es macht auch einen Unterschied, ob sie als CEO einer Fluggesellschaft oder als CEO einer Schraubenfabrik am Tisch sitzen.

Jeder kommt sofort auf das Fliegen zu sprechen. Jeder hat eine Geschichte, ein spezielles Flugerlebnis. Airline gleich Emotionen. Das macht es so faszinierend. Aber nichtsdestotrotz: die Zahlen und die Methodik sind bei der Schraubenfabrik dieselben wie in der Aviatik.

(Interview: Kurt Schaad)