«Wir hatten ein herausforderndes und konstruktives Gespräch mit dem SRV»

Swiss-CCO Tamur Goudarzi-Pour zum Verhältnis mit den Reisebüros in der Coronakrise, die Refund-Policy, neue Bezahlformen und den ewigen Streitpunkt der NDC-Anbindung und des Direktverkaufs.
Tamur Goudarzi Pour, CCO. ©Swiss
Herr Goudarzi-Pour, wann haben Sie das ganze gigantische Ausmass dieser Coronakrise realisiert?

Niemand konnte ein Ereignis dieser Art erwarten, ein totales «Black-Swan»-Ereignis. Diese Krise ist für unsere Branche fundamentaler als alle bisherigen Krisen der jüngsten Zeit zusammen.

Und wann hat Swiss reagiert?

Wir haben frühzeitig unseren Krisenstab aufgestellt und den Betrieb sehr rasch und stark heruntergefahren. Wir haben auch früh erkannt, dass diese Krise die Airline-Branche in ihren Grundfesten erschüttern wird.

Wie haben sie das Herunterfahren mit Fast-Grounding erlebt, chaotisch oder geordnet?

Für uns lief es geordnet und professionell ab. Wir haben sofort auch unsere Mitarbeitenden darauf eingestellt, unsere System-Partner und Lieferanten miteinbezogen, uns eng mit unserer Muttergesellschaft Lufthansa ausgetauscht und auch das Gespräch mit dem Bund gesucht.

Bleiben wir bei den Partnern, den Reisebüros. Wie sehen Sie das Verhältnis mit ihnen?

Es war nicht immer einfach in den letzten Wochen. Wir hatten vergangene Woche ein herausforderndes und doch konstruktives Gespräch mit dem Schweizer Reise-Verband SRV. Es ist klar, dass es nur gemeinsam geht. Der Weg aus der Krise wird sicherlich lang und beschwerlich sein und man wird ihn nur mit allen Stakeholdern und Industriepartnern zusammen bewältigen können.

Was ist denn bei dem Gespräch konkret herausgekommen?

Es gab Forderungen des SRV und wir haben nochmals klar unsere Position aufgezeigt. Wir haben konkrete Angebote bezüglich der Refundproblematik und noch flexibleren Ticketbedingungen gemacht, über die wir in den kommenden Wochen weitere Gespräche führen werden.

Was steht da zur Debatte?

Wir haben beispielsweise ein Angebot an die Reiseveranstalter rausgegeben: eine UATP-Karte von Airplus, mit der wir künftige Verkäufe mit aufgelaufenen Rückvergütungen gegenrechnen können, dies kann man mit kommerziellen Angeboten verbinden. Mit jedem interessierten Veranstalter werden wir ein Gespräch dazu führen. Diese zusätzliche Option wurde von einigen Teilnehmern bereits begrüsst.

Bei der Präsentation des Geschäftsjahres 2019 haben Sie wörtlich versprochen: Wir versuchen alles, auch das Leben der Reisebüros möglichst einfach zu machen. Das weckt Erwartungen, wie wollen Sie das einlösen?

Zunächst einmal muss ich sagen, dass es uns natürlich sehr leid tut, dass wir die Fristen bei den Rückzahlungen nicht einhalten können, doch dies ist allein schon aufgrund des grossen Anfragevolumens eine grosse Herausforderung. Und ich möchte an dieser Stelle unseren Partnern noch einmal herzlich für den riesigen Einsatz danken, den die Reisebüros für uns und die Kunden geleistet haben.

Trotzdem, der Refund für die stornierten Flüge ist mehr als harzig.

Die Situation bezüglich der Refunds ist und bleibt herausfordernd. Wir zahlen weiterhin Rückerstattungen aus, da ist vielleicht ein falscher Eindruck entstanden. Seit Anfang des Jahres bis jetzt haben wir einen niedrigen dreistelligen Millionenbetrag für stornierte Flüge ausbezahlt. Und wir haben bereits mehr ausbezahlt, als die Summe, die aktuell noch ausstehend ist, das heisst beantragt wurde.

Ist damit die Hälfte der Rückforderungen erfüllt?

