Mike Jakob: «Kombinierte Mobilität wird die Zukunft beherrschen»

Mike Jakob, Head of Sales Railtour Suisse SA, über die Vorteile von Bahnreisen und wie wichtig sie für Schweizer Reisebüros sind.
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Warum nicht mal mit dem Zug in die Ferien fahren? Viele Reisende fliegen mit dem Flugzeug in die Badeferien oder nehmen das eigene Auto. Doch auch Bahnreisen erleben gerade in Zeiten, wo es an Flughäfen zu langen Wartezeiten und vielen Kontrollen kommt, einen Boom.

Railtour hat Anfang August mit einer neuen Schnittstelle zu Trenitalia, den italienischen Bahnen, Zugreisen nach Italien für das Reisebüro und den Endkunden noch einfacher gemacht. Bahnreisen sind im Kommen – doch wie trendy, sicher und pflegeleicht ist die Reise mit dem Zug?

TRAVEL INSIDE hat bei Mike Jakob, Head of Sales Railtour Suisse SA, nachgefragt.


Mike Jakob, wie trendy sind Bahnreisen?

Bahnreisen sind trendy und werden immer beliebter. Die Zeiten mit den Raucherabteilen und den verschmutzten, schmuddeligen Zugswagen sind längst vorbei. Bahnreisen entsprechen dem Zeitgeist im Rahmen des Nachhaltigkeitsthemas und der Mobilität, Bahnreisen sind entschleunigend, sicher und komfortabel.

Ausserdem werden die Züge immer schneller und die Bahnstrecken werden weiter ausgebaut, entsprechend überholt die Bahn im Umkreis von 500 – 700 km andere Transportmittel. Die Bahn wird nicht nur als Transportmittel von A nach B benutzt, sondern auch als Erlebnis. Wir verkaufen ja auch touristische Züge in der Schweiz wie den Glacier Express oder Luxuszüge wie den Orient Express.

Wie gestaltet sich Ihre Zielgruppe, auch im Vergleich zu von vor 10 Jahren?

Die Zielgruppe hat sich verjüngt. Während vor 10 Jahren der Fokus vor allem bei den Ü40-ern lag, tauchen nun in der Zielgruppe immer mehr Millennials auf. Das hat unter anderem damit zu tun, dass sich das Bewusstsein für umweltfreundliches Reisen verändert hat.

Hat sich das Reiseverhalten der Schweizer*innen verändert?

Es wird immer kurzfristiger gebucht, die Corona-Pandemie hat diesen Umstand noch verstärkt. Der Grossteil aktueller Buchungen wird 10 – 20 Tage vor Abreise getätigt mit auch sehr kurzfristigen Buchungen bis zu 1 Tag vor Abreise. Corona hat die Kunden bezüglich Entscheidungsfindung fürs Reisen verunsichert, allerdings gilt dies nicht für Reisen in der Schweiz und dem angrenzenden Ausland.

Städtereisen nach Venedig oder Wien, ein Kurztrip nach Lugano oder Zermatt oder touristische Zugreisen wie der Glacier Express oder der Bernina Express sind dabei klar die Gewinner. Und die Schweiz hat dieses Jahr vom Buchungsboom weiter profitiert – wir hatten diesen Sommer doppelt so viele Schweiz-Buchungen wie im Vorjahr; wenn wir nur die Zahlen für das Tessin betrachten, dann war es sogar eine Verdreifachung.

Wie hat sich Corona generell auf Bahnreisen ausgewirkt?

Während des Lockdowns im Frühling 2020 benutzte – verständlicherweise – fast niemand mehr die Bahn, allerdings verkehrten die meisten Züge auch während des gesamten Lockdowns täglich gemäss Fahrplan – dies im grossen Unterschied zu den Flügen. Generell lässt sich feststellen, dass sich die Bahnreisen innerhalb der Schweiz rasch erholt haben, Bahnreisen ins Ausland etwas verzögert. Wir sehen aber auch bei Bahnreisen ins Ausland wie z.B. nach Venedig, Florenz, Hamburg oder Paris eine deutliche Zunahme der Nachfrage.

Die Maskenpflicht in den Zügen gehört heute bereits zum gewohnten Reisen und das wird wohl auch noch eine Weile so bleiben. Die Bahnunternehmen sind auch innovativ im Umgang mit der Sicherheit und betreffend Wohlfühlfaktor: Bei den italienischen Zügen oder bei der Deutschen Bahn sind beispielsweise die Hälfte aller Sitzplätze für Reservationen gesperrt. Dies sorgt für mehr Abstand und Bewegungsfreiheit und wird von den Kunden sehr geschätzt.

Welche Vorteile haben Kunden, wenn sie mit der Bahn reisen?

