«Wir bezahlen jede Woche mehrere Millionen Schweizer Franken aus»

Swiss-CCO Tamur Goudarzi Pour sagt, warum Reisebüros bei den Rückerstattungen nicht bevorzugt behandelt werden.
Tamur Goudarzi Pour, CCO. ©Swiss

Staatshilfe, Stornos und Sichtflug – Swiss ist in grossen Turbulenzen und der Verhältnis mit den Reisebüros und Agenten, aber auch mit den Endkunden, bleibt angespannt. Die grossen Fragen sind: Wie verlässlich ist der Flugplan? Und: Wann fliesst endlich Geld für stornierte Flüge zurück? Im Interview mit TRAVEL INSIDE nimmt Swiss-CCO Tamur Goudarzi Pour Stellung.

Nach wie vor werden reihenweise Flüge abgesagt und Pax umgebucht. Warum so viele Stornierungen? Ist Ihr Flugplan überambitioniert?

Nein, die Flugpläne der letzten paar Monate waren Übergangsflugpläne in einer akuten und dynamischen Corona-Situation. Wir haben uns an den zahlreichen Einreisebestimmungen orientiert und die Flugpläne immer sukzessive publiziert, sind auf Sicht geflogen.

Wie realistisch ist der diese Woche publizierte Flugplan bis Oktober, bzw. Wie hoch die Chance, dass er so stattfindet?

Sehr hoch, denn was gerade stattfindet ist die grösste Neuveröffentlichung eines Flugplans in der Geschichte von Swiss. Es ist der erste Flugplan, der nun mehr Planungssicherheit und Vertrauen sicherstellt. Nach einer turbulenten Zeit schauen wir mit dem neuen Flugplan, der bis zum 24. Oktober 2020 gilt, nun mit mehr Zuversicht nach vorne. Voraussetzung ist natürlich, dass es zu keinen weiteren Covid-19-Ausbreitungen in einzelnen Ländern mehr kommen wird. Wir müssen folglich weiterhin eine gewisse Flexibilität bewahren, um entsprechend agieren zu können.

Wagen Sie eine prozentuale Prognose?

Stand heute werden wir bis Ende Oktober ungefähr 40 Prozent unseres ursprünglichen Flugplans durchführen können. Dies entspricht rund 1400 wöchentlichen Flügen, bei einer Abdeckung von 85 Prozent der weltweiten Swiss-Destinationen. Wir bieten unseren Passagieren also ein breites Angebot an, wenn auch mit weniger Frequenzen. Es ist uns wichtig, dass unsere Kunden zunächst überhaupt wieder an ihre Zielorte gelangen.

Geben Sie damit, nach der Rückfluggarantie, auch eine Hinfluggarantie ab?

Der neu kommunizierte Flugplan vermittelt unseren Kunden eine gewisse Stabilität und Vertrauen. Bei Corona bezogenen Unsicherheiten finden unsere Kunden in unserem Travel Briefing auf swiss.com Informationen zur nächsten Flugreise. Mit dem stabilen Flugplan möchten wir Flugannullationen soweit wie möglich reduzieren. Es wird sicherlich auch nach wie vor zu Annullationen kommen, aber es sollen so wenige wie möglich sein. Zudem haben wir eine generelle Rückfluggarantie abgegeben, die es erstmals allen Kunden ermöglicht, in der aktuellen Corona Situation sicher planen zu können. Neben den bestehenden flexiblen Umbuchungsmöglichkeiten bieten wir die Rückfluggarantie auf allen europäischen Strecken an.

Des Weiteren können zusätzliche Optionen erworben werden, die beispielsweise medizinische Umstände absichern oder eine Umbuchung auf den nächstmöglichen Flug ermöglicht. Das Paket gibt den Kunden eine gute Absicherung ohne das zusätzliche Kosten anfallen.

Wie viele Flüge wurden in den bisherigen Übergangsflugplänen auch tatsächlich durchgeführt? Und wie viele sind wegen staatlicher Vorgaben ausgefallen, wie viele wegen zu wenig Pax?

Im Monat Juni mussten wir rund 10 Prozent unserer Flüge annullieren. Die Hälfte davon aufgrund von geänderten Einreisebestimmungen und die andere Hälfte aus mangelnder Nachfrage. Ich gehe davon aus, dass es zukünftig sehr viel stabiler sein wird. Wir rechnen nun mit einer deutlich niedrigeren Quote und einer Durchführung unseres Flugplans von mindestens 95 Prozent.