Das kann man so nicht sagen, denn es werden ja weitere Forderungen hinzukommen, da Swiss nicht den vollen Flugplan fliegt. Um wie viel Geld es da geht, können wir noch nicht genau abschätzen

Können Sie versprechen, dass Sie bis zum 30. September alle Refunds ausbezahlt haben, wie das die Vereinbarung zur Überbrückungshilfe mit dem Bund vorsieht?

Wir werden uns ganz klar an diese Auflage halten, bis zum 30. September die Refunds, die in Verbindung mit den COVID-19 Flug-Annullationen stehen, im Rahmen des Pauschalreisegesetzes an alle Reiseveranstalter ausbezahlt zu haben.

Wie hoch ist eigentlich der Anteil Ihrer Direktkunden, die für die Rückerstattung einen Gutschein akzeptieren statt Bargeld?

Wir haben bisher rund 77’000 Vouchers ausgegeben. Das ist nicht die Mehrheit der Rückerstattungen, aber die Zahl der ausgegebenen Vouchers steigt stark. Die Voucher sind für Swiss ein ganz wichtiges Thema und wir möchten sie kundenattraktiv gestalten. Die EU hat sich zu dazu kürzlich unterstützend geäussert, wobei wir uns da mehr erhofft hätten. Als nächstes werden wir den Voucher Prozess weiter optimieren um es für den Kunden noch einfacher zu machen.

Sie sagen immer wieder, ein stabiler Flugplan sei das A und O. Wie steht es denn um die Flüge im Juni, werden sie stattfinden?

Wir haben den Flugplan bis Mitte Juni veröffentlicht. Das Programm liegt mit 190 Flügen an 41 Destinationen bei 15 bis 20 Prozent des normalen Flugplans. Wir glauben, diesen auch so umsetzen zu können. Es wird jedoch sicherlich noch kleinere Anpassungen geben. Die positiven Nachrichten zu den Grenzöffnungen im Schengen-Raum stimmen uns jedenfalls zuversichtlich

Rechnet sich das überhaupt, ist die Nachfrage da?

Wichtig war und ist für uns, dass wir zunächst im Minimum die variablen Kosten der Flüge decken, dies war einer der Faktoren bei der aktuellen Flugplangestaltung. Wir möchten aber in den nächsten Wochen natürlich wieder einen verbindlicheren Flugplan bieten. In dieser neuartigen Krise hat sich das «Fliegen auf Sicht» sicherlich bewährt, doch nun möchten wir ein zuverlässiges Angebot für den Restsommer und bis in den Winter hinein anbieten, um so unseren Kunden mehr Planungssicherheit zu geben.

Wie war die Auslastung in den letzten paar Wochen, und was erwarten Sie ab Juni?

Wir geben keine konkreten Zahlen zur Auslastung bekannt. Die sind je nach Strecke sehr unterschiedlich. Die Auslastung im Passagierbereich lässt auch keine verlässliche Aussage zur Profitabilität zu, denn dies hängt in der Krise von der höheren Nachfrage nach mitgeführten Cargo-Transporten ab. Positiv ist, dass wir in den letzten Tagen sehr kurzfristig steigende Buchungszahlen und damit auch eine höhere Auslastung beobachten.

Mitten in der Coronakrise sollten die ersten beiden neuen Destinationen seit Jahren, Osaka und Washington DC, starten. Kommen die jetzt später oder sind die auf Eis gelegt?

Zunächst einmal ist es uns wichtig, unser bisheriges Angebot wieder hochzufahren. Ich betrachte die Entwicklung dieser Krise immer wie die Bildmarke von Nike: es ging steil nach unten und geht nun langsam wieder hoch. Wir rechnen damit, Ende 2022 wieder die Kapazitäten von 2019 zu erreichen. Wir hoffen, bis Ende dieses Jahres wieder  50 Prozent unseres Programms anbieten zu können. Wie das Destinationsportfolio 2021 aussieht, wird sich zeigen.

2021 war auf den Frühling die Einführung der Premium Economy geplant – läuft das termingerecht?

Wir glauben an die Premium Economy, sie wird kommen, aber sicherlich zeitlich verzögert. Um wie viele Monate kann ich noch nicht sagen.

Und bei der Flotten-Erneuerung?

Die A220 Flotte ist fast komplett, hier ist noch die Auslieferung eines Flugzeugs ausstehend. Beim A320neo gibt es Verschiebungen.

