Swiss-Abbau: Überraschung oder Entrüstung sind völlig deplatziert

INSIDER-KOLUMNE von Peter Baumgartner. Er war für Swissair, Swiss und als CEO für Etihad Airways tätig, zuletzt in der Funktion eines Senior Strategic Advisor Etihad Aviation Group.

Aus Sicht der Mitarbeitenden sind die News des Stellenabbaus bei der Swiss wirklich sehr bedauerlich. Ich fühle mit jedem und jeder Betroffenen aufrichtig mit und wünsche ihnen, möglichst rasch wieder eine Beschäftigung zu finden. Überraschend kommt der Entscheid aber – leider – beim besten Willen nicht.

Ein Kommentar «von aussen» ist immer einfacher als selber harte operative Entscheidungen zu treffen. Dem bin ich mir nur zu bewusst. Trotzdem möchte ich der unmittelbaren Reaktion der Medien und anderer Kommentatoren meinen ganz persönlichen Blick entgegenstellen.

Das Narrativ der Medien ist eindeutig: Die Swiss baut Stellen ab, um Kosten zu sparen. Experten sprechen von einem «voreiligen Entscheid». Ich muss Ihnen ehrlich sagen, ich kann diese Sichtweise nicht nachvollziehen.

Niemand in der Welt der Aviatik kann ernsthaft von dem Entscheid erschüttert sein. Das wäre nicht ehrlich. Es ist schon seit Monaten klar, dass Airlines rund um den Globus nicht um diesen Schritt herumkommen werden. Ja, der Entscheid hätte, wie bei den meisten Airlines auch der Fall, früher kommen können. Er hätte wahrscheinlich auch früher fallen müssen. Darüber empört zu sein grenzt aber schon fast an Heuchlerei.

Wer sich empören möchte, der soll sich darüber echauffieren, dass ein früherer Entscheid zum klaren Schnitt allen Beteiligten mehr Zeit verschafft hätte. Beispielsweise, um kreativere Wege zu entwickeln. Oder darüber, dass der neue CEO nun in die Bredouille kommt, weil er tut, was schon andere hätten tun sollen.

Dieter Vranckx ist der Letzte, dem man hier einen Vorwurf machen kann. Ich habe mit diesem Entscheid tatsächlich schon viel früher gerechnet, Unterstützungszahlungen hin oder her. Schade, denn nun fühlt sich alles wie ein Schnellschuss an.

Was in den Medien auch etwas verdreht dargestellt wird: Es geht nicht um den «Kostenblock Personal». Nicht wirklich. Wir befürchteten es seit über einem Jahr und wussten es mit Sicherheit seit letztem Sommer: Die Corona-Pandemie trifft die Aviatik-Branche in einem noch nie dagewesenen Ausmass. Zuletzt war dies im zweiten Weltkrieg der Fall.

Der Flugverkehr verharrt weiterhin auf sehr tiefem Niveau. Wir alle wissen auch schon lange, dass die Frequenzen nicht so rasch zurückkommen werden. Die Daten und Prognosemodelle, die uns zur Verfügung stehen, zeigen seit einiger Zeit einen genügend verlässlichen Blick in die mittelfristige Zukunft.

Ein Streckennetzwerk ist ein komplexes Gebilde, viele Strecken und Verbindungen werden noch lange nicht profitabel sein. Diese müssen aus dem Flugplan. Alte, ineffiziente Maschinen müssen aus der Rotation. Was folgt, ist operative Logik: weniger Strecken, weniger Flugzeuge, weniger fliegendes Personal, weniger Techniker, weniger Overhead. Das ist nicht nur unvermeidbar, sondern passiert überall auf der Welt. Alles andere ist naives Wunschdenken. Und man sollte nicht Nachhaltigkeit einer Industrie einfordern und im gleichen Atemzug entsprechende Massnahmen torpedieren.

Was nun, wie weiter? Die «NZZ am Sonntag» kritisiert die Swiss, weil sie sich stärker auf den Leisure-Bereich ausrichtet. Natürlich, dort sind die Margen tief, der Verdrängungskampf gross, das Geschäft volatil. Aber was soll sie denn anderes tun, als sich an der Nachfrage des Marktes auszurichten?

Business und Premium benötigen mehr Zeit zur Rückkehr zur Normalität. Wenn es denn je wieder so sein wird wie früher. Zudem ist evident, dass sich das Kundenverhalten in Richtung eines ‘New Normals’ verändert. Es gelten neue Spielregeln. Auch darüber haben wir schon vor Monaten gesprochen.

Das Eis ist dünn, für alle in diesem Sektor. Schauen wir nach vorne und versuchen wir, das Business mit aller Kraft auf ein stabiles, nachhaltiges Fundament zu stellen. Profitabilität sicherzustellen, profitabel zu wachsen. Das Angebot näher an die Kundenbedürfnisse zu führen. Innovativ zu sein. Die Zäsur der Corona-Krise bietet hierfür auch eine Chance – ohne es gleich den ‘Great Reset’ der Luftfahrt zu nennen.

Dafür braucht es einen klaren Blick auf das Unvermeidbare und das Machbare. Das Streben nach Innovation, nicht das Festhalten am Bestehenden. Und den Mut zu handeln, ohne wertvolle Zeit verstreichen zu lassen – auch wenn das heisst, sich als Führungskraft zu exponieren.

Dieter Vranckx hat sich dieser Verantwortung gestellt – sein Vorgänger nicht. Nun braucht er unsere Unterstützung. Es braucht diese Solidarität – mit der Swiss, und mit den Menschen, die auf diesem Weg schwierige Entscheide fällen müssen. Den vom Stellenabbau Betroffenen wünsche ich nämlich nichts mehr, als dass sie in dieser Branche, in der unser aller Herzblut steckt, wieder Fuss fassen können.

(Peter Baumgartner)