Das ist die ideale Grösse für ein Reisebüro

TRAVEL INSIDE fragt Tourismus-Professor Christian Laesser: Wie sieht die Zukunft für Reisebüros nach der Pandemie aus?
© Armin Grässl

Christian Laesser ist seit 24 Jahren Touristik-Professor an der Universität St. Gallen. Im TRAVEL INSIDE-Interview erklärt er, warum im Reisebüro grösser nicht immer auch profitabler heisst.


Christian Laesser ©LS

Christian Laesser, Sie sagten zu Beginn der Pandemie, die Reisebranche sei an sich gesund. Trotzdem stehen viele am Abgrund. Was können sie tun, um zu überleben?

Da muss man sich fragen: was ist in einem Reisebüro die Value Proposition? Das sind meiner Meinung nach zwei Punkte. Das eine ist der Informationsvorsprung und das andere ist die Convenience, die sie anbieten, weil sie dem Kunden helfen, Entscheidungen zu treffen. Böse gesagt delegiert man als Kunde die Verantwortung seiner Entscheidungen an die Reisebüros. In der Pandemie können Reisebüros realisieren, wo sie einen Wert kreieren: Indem sie den Informationsvorsprung haben und den Kunden kompetent beraten und bei allfälligen Problemen als Lösungsstelle fungieren. Wenn ich mich in diesen unsicheren Zeiten in den Leistungskanal von Reisebüro und -veranstalter begebe, erhalte ich vermutlich deutlich mehr Leistung, als ich in den vergangen 20 Jahren zuvor bekommen habe.

Sind die Reisebüro-Mitarbeiter genügend geschult dafür oder gibt es Nachholbedarf?

Die Halbwertzeit von Wissen ist in der Pandemie wenige Tage. Dieses Wissen kann man nicht in der Ausbildung lernen. Franchise-Nehmer profitieren davon, dass Tour Operator Wissen zentral generieren und dieses dann in die Reisebüros geben. Für ein unabhängiges Reisebüro stelle ich mir das ein wenig schwieriger vor.

Hat sich der Job im Reisebüro durch die Pandemie verändert?

In Zeiten der Pandemie ging es nicht darum, die Kunden zu inspirieren, sondern herauszufinden, wo man sie überhaupt hinschicken kann. Wir haben eine Analogie entwickelt: ein gutes Reisebüro ist wie ein Arzt. Der Kunde hat ein Bedürfnis, weiss aber nicht ganz genau, was er will. Die Aufgabe der Reiseberater ist also diagnostischer Natur – herausfinden, wohin die Reise gehen soll. Dadurch wird ein enger, persönlicher Kontakt aufgebaut. Auf der Kundenseite braucht es dabei natürlich Zahlungsbereitschaft für diese Leistung. Da hat es noch Innovationspotential. Die Zahlen zeigen allerdings, die Beratungshonorare sind bis im letzten Jahr grundsätzlich angestiegen. Die Zahlungsbereitschaft ist durchaus da.

In der Krise sind 1700 Vollzeit-Stellen in der Branche gestrichen. Die werden wohl nicht zurückkommen?

Nehmen wir mal an, die werden nicht zurückkommen. Das hat zwei Gründe: entweder werden sie nicht mehr gebraucht, das glaube ich allerdings weniger, oder man kriegt sie nicht mehr.

Braucht die Branche diese Leute noch oder muss man sie nicht vielmehr mit höherer Effizienz kompensieren?

Schauen wir das an einem Beispiel an: Ein Reisebüro mit fünf Mitarbeitenden und CHF 5 Mio. Umsatz verliert durch die Pandemie drei Mitarbeiter und erwirtschaftet noch einen Umsatz von CHF 1,5 Mio. Jetzt will das Reisebüro zurück auf CHF 5 Mio., mit ihren noch zwei Mitarbeitern. Das wäre ein enormer Produktivitätsgewinn und ich frage mich, wie das gehen soll. Vielleicht indem man sich mehr in Richtung online verlagert. Oder man deckt pro Berater mehr Kunden ab, beispielsweise über Video-Conferencing. Eine dritte Variante ist, dass man mit weniger stationären Standortes auskommt. Wenn ich jetzt schaue, bei wem eine Produktivitätssteigerung stattfinden könnte, dann wäre das eher bei den Grossen, die mit den Standorten und den Personalzahlen ein bisschen spielen können.

Hat das Ein-Mann- oder Zwei-Frau-Reisebüro demnach überhaupt noch eine Zukunft?

Das kommt immer auf die Spezialisierung an. Heute hat man mit digitalen Möglichkeiten Zugang zu Kunden, die man früher nicht hatte. Ich sag es mal so: Digitalisierung der Kommunikation, zum Beispiel über Social Media, ermöglicht auch kleinteilige Strukturen. Den kleinen Reisebüros würde ich nicht die Daseinsberechtigung absprechen. Sie können allerdings ihr Geschäft nicht noch kleiner machen. Entweder funktioniert es, oder eben nicht. Wenn bei denen Umsatz wegbricht, können sie nicht einfach abbauen. Dann sind sie ganz weg.

Nach den Ergebnissen des Sentiment-Index für die Reisebranche sieht es aus, als sei die Grösse eines Reisebüros mit drei bis fünf Mitarbeitenden optimal – warum?

Wir reden hier von einem stationären Geschäft. An einem gegebenen Standort gibt es ein bestimmtes Umsatz-Potential für Ferienreisen. Wenn das mit drei bis fünf Mitarbeitenden ausgeschöpft ist und man weiter wachsen will, muss man auch mehr Corporate Travel machen. Dieser Zweig ist in der Pandemie total zusammengebrochen. Deshalb auch die hohen Umsatzeinbussen bei grösseren Büros mit mehr als fünf Mitarbeitenden.

(Interview: Christian Maurer/Luisa Schmidt)


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