Wie werden sich die Ticketpreise entwickeln?

Da gibt es unterschiedliche Meinungen. Nach der nicht ganz vergleichbaren Krise 2008/2009 hat es mehrere Jahre gedauert, bis wir wieder die Yield-Level von vorher erreicht hatten. Wir erwarten auch jetzt, dass aus verschiedensten Gründen unmittelbar Druck auf die Preise entsteht: Es zeichnet sich eine Rezession ab und das Reiseverhalten vor allem preissensitiver Unternehmen wird sich ändern. Tickets könnten in Zukunft flexibler umbuchbar sein, womit die Preismarge weniger spielt. Und wir werden trotz einer massiven Reduktion des Angebots ein Überangebot im Markt haben. Der Preisdruck wird unter anderem auch von jenen Airlines kommen, die dringend auf Liquidität angewiesen sind.

Und längerfristig?

Bis auf weiteres sehen wir Preisdruck. Wenn fliegen aufgrund der höheren Kosten der Nach-Corona-Zeit teurer werden sollte, dann werden sich die Minimumpreise stabilisieren oder erhöhen. Das muss aber nicht heissen, das der Yield insgesamt steigt.

Hat Staatshilfe einen Einfluss auf das Pricing?

Bei Swiss sicher nicht. Es wäre auch bedenklich und wettbewerbsverzerrend, wenn Staatsgelder dafür verwendet würden. Hier ist auch die EU-Kommission gefordert, dies zu überwachen.

Wo werden Sie künftig Geld verdienen, im Business- oder im Freizeit-Bereich?

Ich hoffe, dass es in allen Segmenten weiterhin Geld zu verdienen gibt. Im Geschäftsreisebereich werden wir strukturelle Veränderungen sehen. Nicht nur werden in diesem Bereich zurzeit die Reisebudgets reduziert, auch werden die Anforderungen an Sicherheit, Gesundheit und Duty of Care weiter steigen. Das kann aber auch eine Chance für neue Angebote sein. Ein sehr stabiles Segment im Bereich der Privatreisen sind die Familien und Besuchsreisen, das sogenannte «Visiting Friends and Relatives», denn die Menschen wollen sich wieder persönlich treffen und nicht dauerhaft per Videokonferenz begegnen.

Wie gehen Sie mit den Abstandsregeln um?

Das nehmen wie sehr ernst. Im Moment sind die Flugzeuge grösstenteils nicht voll, also können wir zurzeit den Platz auch ausnutzen. Wir haben ausserdem eine starke Empfehlung abgegeben, Masken an Bord zu tragen.

Für Masken gibt es bei Swiss allerdings keine Tragepflicht, anders als bei der Muttergesellschaft Lufthansa. Wie kommt das?

Grundsätzlich können wir die Maskentragepflicht nicht vorschreiben. Wir können aber eine sehr starke Empfehlung aussprechen, Masken zu tragen. Ich habe bisher jedoch erlebt, dass die Passagiere sich daran halten, denn es liegt ja auch im Interesse jedes Einzelnen. Viele sind sich noch nicht bewusst, dass die Wahrscheinlichkeit, sich im Flugzeug anzustecken, sehr gering ist. Wir haben eine spezielle Luftzirkulation von oben nach unten und setzen Filter ein, die mit denjenigen von Operationssälen vergleichbar sind. Zudem werden ständig  grosse Mengen an Frischluft zugeführt.

Und die Mittelsitz-frei-Abstandsregel?

Das wäre eine grosse wirtschaftliche Herausforderung für die gesamte Airline-Branche, denn damit würde man die Kapazität um 40 Prozent reduzieren.

Ein anderes Thema: Die Lufthansa-Gruppe hat veröffentlicht, dass Sabre den GDS-Vertrag nicht verlängert hat. Was steckt da dahinter?

Wir hatten dies kommuniziert, da wir es als unsere Pflicht erachten, unsere Partner transparent zu informieren. Wir sind in sehr intensiven Diskussionen mit Sabre um eine Lösung zu finden, ich bin zuversichtlich.

Hat das damit zu tun, dass Swiss die Direktkanal pusht, was nicht nur zu Lasten der Reisebüros geht, sondern auch der GDS-Anbieter?

