«Unsere Gäste können, da vollständig geimpft, individuell von Bord gehen»

Jürgen Stille, Senior Director Business Development Continental Europe von NCL im Gespräch mit TRAVEL INSIDE über Shutdown, Cruise-Restart und Vertriebsfragen.
Jürgen Stille. ©NCL

Rund 16 Monate musste die amerikanische Kreuzfahrtreederei Norwegian Cruise Line (NCL) – so wie der grösste Teil der Cruise-Industrie – pandemie-bedingt ihren Betrieb pausieren. Am 25. Juli nimmt die Kreuzfahrtgesellschaft mit der Norwegian Jade ab Athen erstmals wieder Fahrt zu den griechischen Inseln auf, im September folgen in Europa die Norwegian Epic ab Barceolona und die Norwegian Getaway ab Rom. Ab US-Häfen erfolgt der Restart mit ersten Schiffen im August nach Alaska und ab Oktober in die Karibik. Wie hat NCL Kontinental-Europa den Stillstand und die Annullations-Welle bewältigt? Wie geht es nun weiter, und wie unterstützt die Reederei die Vertriebspartner? Ein Fazit nach 500 Tagen Kreuzfahrtpause mit Jürgen Stille.

Herr Stille, im März 2020 musste die gesamt Kreuzfahrt-Industrie innert Tagen ihren Betrieb einstellen – wie haben Sie diesen Schock erlebt?

Nun, zuerst ging man allgemein noch davon aus, dass diese unglaubliche Lage nur einige Wochen oder Monate dauern würde – wir wissen ja nun alle, dass dem nicht so war. Wir haben uns umgehend um unsere Gäste und Crew gekümmert, sodass gar keine Zeit für eine «Schockstarre» blieb. Zuerst mussten wir uns vor allem um die zwei Schiffe kümmern, die damals noch unterwegs waren und nicht mehr in Häfen zugelassen wurden: Die Norwegian Spirit in Südafrika und die Norwegian Jewel, die nach dreiwöchiger Fahrt endlich in Hawaii anlegen konnte. Nun galt es Charterflüge zu organisieren, damit die Gäste endlich wieder nach Hause zurückkehren konnten. Auch die Heimführung der Crew erforderte einen grossen organisatorischen Aufwand.

Wie hat NCL diese Aufgabe gelöst?

Als absehbar war, dass für lange Monate nicht mehr an einen Betrieb zu denken war, führten wir mehrere Schiffe der Flotte bei unserer karibischen Privatinsel Great Stirrup Cay zusammen. Die Crews sämtlicher Einheiten wurden je nach Heimatland auf einzelne Schiffe verteilt, die dann die Mitarbeitenden wie ein gigantischer Taxi-Dienst in ihre jeweiligen Länder zurückführten.

Gleichzeitig wurden aber auch sämtliche Kreuzfahrten für die folgenden Wochen und Monate abgesagt…

Die Annullationen hatten natürlich eine riesige Flut von Fragen der Kunden und Vertriebspartner zur Folge, die alle wissen wollten, wie es nun weitergeht. Wir standen von Beginn weg ständig in Kontakt mit unseren Vertriebspartnern und unterstützten sie in ihrer Arbeit. Dies war eine äusserst herausfordernde Zeit, die uns nie zurücklehnen liess, und wir haben auch nie unsere Telefonleitung stillgelegt. Die sich ständig verändernde Lage hat uns permanent gefordert – und zwar intern in sämtlichen Abteilungen, wo Hundertausende von Vorgängen damit verknüpft waren.

Annullationen sind weiterhin nicht gänzlich auszuschliessen: Welche Optionen bietet NCL gegebenenfalls den Kunden an?

Wir waren die erste Reederei im deutschsprachigen Raum, die von Beginn weg bei einer durch uns annullierten Kreuzfahrt den Kunden entweder den Reisepreis zurückerstattet haben oder einen Gutschein für eine künftige Kreuzfahrt anbot, der mit einem «Goodie» von zehn Prozent aufgewertet wurde – das ist nach wie vor unser Standard.