  1. Man reist entschleunigend, kann die Seele baumeln lassen, aus dem Fenster schauen, lesen, «Aperölen», fein Essen, Arbeiten, Schlafen usw.! Die Zeit im Zug lässt sich vielseitig nutzen.
  2. Man ist staufrei unterwegs und fast immer pünktlich und kann so nach Planung am Ziel ankommen.
  3. Die Reise ist klimaneutral resp. mit geringem CO2 Ausstoss.
  4. In den Zentren abfahren und Ankommen ohne nerventreibende Transfers oder Parkplatzsuche.
  5. Unschlagbare Fahrzeiten, bzw. Fahrtdauer in der näheren Distanz.

Reisen Kunden mit dem Zug pflegeleichter in Bezug auf Corona und den daraus resultierten Einreiseregeln?

Zugreisen sind im Vergleich zum Flugzeug generell entspannter und angenehmer, weil es vor der Abfahrt kein Check In und mit den daraus resultierenden Wartezeiten von 2- 3 Stunden an den Airports gibt. Aber das war schon vor Corona so. Bezüglich Einreisekontrollen gibt es Unterschiede – mag sein, dass im Auto oder im Zug weniger kontrolliert wird als beim Flug, aber Kontrollen im Zug lassen sich auch schwieriger umsetzen, wenn ein Zug mit 500 oder 1000 Leuten über die Grenze fährt.

Ist es im Zug sicherer als im Flugzeug?

In Bezug auf Corona lässt sich dies schwierig einschätzen. Mir ist bisher kein Fall bekannt, bei dem in einem Zug ein Superspreader mit massenweisen Covid-Ansteckungen stattfand. Allerdings wird auch weniger getestet im Vergleich zum Flugzeug und die Reiseziele sind bei Bahn und Flug nur bedingt miteinander vergleichbar.

Bezüglich allgemeiner Sicherheit muss man festhalten, dass die Bahn ein sehr sicheres Transportmittel ist. Im Vergleich mit dem Auto ist die Gefahr z.B. rund 100-mal geringer sich bei einem Unfall zu verletzen. Wenn man aber rein die zurückgelegten Kilometer vergleicht, ist das Flugzeug sicherer als die Bahn.

Wie können Bahnreisen in Zukunft noch lukrativer werden?

Durch die enormen Investitionen, die zurzeit europaweit im Bahnverkehr getätigt werden – sei es in die Trassen, sei es ins Rollmaterial, sei es in Buchungsabläufe – werden Bahnreisen auch finanziell immer interessanter für die Reisebüros. Bahnreisen können mit dem Travelshop von Railtour-Frantour ganz einfach und schnell gebucht werden. Zudem werden sie kommissioniert. Auch innovative Angebote wie «Interrail für Erwachsene» oder die zurzeit im Bau befindlichen neuen Nachtzüge erhöhen Attraktivität und Verkaufsmöglichkeiten für die Reisebüros deutlich.

Wie wollen Sie das bewerkstelligen?

Wir bauen das Buchungstool ‘Dynamic Travelshop’ laufend weiter aus, so dass Bahnbuchungen immer einfacher und schneller vonstattengehen. Und wir können die Kunden auch beraten, wenn sie spezielle Fragen haben. Wir wissen, ob der Hochgeschwindigkeitszug zwischen Florenz und Neapel schneller ist als der normale Intercity-Zug und wir wissen auch, ob im Nachtzugs-Abteil ein Dachfester vorhanden ist.

Wie wichtig sind Bahnreisen für Schweizer Reisebüros?

Als Ergänzungsbusiness sehr wichtig. Früher wurden Bahnreisen von den Reisebüros oft belächelt, da zu unsexy! Ich gehe davon aus, dass sich heute kein Reisebüro mehr diese Denkweise leisten kann. Jedes Zusatzgeschäft ist wichtig und ein Reisebüro sollte gegenüber den Kunden auch sichtbar machen, dass man Bahnreisen auch im Reisebüro buchen kann.

Ein Glacier Express Arrangement mit Bahn und Hotel in Zermatt oder ein Arrangement mit Bahn und Hotel nach Hamburg bringt nicht weniger Umsatz und Ertrag als ein Badeferien-Päckli. Praktisch jeder Stammkunde hat auch Interesse an einer Städtereise mit dem Zug. Die Reiseinteressen sind vielseitig, daher sind Bahnreisen ein interessantes Zusatzgeschäft.

Wie können Bahnreisen für Reisebüros noch interessanter werden?

Indem die Vorteile und der Nutzen der Bahn als Carrier verstanden werden. Bahnreisen werden von den Reisebüros noch oft als kompliziert betrachtet. Das hat damit zu tun, dass jedes Land noch mit separaten Bahnunternehmen mit unterschiedlichen Tarifstrukturen organisiert ist. Aber wir möchten die Bahn visuell einfach erklärbar machen.

Gemeinsam mit Online Travel haben wir mit dem ‘Dynamic Travelshop’ ein hervorragendes Buchungstool entwickelt, in dem länderübergreifend Bahnreisen an 10’000 Bahnhöfe in 15 Länder in Europa gebucht werden können. Simpel, verständlich und transparent, CETS/ Tour Online basiert, das meiste als E-Ticket und dazu im gleichen Tool auch Hotels und Aktivitäten buchbar – das ist einmalig in der Schweiz.

