Kreuzfahrtspezialist: «Fast jeder Anruf ist eine Annullation oder Umbuchung»

Neubuchungen sind beim Kreuzfahrtenportal Cruise Center bis zu 70 Prozent eingebrochen.
©Costa Cruises

Italien ist aufgrund der Ausbreitung des Coronavirus abgeriegelt – dies trifft die Kreuzfahrtspezialisten besonders hart. «Wir können nicht plötzlich Wanderreisen verkaufen», sagt George Studer, Geschäftsführer des Kreuzfahrtenportals Cruise Center.

Das Unternehmen verzeichnet in diesen Tagen einen Einbruch der Neubuchungen um 70% gegenüber Vorjahr. «Fast jeder Anruf ist eine Annullation oder Umbuchung», so Studer weiter. In der Reservationsabteilung gehe dies an die Substanz und sei ernüchternd für die Mitarbeitenden. Den gleichen Kunden hätten sie ein halbes Jahr vorher mit grosser Freude eine schöne Reise verkauft und sich um eine kompetente Beratung bemüht.

Die Kunden reagierten in dieser Ausnahmesituation grösstenteils verständnisvoll, manche suchten sogar explizit Rat. Da kommt es schon vor, dass Studer sogar von einer Kreuzfahrt abraten muss. Nicht aus Angst vor dem Virus, sondern wegen der momentan sehr eingeschränkten Bewegungsfreiheit. «Am meisten Probleme haben wir derzeit rund um die Arabische Halbinsel. Wir erhalten stündlich neue, zum Teil widersprüchliche Meldungen zu Hafenschliessungen», so Studer.

Saisonbeginn steht vor der Tür

Entscheidend ist jetzt, wie lange die Krise andauert. Die Hauptsaison für Mittelmeerkreuzfahrten beginnt Mitte April, dann sollten auch die Buchungen von Familien wieder anziehen. Das Problem: Fahrten sowohl im westlichen als auch im östlichen Mittelmeer beginnen bei vielen Reedereien auf italienischem Boden.

Als erste Reederei hat Costa Cruises angekündigt, vorläufig ab Italien keine Passagiere mehr an Bord zu nehmen. Auch MSC Cruises hat bereits einige Abfahrten im Mittelmeer und in den Emiraten annulliert. Was, wenn die Krise länger andauert? Studer hat gehört, dass derzeit Marseille als Ausweichhafen im Gespräch ist, falls die Behörden mitspielen. Aber als Hub für die grossen amerikanischen Kreuzfahrtschiffe reicht die Infrastruktur der südfranzösischen Hafenstadt nicht aus.

Die Länge der Krise ist auch entscheidend in Bezug auf die Unternehmensliquidität: Die Kosten für die kurzfristigen Buchungen hat Cruise Center den Reedereien in den meisten Fällen schon überwiesen, die gelockerten Stornobedingungen sollen Anreize für Neubuchungen schaffen, doch für den Retail sind sie ein zweischneidiges Schwert: Ob für die Arbeit des Wiederverkäufers am Ende noch eine Kommission übrig bleibt, ist oft nicht klar geregelt. Studer rechnet mit einem gewaltigen Nachholbedarf, wenn die Pandemie unter Kontrolle ist – doch er bezweifelt, dass sich die Lust am Reisen als erstes im Kreuzfahrten-Bereich zeigen wird. (ET)