Was passiert bei einem medizinischen Notfall auf 10’000 m

Im aktuellen Swiss Magazin erklären Dr. Sebastian Hergen, stellvertretender Chefarzt des SWISS Medical Services, und Patricia Klaus, Leiterin des Medical Trainings bei Lufthansa Aviation Training Switzerland, kennen die Antworten.
©Swiss Magazin

ZRH – BKK, LX180, 22.00 Uhr CET: Wir befinden uns auf einem Langstreckenflug von Zürich nach Bangkok, durchgeführt mit einer Boeing 777 mit 320 Sitzen. Alles verläuft ruhig, einige Passagiere schlafen bereits und träumen von den anstehenden Ferien. Einzig der ältere Herr hinten links auf 34A wirkt ungewöhnlich blass.

Die Crew ist stets wachsam, auch während ruhigeren Momenten. Als Cabin Crew Member Nadine auf ihrem Rundgang die Toiletten auffüllt, fällt ihr der Passagier auf. Sie tauscht einen kurzen Blick mit Luca, ihrem Kollegen aus. «Ich gehe mal nachsehen», sagt sie und nähert sich dem Mann. Was, wenn es mehr als nur eine leichte Schwäche ist?

15’000 – 20’000 Passagiere, ein Notfall

Doch sehen wir uns erst die Statistik an: Swiss führt jährlich Tausende von Flügen durch und befördert 16,5 Millionen Passagiere. Bei dieser hohen Zahl an Reisenden kommt es statistisch gesehen alle 15’000 bis 20’000 Passagieren zu einem medizinischen Zwischenfall, wie Dr. Sebastian Herrgen von Swiss Medical Services erklärt.

Das Team von Swiss Medical Services umfasst 20 Mitarbeitende – Ärzt*innen und medizinische Praxisassistentinnen. Sie kümmern sich um das Wohlergehen der Crews, führen Routinechecks durch und prüfen die Reisetauglichkeit von Passagieren.

Die häufigsten Ursachen für Notfälle an Bord internationaler Airlines sind Kreislaufkollapse, Magen-Darm-Beschwerden oder Atemprobleme. «Auf Langstreckenflügen befindet sich in 70 bis 80% der Fälle eine Ärztin oder ein Arzt an Bord», sagt Dr. Herrgen.

Wenn ein medizinischer Notfall auftritt, zählt jede Minute. Pro Jahr muss Swiss fünf- bis zehnmal ungeplant an einem Ausweichflughafen landen, um Passagieren die beste Versorgung zu ermöglichen. Die Entscheidung, wohin umgeleitet wird, trifft letztlich die Cockpit-Crew. Meist verlaufen solche Vorfälle glimpflich, doch «leider kommt es in seltenen Fällen zu ein bis drei Todesfällen pro Jahr», so Dr. Herrgen.

Die Cabin Crew als fliegende Helfer*innen

Nadine hat den Passagier inzwischen erreicht. Sie fragt ihn nach seinem Wohlbefinden, doch seine Stimme ist schwach. Es könnte nur eine leichte Schwäche sein – oder mehr. Bei kleineren medizinischen Zwischenfällen wie Reiseübelkeit oder Kopfschmerzen kann die auf Erste Hilfe geschulte Cabin Crew eigenständig handeln. Sie ist auch in Herzmassage, Beatmung und der Bedienung des Defibrillators gut trainiert. Wird die Situation jedoch ernster, folgt der nächste Schritt: eine Durchsage, um medizinisch qualifiziertes Personal an Bord zu finden.

«Liebe Gäste, wir haben einen medizinischen Notfall. Gibt es qualifiziertes medizinisches Personal an Bord? Bitte melden Sie sich in der Economy-Küche oder benachrichtigen Sie ein Mitglied der Kabinenbesatzung», meldet Nadine. Der Tonfall bleibt ruhig, doch jede Sekunde zählt.