Von den Stornierungen waren bedauerlicherweise über eine Million Passagiere betroffen, die wir jetzt alle umbuchen müssen. Diese Menge hatte Swiss noch nie. Das ist auch der Grund, weshalb unsere Service Center überlastet sind und alles etwas länger dauert als üblich. Die Kunden, die nicht in den nächsten 14 Tagen umbuchen müssen, bitten wir, noch etwas zuzuwarten.

Sie geben eine Rückfluggarantie – können Sie das Versprechen überhaupt einlösen, wenn Grenzen wieder geschlossen würden?

Das eine sind natürlich die regulären Flüge. Im Einzelfall sollen Kunden eine Umbuchung vornehmen können, ohne dass Mehrkosten anfallen. Wir haben zu Beginn der Krise im Auftrag des EDA und mit der Autorisierung der Behörden Sonderflüge durchgeführt. Im Bedarfsfall würden wir Sonderflüge erneut in Betracht ziehen. In weniger kritischen Fällen können wir grössere Maschinen einsetzen, um damit mehr Kapazität zu schaffen.

Wie viele PAX halten ihre Buchung aufrecht, wie viele buchen sofort um, wie viele nehmen einen Gutschein, wie viele verlangen ihr Geld zurück, in Prozenten? Wie ist die Entwicklung? Nehmen Gutscheine mehr zu als die Geld-Rückforderungen?

Die grosse Mehrheit nimmt die Refund-Möglichkeit nicht in Anspruch. Wir haben bereits knapp 100’000 Vouchers ausgestellt, die von den Kunden beantragt wurden, 23’000 mehr als vor etwa einem Monat. Wir werden die Voucher-Aktion noch weiter automatisieren und vereinfachen. Daneben gibt es immer noch viele Kunden, die eine Rückerstattung wünschen, und diesem Wunsch kommen wir weiterhin nach. Jeder Kunde, der eine Rückerstattung möchte, wird sein Geld auf der Basis des geltenden Rechts zurückerhalten.

Wie viele Millionen haben Sie schon zurück bezahlt, wie viele stehen noch aus, 800 Millionen, wie in der NZZ stand?

Diese Information ist nicht richtig. Stand heute, haben wir bereits einen dreistelligen Millionenbetrag ausbezahlt. Die Rückerstattungen, die noch ausstehen, werden wir in den kommenden Wochen und Monaten bearbeiten. Insgesamt belaufen sich die aufgelaufenen und prognostizierten Rückerstattungen bis Jahresende auf einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag.

Wann geht es endlich vorwärts mit der Rückerstattung?

Wir haben die Ressourcen so weit erhöht, dass wir jede Woche mehrere Millionen Schweizer Franken ausbezahlen. Unser Ziel ist es, in den nächsten sechs Wochen die Ansprüche jener Kunden, die schon am längsten auf die Rückzahlung warten, weitgehend abzuarbeiten. Die neueren Erstattungsanträge werden rollierend im Zeitraum von zwei bis drei Monaten bearbeitet. Die Wartezeit wird somit sukzessive verkürzt. Natürlich werden wir auch die Auflagen des Bundes erfüllen und den Reiseveranstaltern im Rahmen des Pauschalreisegesetzes die Forderungen bis spätestens Ende September erstatten.

Also können die Reisebüros und Agenten damit rechnen, dass sie im Juli Geld erhalten?

Natürlich. Es fliesst jetzt schon Geld, und es ist auch bereits früher Geld geflossen.

Wie viel Geld schuldet die Swiss den Reisebüros, mehrere hundert Millionen Franken wie in der NZZ zu lesen war?

Diese Information ist falsch. Es handelt sich um einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag.

Swiss macht die Rückerstattungen jetzt in Handarbeit. Am einfachsten wäre, den Button im Buchungssystem zu aktivieren. Wann kommt das endlich?