Und wie sehen die Bedingungen bei einer Stornierung durch die Kunden aktuell noch aus?

Nach wie vor und für alle Abfahrten bis 31. Oktober gilt unser «Peace of Mind»-Angebot. Dabei kann der Kunde bis 15 Tage vor Abfahrt kostenfrei umbuchen oder einen Gutschein im Wert von 100 Prozent des Reisepreis beziehen, der für eine Kreuzfahrt bis Ende 2022 einlösbar ist. Eine Bar-Rückerstattung ist in diesem Falle nicht möglich, denn der Kunde storniert ja aus eigener Entscheidung und nicht weil wir die Fahrt nicht durchführen können.

Und wie sieht es mit der Entschädigung für die Reisebüros aus im Zusammenhang mit all den Annullationen, Stornierungen, Umbuchungen und Rückerstattungen?

Wenn bei einer Annullation der volle Reisepreis bezahlt wurde, was vor allem bei kurzfristigen Buchungen der Fall ist, dann erhält das Reisebüro auch die volle Basiskommission. Etwas anders gelagert ist der Fall, wenn nur eine Anzahlung geleistet wurde, was bei mittel- und längerfristigen Buchungen der Fall ist. Löst der Kunden einen Gutschein mit «Goodie» ein, erhält das Reisebüro zudem eine Kommission auf den höheren Wert.

Gibt es darüber hinaus noch eine Art Aufwandentschädigung für die ganze Zusatzarbeit, welche die Vertriebspartner zu bewältigen haben?

Das können wir leider nicht gewähren, denn auch bei uns fällt ja mehr Zusatzarbeit an. Wir sitzen in dieser Situation alle im gleichen Boot.

Musste eigentlich das Vertriebsteam bei NCL während der Pandemie reduziert werden?

Nein, es gab keinen personellen Abbau bei den 13 Mitarbeitenden im Aussendienst, aber im letzten Jahr natürlich vorerst auch Kurzarbeit. Seit vergangenem Dezember arbeiten wir alle aber wieder Vollzeit.

Hatte Michael Nowatzki überhaupt noch Zeit für den Markt Schweiz?

Die nahm er sich! Er war ständig in Kontakt mit den Vertriebspartnern, hat virtuelle Roundtables organisiert, die sehr gut ankamen, ebenso Webinars, Trainings und Produkteschulungen. Er hat mir kürzlich erzählt, dass er in dieser Zeit über 3000 Telefonate geführt und rund 15’000 Mails geschrieben hat – und dabei mindestens 15 Kilo Schweizer Schokolade verschlungen hat.

NCL lancierte in der Pandemie auch die eine oder andere Neuheit für den Vertrieb, so etwa die neue Flugbuchungsmaschine NCL Air.

Dieses Tool planten wir bereits vor der Pandemie und konnten es dank einem Effort der IT-Abteilung nun einführen. NCL Air ist absolut ein Highlight, weil es alle Flüge zu tagesaktuellen Preisen in Echtzeit darstellt – zuvor war dies nur für ausgewählte Flüge und Abflugsorte möglich. Ein weiterer Vorteil: Die Reisebüros erhalten damit auch auf den Flügen die volle Basiskommission, zudem reduziert sich der Cruise-Preis, wenn ein Package Flug plus Cruise gebucht wird. Die Bildung solcher Packages ist für die Reisebüros auch aus Risiko-Sicht attraktiv: Damit wird NCL zum Veranstalter und nicht das Reisebüro. Das ist gerade für die Schweiz von Interesse, für uns traditionell ein wichtiger Gruppen-Markt, wo die Reisebüros eigene Pakete schnüren.

Und wie kommt NCL Air nun tatsächlich an?

Seit auch die Buchungen für 2022 angelaufen sind, schlichtweg hervorragend. Wir verzeichnen rund 30 bis 40 Prozent mehr Flugbuchungen als vor der Pandemie.

