Was tun bei Overtourismus und veränderter Reiselandschaft?

Im Anschluss an die GV fand die neu gestylte Fachtagung statt, bei der die Themen ‘Reiselandschaft im Wandel’ und ‘Overtourism’ diskutiert wurden.
Die Protagonisten an der komplett neu aufgezogenen SRV Fachtagung. ©TRAVEL INSIDE

Die Fachtagung an der SRV-GV wurde in einem neuen Format – angelehnt an die SRF-Sendung Arena – als SRV-Arena aufgezogen.

SRV-Präsident Martin Wittwer wollte oder musste nach den vorangegangen beiden Fachtagungen – in Sevilla und Parma – mit eher mässigem Resultat einen neuen Anlauf unternehmen. Topline-Chef Heinz Zimmermann installierte ein komplett neues und auch aufwändiges Konzept und führte auch gleich selbst Regie vor Ort.

Als Moderator auf der Bühne war – wie auch schon in Parma – erneut Jean-Claude Raemy, Wirtschafts-Journalist beim «Blick» (Ringier) und auch ehemaliger Chefredaktor bei TRAVEL INSIDE, verantwortlich. Er moderierte die Fachtagung und führte das Publikum durch die Podiumsdiskussionen.

Das neue Format für die SRV-Fachtagung war eindeutig besser als die beiden Vorgänger und darf als Erfolg bezeichnet werden, wenngleich – technisch betrachtet – nicht alles optimal umgesetzt werden konnte. Dies tat den spannenden und interessanten Ausführungen und Diskussionen indes keinen Abbruch.

Sie zogen das neue Fachtagungs-Format auf (von links): SRV-Präsident Martin Wittwer, Heinz Zimmermann und Jean-Claude Raemy. ©TRAVEL INSIDE

Im Fokus der Diskussion standen zwei Themen, welche die Reisebranche aktuell beschäftigen:

  1. ‘Reiselandschaft im Wandel’
  2. ‘Overtourism’
  • Wie verändern der digitale Wandel und künstliche Intelligenz die Reisebranche? 

«Ein düsteres Bild für die Reisebranche. Braucht es Reiseexperten in Zukunft überhaupt noch?». Mit dieser Frage stieg Jean-Claude Raemy noch dem Impulsreferat von Pierre-Alain Regali, Mitgründer und Ex-Direktor Ebookers, in die Diskussionsrunde ein. Im Podium diskutierten:

Stationärer Vertrieb: Birgit Sleegers, Helbling Reisen
Vertriebstechnologie: Manuel Hilty, Nezasa
Reiseveranstalter: Stephanie Schulze zur Wiesch, Dertour Suisse
Online Vertrieb: Roland Zeller, Innuvik

Als Experten beigezogen wurden:

Pierre Alain Regali, ehemaliger CEO Ebookers
Deniz Ugur, Bentour Reisen

Künstliche Intelligenz ist auf dem Vormarsch und macht auch vor der Reisebranche nicht Halt. Doch dies könne auch positiv gesehen werden, denn im Fokus stehe die Frage: «Wie können wir unseren Service mit digitalen Tools verbessern?», sagte Pierre-Alain Regali.

Neben neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz wühlten in diesem Jahr auch die Schliessungen und Verkäufe etablierter touristischer Unternehmen die Branche auf – man denke an FTI und Hotelplan. Solche grundlegenden Veränderungen brauchen Agilität aller Teilnehmenden. Wie planen und legitimieren Reiseveranstalter ihr Vertriebsmodell in Zukunft?

Es entstanden intensive Diskussionen auf der Bühne, welche vom Publikum angeregt mitverfolgt wurden. Immerhin ging es hier um die Zukunft der Branche und somit auch um die Arbeitsstellen der teilnehmenden Reiseexperten.

Das Podium war sich einig, dass es Reiseveranstalter es auch in Zukunft noch geben wird, der Mensch sei nicht so einfach ersetzbar. Es brauche dann aber Spezialisten, warf Stephanie Schulze zur Wiesch ein: «Der Kunde übt Druck aus, wünscht mehr Service und erwartet Innovation.»

In der Pandemie hätte sich die Reisebranche umorientieren müssen und habe dementsprechend digitale Fortschritte erzielt. Aus der Diskussionsrunde war zu entnehmen, dass man Zeit und Geld in IT-Projekte investieren solle. Doch wie viel Geld? Hier kristallisierte sich eine klare Meinung von Experten und Podiums-Teilnehmern: Riesige Inhouse-Projekte zu veranstalten, bringe nichts. Dies sei schlicht und einfach viel zu teuer für die meisten Reisebüros und Tour Operator.

Es sei viel wichtiger, sich auf die Kundenwünsche zu konzentrieren und den Kunden ins Zentrum zu stellen, betonte Birgit Sleegers. Dennoch sei es zentral – bemerkte das Podium – dass Reisebüros in ihren Filialen in neue Technologien investieren und ihrer Kundschaft einen Service bieten, der auf dem neuesten Stand ist.

Mit reichlich Diskussionsstoff über die Zukunft verabschiedete sich das Publikum in die Pause.

