Swiss-CCO Binkert: «Wir möchten niemandem etwas vorenthalten»

Markus Binkert spricht über NDC, personalisierte Angebote, kostenpflichtige Verpflegung und den Yield-Zerfall.
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Herr Binkert, die Swiss hatte in den letzten Jahren stets eine Vorreiterrolle beim neuen Flugdatenstandard NDC inne. Was ist schon live?
Zurzeit verfolgen wir dies mit einem internen Grossprojekt vom Revenue Management aus. Dank diesem Projekt wird die Fähigkeit für eine dynamische Angebotsgestaltung sukzessive möglich, also automatisches Paketieren von Angeboten, die konkret auf die Kundenbedürfnisse zugeschnitten sind. Viele Themen, mit denen wir uns momentan beschäftigen, sind jedoch noch nicht am Markt sichtbar.

Also vereinfacht gesagt: Eine Produktionsmaschine von Flugprodukten und -preisen?
Korrekt. Es ist das Herzstück, welches bei einer Buchungsanfrage eine Offerte zurückspielt. Allerdings werden die Offerten dynamisch berechnet und damit viel detaillierter und kundenbezogener sein.

Aber ganz ehrlich: Wenn ich Zürich–Barcelona fliegen will – was kriege ich denn da besseres von dieser Engine?
Es gibt nicht mehr einfach «den» Economy-Passagier. Zukünftig wird es heissen: Reisen Sie mit oder ohne Gepäck? Wollen Sie einen Sitzplatz reservieren oder nicht? Ist Ihnen ein Transfer ins Zentrum von Barcelona wichtig? Wünschen Sie Internet an Bord? Natürlich wird es immer ein «Ich-möchte-nur-von-A-nach-B-Angebot» geben. Aber zukünftig wird alles viel flexibler und mit mehr Wahlmöglichkeiten verbunden sein.

Gibt es mit den personalisierten Angeboten denn überhaupt noch die Möglichkeit auszuwählen?
Absolut. Für den Kunden wird es mehr Vorteile geben. Das Stichwort ist Relevanz. Wir wollen den Kunden nicht mit 100 Zusatzangeboten überdecken, die für ihn gar nicht relevant sind. Der Kunde entscheidet, in welchem Regal er was kaufen möchte. Wobei nicht alles in jedem Regal verfügbar sein muss. Beispiel: Ein First-Class-Flug muss ich nicht unbedingt über einen OTA anbieten, oder ein Geschäftsreisepaket einem Leisure-Partner. Wir möchten differenzieren, aber niemandem etwas vorenthalten. Das wäre auch nicht in unserem Interesse.

Was gibt es Neues im Bereich Ancillaries?
Bei Swiss Choice schauen wir uns aktuell zum Beispiel das Thema «Familie» genauer an. Wenn wir beispielsweise wissen, dass Sie als Familie nach Barcelona reisen, dann können wir Ihnen doch hilfreiche Themen anbieten. Wo bekommen Sie am Flughafen Babynahrung, wo ist der nächste Spielplatz? Wir fokussieren uns zudem sehr stark auf das Thema Swissness.

Apropos: Wie ist das Projekt Swissholidays gestartet, Ihr eigener Tour Operator?
Swissholidays ist ein Nebenthema. Wir hatten im Lufthansa-Konzern bereits Erfahrungen mit solchen Paketen und wollten sie deshalb auch auf Swiss.com anbieten. Wir möchten allerdings kein Reisebüro werden. Aber gewisse, einfache Kombinationen von Services bieten sich hierfür natürlich an. Die Buchung eines Mietwagens, eines Hotels oder einer Reiseversicherung sind naheliegend, wenn man einen Flug bucht. Wir haben aber gar nicht die Kompetenzen, umfangreiche Beratungen durchzuführen; das ist ein Mehrwert, den die Reisebüros bieten.

Geraten Sie als Swiss ins Visier der EU-Behörden mit der neuen Pauschalreiserichtlinie, wenn sie auf der Webpage immer mehr Kombinationen anbieten?
Momentan sind die Produkte im Warenkorb separat aufgelistet, und deshalb ist dies heute noch kein Thema.

Was sagen Sie zu der Forderung, dass Airlines grundsätzlich ebenfalls eine Kundengeldabsicherung haben müssten?
Diese Frage stellt sich bei uns glücklicherweise momentan nicht.

Naja, eine Versicherung schliesst man in guten Zeiten ab, und nicht wenn der Baum bereits brennt.
Wenn unsere Kunden eine Versicherung bei der Swiss wünschen würden, dann könnten wir dieses Bedürfnis sicher bedienen; aber es müsste auch bezahlt werden.

Mit Refundme und Co. hat sich mittlerweile eine ganze Branche etabliert, die sich auf Rückzahlungen von Airline-Entschädigungsforderungen spezialisiert hat. Swiss schneidet in deren Ranking nicht besonders gut ab. Wie gehen Sie mit solch einer Situation um?
Wir liegen in diesen Rankings jeweils im Mittelfeld. Ich bin grundsätzlich eher skeptisch gegenüber Rankings, die von Firmen mit eigenen kommerziellen Interessen verfasst werden. Für mich ist es zentral, dass die Kunden grundsätzlich mit uns zufrieden sind. Glücklicherweise bestätigen das unsere Kundenumfragen.

Apropos Kundenzufriedenheit: Die Ankündigung, kostenpflichtige Verpflegung auf Europaflügen ab Genf anzubieten, sorgte für hohe Wellen.
Es geht nicht darum, die Verpflegung oder andere Dienstleistungen abzuschaffen, sondern darum, verschiedene Wahlmöglichkeiten und eine Modularisierung der Produkte anzubieten. Innerhalb der Lufthansa-Gruppe werden diverse Optionen geprüft. Entschieden ist noch nichts, auch nicht in Genf.

Modularisierung der Produkte praktizieren ja primär die Billigairlines. Inwiefern unterscheidet sich die Swiss denn auf den Kurzstrecken von einem Low Cost Carrier? Ich kann ja bei Easyjet auch gegen Entgelt ein Menu bestellen.
Die ursprünglich klar differenzierten Geschäftsmodelle überschneiden sich heutzutage zum Teil tatsächlich. Einige Lowcoster bieten inzwischen Zusatzservices an, die man durchaus mit dem Basis-Economy-Produkt einer klassischen Netzwerk-Airline vergleichen kann. Gleichzeitig wünschen sich die preisbewussten Kunden auch von uns als Swiss günstige Tarife und mehr Wahlmöglichkeiten. Auf den ersten Blick sieht das Angebot recht ähnlich aus, den Unterschied macht sicherlich die eigentliche Produkt- und Servicequalität am Boden und in der Luft.

Wenn der Yield hingegen weiter zerfällt, wird es nicht einfacher, diese Positionierung zu halten. Je mehr Swiss preislich unter Druck gerät, desto mehr muss sie sich zwangsläufig in die Mitte bewegen.
Das ist korrekt. Es ist in der Tat bemerkenswert, wie sich der Yield in den vergangenen zehn Jahren verändert hat. Doch obgleich wir unsere Kostenstrukturen verbessert haben, können wir uns nicht unendlich über den Preis allein positionieren. Vielmehr geht es darum, dem Kunden ein Angebot von hochwertigen Produkten und Dienstleistungen zu bieten, das ihm einen erkennbaren Mehrwert verschafft und für das er infolgedessen auch bereit ist zu zahlen.

Der erste Teil dieses Interviews erschien gestern Donnerstag in der gedruckten Version von TRAVEL INSIDE. Als «Goodie» können Sie den Beitrag kostenlos hier nachlesen.
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