Mit Norwegian Central hat NCL auch den Agenturbereich weiterentwickelt – warum?

Wir boten unseren Vertriebspartnern schon zuvor eine grosse Palette von Hilfen und Möglichkeiten an, für die man sich aber individuell anmelden musste. Mit Norwegian Central ist jetzt nur noch ein Login notwendig, um auf all die verschiedenen Bereiche von der Buchung über das Marketing, alle Informationen und Kontakte zugreifen zu können, die wir zudem weiter ausgebaut haben.

NCL hat bereits im Januar einen neuen Katalog 2021/22 veröffentlicht – wie gültig ist dieser überhaupt noch?

Gewisse für 2021 ausgeschriebene Abfahrten mussten natürlich noch angepasst werden, aber für 2022 sind wir sehr zuversichtlich, dass die publizierten Angebote wie ausgeschrieben durchgeführt werden können. Vielleicht müssen im ersten Quartal des nächsten Jahres noch gewisse Änderungen je nach individueller Lage in den Ländern durchgeführt werden, aber im Grossen und Ganzen sind wir optimistisch, dass Planung verlässlich ist.

Wie präsentiert sich der anstehende Restart nun in Bezug auf die Buchungen?

In diesem Sommer herrscht ja noch in vielen Länder der Trend, dass man im eigenen Land bleibt. Trotzdem sind die ersten Fahrten mit der Norwegian Jade ab Athen, die Ende Juli mit Kreuzfahrten zur griechischen Inselwelt startet, sehr gut gebucht. Anfang September folgen dann in Europa noch die Norwegian Epic ab Barcelona und die Norwegian Getaway ab Rom. Einen gewissen Einfluss auf die Buchungen hat aber der Umstand, dass NCL nur vollständig geimpfte Gäste an Bord zulässt.

Was meinen Sie damit?

Eine vollständige Impfung sämtlicher Passagiere verlangen wir derzeit noch bis 31. Oktober. Das hat Einfluss auf Buchungen von Familien, da Kinder in einigen Regionen noch nicht geimpft werden können. Allerdings starten unsere Schiffe auch mehrheitlich erst nach den Schulferien. Es bedeutet aber auch, dass unsere Gäste, weil sie zu 100 Prozent geimpft sind, individuell von Bord können und somit keine Landgänge in der «Bubble» notwendig sind. Diese Zusicherung haben wir derzeit von allen Destinationen, die wir auf unseren Europa-Routen anlaufen. Wir passen unsere Regularien auf lokale Gegebenheiten an und empfehlen das Tragen einer Maske überall, analog zur aktuellen Lage in Europa, ausser während des Essens und Trinkens oder wenn sich die Gäste in ihrer Kabine befinden.

Und wie sieht die Nachfrage mittelfristig für 2022/23 aus?

Ausserordentlich gut. Stand heute liegt der Buchungsstand in der Schweiz für 2022 über dem vergleichbaren Wert von 2019 für 2020 – andere Märkte liegen gar deutlich darüber. Das belegt, dass die Nachfrage für Kreuzfahrten sich bereits wieder sehr positiv entwickelt und ein grosses Nachholbedürfnis für Kreuzfahrten im Markt herrscht.

Was planen Sie in nächster Zeit noch für Ihre Vertriebspartner?

Wir sind natürlich alle begierig darauf, einander wieder persönlich zu treffen und uns «real» auszutauschen. Deshalb haben wir in Partnerschaft mit unserer Schwestergesellschaft Oceania Cruises und dem Flussfahrten-Anbieter Viva Cruises eine Roadshow durch Deutschland, Österreich und die Schweiz organisiert, die am 25. Oktober auch in Zürich und am 26. Oktober in Luzern Halt macht. Wir freuen uns sehr darauf, mit unseren Vertriebspartnern gemeinsam den Restart der Kreuzfahrten weiter in Schwung zu bringen.

(Beat Eichenberger)