  • Reisebranche, Politik, Touristen: Wer trägt die Verantwortung für Overtourism?

Proteste auf den kanarischen Inseln, Mallorca, Barcelona. Einheimische, die genug haben von den Touristen-Scharen: Das Wort Overtourism war diesen Sommer wieder in aller Munde, Medien griffen das Thema gerne auf.

Immerhin zählt der Tourismus gemäss der Welttourismusorganisation (UNWTO) zu den am schnellsten wachsenden Wirtschaftssektoren, das Wort Overtourism kam zum ersten Mal im Jahr 2016 auf. 2019, als das Wort erstmals Popularität erlangt hatte, kam Corona und die Zahlen brachen ein – doch es dauerte nicht lange und das Problem kehrte zurück. Und wird gemäss den eingeladenen Expert*innen auch nicht von alleine verschwinden.

Doch was kann die Reisebranche konkret dagegen tun? Steht es überhaupt in ihrer Macht, dem Overtourismus entgegenzuwirken? Oder sind es vielmehr die Politik und die lokalen Behörden, welche neue Gesetze erlassen sollen? Sind es vielleicht die Influencer, welche für überfüllte Destinationen sorgen, oder muss man gar die Reisenden selbst in die Verantwortung ziehen?

Diesen Fragen ging die Diskussionsrunde auf den Grund. Im Podium diskutierten:

Spezialisten: André Lüthi, Globetrotter
Generalisten: Philipp von Czapiewski, TUI Suisse
Kreuzfahrten: Cornelia Gemperle, Kuoni Cruises
DMC: Mar de la Fuente, Dertour Group Spain

Als Expert*innen eingeladen waren:

Airlines: Urs Limacher, Edelweiss
Influencerin: Beatrice Lessi, Ask the Monsters

Beatrix Morath von Alix Partners appellierte in ihrem Impulsreferat – per Video – an die Branche selbst, alles in Ihrer Macht stehende zu tun, um dem Overtourismus entgegenzuwirken. Schliesslich seien die Reiseexperten am Puls des Problems und könnten dementsprechend auch gegensteuern.

Dem widersprach Roland Bachmeier, lokaler Tourismusexperte auf Madeira. In seinem Referat sprach er die Overtourism-Probleme aus Sicht von der Atlantik-Insel an. Zwar sei Madeira noch kein typischer Overtourism-Hotspot, doch es sei ‘kurz vor 12’.

Aufgrund der vielen Kreuzfahrtschiffe, die im Winter auf Madeira anlegen, könnten sich Einheimische in Funchal auch nicht mehr frei bewegen. Unzählige Touristen würden Leihautos mieten und die steigenden Mietpreise seien für Einheimische fast nicht mehr bezahlbar.

Letztendlich könne aber nur die Politik neue Gesetze erlassen, welche den Tourismus regulieren und die Einheimischen entlasten. Die Reisebranche selbst hat gemäss Roland Bachmeier nicht viel Einfluss.

In einem waren sich alle einig: Overtourism wird nicht einfach verschwinden und es muss etwas getan werden, um wieder eine Balance zu finden. Denn Tourismus sei in manchen Destinationen schliesslich der wichtigste Wirtschaftszweig – doch überfüllte Destinationen sind weder für Einheimische noch für Touristen attraktiv.

Doch, wie dagegen vorgegangen werden soll und wer die ‘Schuld’ trägt, darüber entstanden hitzige Diskussionen, die vorerst zu keiner Einigung führten.

Sind wir bereit, für exklusivere und teurere Ferien zu bezahlen? 

André Lüthi sah Potenzial im Preis-Kriterium: Der Preis allein solle nicht das alleinige Kriterium sein, schliesslich habe das Reisen einen Wert, zu dem man zurückfinden müsse und verwies auf die teils tiefen Einnahmen von im Tourismus tätigen Einheimischen.

Konkret bedeutet dies beispielsweise lieber Ferien im kleinen, aber teureren und exklusiveren Kreuzfahrtschiff als im riesigen, aber auch billigeren Kreuzfahrtschiff mit Tausenden anderen Touristen im Hafen anzulegen – Qualität vor Quantität.

Dies sorgte für hitzige Diskussionen sowohl im Podium als auch im Publikum. Teurere und exklusivere Ferien könnten sich viele – vor allem Familien – nicht leisten. Eine Wortmeldung aus dem Publikum von Marcel Gehring (Let’s go Tours) resümierte wie folgt: Es sei unrealistisch, dass Reisebüros und Tour Operator den Kunden keine Reisen mehr in beliebte Hotspots verkaufen würden, schliesslich müssten sie ihren Umsatz generieren und der Kunde würde dann einfach beim nächsten Reisebüro buchen.

Ist es also doch die Politik, die handeln muss? ‘Wir müssen uns alle gemeinsam an einen Tisch setzen und Lösungen suchen’, sagte Cornelia Gemperle abschliessend. Konkrete Lösungen gab es also keine, aber darüber zu diskutieren und das Problem ins Bewusstsein zu bringen, das sei schon ein erster Schritt.

Angela Lang, Funchal