Kunden, die direkt bei uns gebucht haben, können die Rückerstattung online auf unserer Website beantragen. Um eine Gleichbehandlung zu schaffen, gibt es bei den Reisebüros derzeit keinen automatisierten Prozess. Wenn wir den Prozess jetzt automatisieren würden, wären die Kunden bevorzugt, die ihre Tickets über Reisebüros gekauft haben. Es geht hier um ein Fairnessprinzip gegenüber all unseren Kunden. Wir werden die Forderungen nach Fristigkeit, sprich die ältesten zuerst, abarbeiten. Uns ist bewusst, dass dies kein Dauerzustand sein kann. Deshalb werden wir zu einem bestimmten Zeitpunkt entscheiden, auch bei Reisebüros wieder Automatismen einzuführen. Wie schnell, hängt auch davon ab, wie wir mit der Bearbeitung der bisherigen Refunds vorankommen.

Ihre Reisebüropartner und Agenten werden also nicht bevorzugt behandelt?

Wir wollen alle Kunden gleich behandeln. Es soll keine Rolle spielen über welchen Kanal diese ihr Flugticket gebucht haben.

Die neu eingeführte Rückbestätigung, ob ein Kunde seine Buchung nach der Stornierung seines Fluges aufrecht halten will, bedeutet wieder Arbeit für die Reisebüros, die nicht bezahlt ist. Finden Sie das fair?

Wir haben sehr unterschiedliche Reaktionen von unseren Partnern erhalten. Es gibt Partner, die den Direktkontakt mit ihren Kunden begrüssen, weil sie dann auch wissen, ob diese die Reise auch wirklich antreten werden. Andere Partner waren eher kritisch eingestellt, weil dies natürlich Mehrarbeit bedeutet. Im Übrigen ist es auch für uns ein Mehraufwand, doch gibt dieses Vorgehen allen mehr Planungssicherheit. Wir können die No-Show-Raten reduzieren, was wiederum zu mehr Verkäufen führen kann. Auf einzelnen Flügen haben wir schon wieder eine recht gute Auslastung. Folglich liegt es im Interesse der ganzen Branche, dass wir eine saubere Bestandsaufnahme machen.

Das macht ja Sinn, es braucht aber doch eine Abgeltung für diese Arbeit, die in en Reisebüros anfällt. Bieten Sie Hand dafür?

Wenn der Agent dem Kunden eine entsprechende Serviceleistung anbietet, dann geht es darum, die Gebühren entsprechend zu gestalten und im Preis zu inkludieren. Was eine angemessene Abgeltung ist, muss das Reisebüro selber festlegen. Dies ist eine Sache zwischen dem Reisebüro und dessen Kunden. Wir wollen schliesslich nicht zum alten Kommissionsmodell zurückkehren.

Wie hoch schätzen Sie denn die Zahlungsbereitschaft der Endkunden ein, wenn es um Gebühren des Reisebüros für eine Flugbuchung geht?

Das ist individuell und hängt vom Kundentypen ab. Es gibt sicher Kunden, die eine Beratung bevorzugen und bereit sind für diese Dienstleistung zu bezahlen.

Mit der Rückfluggarantie nur über NDC/Direct Connect haben Sie die Reisebüros erneut verärgert. Warum?

Wichtig ist, dass miteinander gesprochen wird, wenn ein Problem aufkommt. Das haben wir in diesem Fall gemacht und das Missverständnis schnellstmöglich geklärt. In diesem speziellen Fall gilt die Rückfluggarantie in Europa als generelles Versprechen für Buchungen auf allen Vertriebskanälen.

Wie ist die Auslastung im Moment?

Im Kontinentalverkehr ist die Auslastung ziemlich gut und stellt uns sehr zufrieden. Interkontinental sehen wir bezüglich Auslastung einen erheblichen Verbesserungsbedarf. Die nächsten Wochen werden jedoch zeigen, wie sich die pandemische Situation und die Nachfrage entwickeln.

 Wie ist das Preisniveau?

Wir spüren immer noch sehr viel Druck in Bezug auf die Preise, weil das Angebot auf dem Markt trotz allem immer noch grösser ist als die Nachfrage. Es wird sicher andauern, bis der Preisdruck nachlässt.

Wie lange reicht der Swiss das eigene Geld noch, wann wird der Staatskredit bezogen?

Unsere Liquidität ist gesichert. Die Verträge über die Überbrückungsfinanzierung sind aber noch nicht unterzeichnet und somit ist auch noch kein Geld geflossen.

(Interview: Christian Maurer)