Bahnverkäufe sind vielseitig umsetzbar. Auch für Anreisen an Cruise Destinationen wie Genua oder Hamburg oder als Anreise an den Flughafen oder Teilstrecken innerhalb des Ziellandes. Kombinierte Mobilität wird die Zukunft beherrschen. Der Kunde reist per Flug von Zürich nach Berlin, mit der Bahn nach Rostock weiter, per Mietwagen zurück nach Hamburg und mit der Bahn wieder zurück nach Zürich.

Railtour-Frantour baut Bahnreisen ins Ausland mehr und mehr aus – lohnt sich das überhaupt?

Die Kunden reisen ja nicht nur im Nahdistanzbereich mit der Bahn, sie legen immer weitere Strecken zurück. Die Bahn wird auch vermehrt wieder nach Kopenhagen, Budapest oder Lecce genutzt.

Wie hoch sind die Umsätze bei Railtour-Frantour im Vergleich zu Vor-Corona?

Auch wir leiden wie jedes andere touristische Unternehmen auch. Wir konnten einen Teil mit Schweiz Buchungen von Schweizer Kunden kompensieren. Und dank steigender Durchimpfung trauen sich auch immer mehr Reisende wieder in ausländische Destinationen.

Wie gleicht man diese Zahlen aus?

Wir gehen davon aus, dass die steigende Durchimpfung in Europa den Kurzreisentourismus im Verlauf der nächsten Monate wieder auf ein deutlich höheres Niveau bringen wird. Entsprechende Entwicklungen stellen wir bereits jetzt fest. Es wird zwar sehr kurzfristig gebucht, aber es wird wieder gebucht!

Sind Bahnreisen teurer geworden?

Bahnreisen sind nicht teurer geworden, ganz im Gegenteil. Die Preise sind sehr attraktiv. Aktuell haben wir z.B. eine Promotion mit der Deutschen Bahn, bei der man in ganz Deutschland One way Tickets für CHF 61 buchen kann, egal wie viele hundert Kilometer man fährt.

Vor Corona gab es mehrere Studien welche belegten, dass Bahnreisen im Vergleich zu den Flugpreisen in Europa bei gleicher Strecke im Schnitt sogar 30% günstiger waren. Wie sich nun das Preisverhalten mit Corona verändert, wird sich zeigen. Wenn die Low Cost Airlines mit Dumpingpreisen weiter um den Markt buhlen, ist dies schädlich für die gesamte Nahrungskette in der Tourismusbranche.

Wie hat man diese schwierige Zeit im Unternehmen genutzt?

Wir haben die Zeit genutzt für Weiterbildung und interne Schulungen beim Verkaufspersonal. Ausserdem haben wir unser Wissen und Knowhow weiter gestärkt und uns breiter aufgestellt. Wir sind touristisch der Bahnspezialist, aber auch Schweiz Spezialist, Profi für Frankreich und Deutschland und allg. für die umliegenden Nachbarländer.

Was gibt es Neues bei Railtour-Frantour?

Wir sind aktuell mit einer Städtekampagne mit Wien und Paris auf dem Markt, um kurzfristige Herbstbuchungen zu pushen. Ausserdem versprechen wir uns viel von den Alpenzügen in der Schweiz. Beim Bernina Express offerieren wir bis 15.11. das 1. Klasse Upgrade gratis. Wir pushen weiterhin die Schweiz im Allgemeinen und die umliegenden Länder.

Wir sind sogar in die Cruise-Welt eingestiegen und sind Vermarktungspartner der MS Attila, dem ersten Boutique Boatel der Schweiz auf dem Neuenburgersee. Auch das gehört zum Schweiz-Spezialist. Alle Reisedaten der Kreuzfahrten auf den Schweizer Seen sind im 2021 ausgebucht, aber bald werden die Daten fürs 2022 freigeschaltet.

Was ist für die Zukunft geplant?

Wir bleiben dem Bahn-Thema treu und sehen fürs 2022 und 2023 noch grosses Potential für weitere Entwicklungen zum Thema Bahn. Dies möchten wir weiter nutzen. Auch der Dynamic Travelshop wird laufend optimiert und mit neuen Features und Bahn-Buchungsmöglichkeiten erweitert.

Was war Ihr schönstes Bahnerlebnis?

Es gibt viele wunderschöne Bahnreisen, die ich erlebt habe. Aber das Tüpfchen auf dem i habe ich diese Woche erlebt: Eine VIP Fahrt der SBB nur für mich allein. Vom Tessin kommend, hatte mein Zug Verspätung und so war der letzte Anschlusszug vom Tag bereits weg. Die SBB hat dann mit dem Lokführer entschieden, dass sie für mich eine Privatfahrt nach Bellinzona machen, damit ich den letzten Intercity Zug in die Deutschschweiz noch erwische. Was für ein Hammer-Service der SBB, auch das ist Bahn.

(Interview: Yannick Suter)