Ein weiteres Crewmitglied, Marco, bringt das Notfallequipment: Erste-Hilfe-Koffer, Sauerstoffflaschen, Defibrillator und Beatmungsmasken. Luca informiert den Maître de Cabine (Kabinenchef), der wiederum das Cockpit auf dem Laufenden hält. Nadine redet beruhigend auf den Passagier ein, während Luca das Notfallprotokoll vorbereitet und Informationen weitergibt. Sollte kein qualifiziertes Personal anwesend sein, wird auf Langstreckenflügen MedAire, ein telemedizinischer Dienst für Airlines, per Satellitentelefon kontaktiert. «Wichtig ist, dass nur Fakten und keine Interpretationen weitergegeben werden», betont , Head of Medical Training bei Lufthansa Aviation Training Switzerland AG.
Ausgebildet von medizinischen Fachpersonen

Die Crew ist für Ernstfälle wie diese vorbereitet. «Jedes Cabin Crew Member durchläuft einen 15-wöchigen Grundkurs und einen vier Tage umfassenden Erste-Hilfe-Kurs», sagt Patricia Klaus. Es ist nicht nur eine Pflichtausbildung, sondern eine Lizenzvoraussetzung, die durch die EASA (Europäische Agentur für Flugsicherheit) geregelt wird. Die Themen sind weitreichend: Verletzungen, Reanimation, Flugphysiologie, Tropenmedizin bis zur Geburt an Bord. Am Ende des Grundkurses steht eine Trockenübung, der Dry Flight, an. Die Besatzung begibt sich auf einen fiktiven Flug in einer Flugzeugattrappe, um realitätsnahe Szenarien mit kleineren Zwischenfällen zu üben.

Medizinische Ausrüstung an Bord

Die Swiss-Flotte ist gemäss den Vorgaben der Europäischen Agentur für Flugsicherheit mit einheitlichem Notfallequipment ausgestattet. «Dazu gehören ein First Aid Kit für leichtere Beschwerden wie Kopfschmerzen oder Übelkeit und ein Emergency Medical Kit für schwerwiegendere Notfälle», erklärt Sebastian Herrgen. «Ausserdem sind ein automatischer externer Defibrillator und Beatmungsmasken vorhanden, ebenso wie Sauerstoffflaschen in ausreichender Menge.»

Im Fall des blassen Herrn auf 34A reicht das First Aid Kit aus. «Glücklicherweise war es nur ein kleiner Schwächeanfall, und eine Cola hat ihm wieder Farbe ins Gesicht gezaubert», berichtet Nadine erleichtert. Doch für die Crew sind diese Szenarien nicht selten.

«Medizinische Notfälle können durch die besonderen Flugbedingungen wie dem Kabinendruck, der je nach Flugzeugtyp einem Luftdruck in einer Höhe von 1800 bis knapp 2500 Metern über dem Meeresspiegel entspricht, trockener Luft sowie eingeschränkter Beweglichkeit an Bord begünstigt werden», führt Sebastian Herrgen aus. Deshalb gibt er gleich einige wichtige Gesundheitstipps mit auf den Weg.
Präventive Gesundheitstipps für Passagiere
  • Flugtauglichkeit prüfen: Chronisch Kranke, die z.B. aufgrund einer Herz-/ Lungenerkrankung Sauerstoff am Boden benötigen, stark eingeschränkt sind aufgrund ihrer Vorerkrankung oder regelmässig Medikamente einnehmen, sollten ihre Flugtauglichkeit ärztlich abklären und ein Attest rechtzeitig vor dem Flug im medizinischen Portal bei Swiss hochladen. Swiss Medical Services kann die Freigabe der Reise so aus flugmedizinischer Sicht prüfen. Bei akuten Erkrankungen, wie kürzliche erlittenem Schlaganfall oder Herzinfarkt, ist von einem Flug abzuraten.
  • Flüssigkeitszufuhr: Um einer Dehydrierung durch die trockene Luft im Flugzeug vorzubeugen, sollten Passagiere auf eine ausgewogene Flüssigkeitszufuhr achten. Alkoholische und koffeinhaltige Getränke sollten vermieden werden.
  • Bewegung: Gerade bei Langstreckenflügen ist es wichtig, regelmässig aufzustehen und einfache Bewegungen mit Füssen und Beinen im Sitzen zu machen, um den Kreislauf anzuregen. Für manche Passagiere sind Stützstrümpfe oder Medikamente gegen Thrombose sinnvoll, wobei dies individuell mit der/dem Ärzt*in besprochen werden sollte.
  • Druckausgleich: Sollte der Druckausgleich vor Flugantritt nicht möglich sein, ist von einer Flugreise abzusehen. Dies gilt insbesondere auch für Kleinkinder.

©Swiss Magazin (Business Traveltip)

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