Wir achten bei allen unserer Distributionsvereinbarungen sehr darauf, dass wir die kundenfreundlichen innovativen Distributionsstandards wie NDC stärken. Es geht hierbei auch um die Unterstützung des Fremdvertriebs im Direct Connect, einem unserer entscheidenden Wachstumskanäle.

Wächst er zweistellig?

Zunächst geht es natürlich erstmals darum, wieder höhere Buchungszahlen zu erreichen. Wir glauben aber, dass wir trotz der Krise das IATA-Ziel von 20% Verkaufsanteil von NDC am Fremdvertrieb bis Ende 2020 erreichen werden. Wir denken, dass der NDC-Standard der Standard der Zukunft ist, um dem Kunden ein optimales Angebot unterbreiten zu können und wir werden alles daran setzen, noch mehr neuen Content hier anzubieten. Das gilt sowohl für den Leisure-Bereich wo er schon gut etabliert ist, als auch im Corporate-Bereich wo er noch nicht ausreichend etabliert ist. Zudem stellt sich die Frage, wer welche Leistung an wen in dieser Wertschöpfungskette liefert, was auch eine kommerzielle Frage ist.

Und wo steht das Projekt Continuous Pricing?

Das wird auch über NDC laufen und noch dieses Jahr ausgerollt.

Geht damit nicht Preistransparenz verloren und der Reisevertrieb kann nie sicher sein, wirklich das beste Angebot für seine Kunden zu haben?

Im Gegenteil, die Preistransparenz wird grösser, weil man die alten GDS-Preise immer noch sehen und vergleichen kann. Die Preise im NDC-Vertrieb werden aber attraktiver sein als die Preise im klassischen GDS, wo sie technisch nicht dargestellt werden können.

Sie werden aber kaum weniger Geld verdienen, oder?

Der Vorteil von Continuous Pricing ist, dass man trotz Preisabsenkungen mehr Volumen schafft. Somit wird es für den Endkunden günstiger und wir verdienen dennoch.

Aber diesen Preis gibt es ja nur, wenn man über NDC angebunden ist.

Ja, deshalb können wir nur empfehlen, diesen digitalen Wandel, der sich in der Coronakrise nochmal deutlich beschleunigt hat, weiter mit uns gemeinsam zu gehen.

Ein grosser Streitpunkt gerade jetzt war die Refund-Policy. Kann es weiterhin sein, dass Reisebüros und Kunden heute bezahlen für Flüge, die erst Monate später stattfinden, wenn überhaupt?

Die Frage der Bezahlmethoden wird sicher ein wichtiges Thema bleiben. Wir brauchen neue Payment-Formen. Denkbar sind sowohl Unterscheidungen zwischen Optionen wie pay now or pay later, oder pay as you fly sowie neue alternative Bezahlformen. Dies gilt es im Interesse des Kunden gemeinsam weiterzuentwickeln.

Und wie sehen Sie die Forderung nach Kundengeldabsicherung bei Airlines?

Wir werden sicher das Thema Liquiditätssicherung zu gegebener Zeit vertieft aufnehmen, schon aus purem wirtschaftlichen Eigeninteresse. Zunächst müssen wir aber die aktuelle Krise bewältigen.

TRAVEL INSIDE hat kürzlich seine Leserschaft nach den Wünschen und Forderungen an die Swiss gefragt. An erster Stelle kam die Forderung, die «Automatic-Refund»-Funktion in den Buchungssystemen dürfe nicht mehr abgestellt werden. Ihre Antwort?

Die «Automatic-Refund»-Funktion ist derzeit nicht verfügbar und wir werden diese auch in nächster Zeit nicht anbieten können, weil wir alle Refunds auf einer Queue bündeln und die Auszahlungen nach einem fairem Prinzip für alle Interessensgruppen vornehmen. Sonst würden wir einzelne Interessengruppen zu Lasten von anderen bevorzugen. Das habe ich bei meinem kürzlichen Treffen mit dem Schweizer Reise-Verband SRV auch klar gesagt. Eine manuelle Lösung ist natürlich kein Zustand und wir müssen uns wieder in Richtung automatisierte Prozesse bewegen.

Ganz vorn in der TI-Umfrage steht die Forderung nach gleichen Preisen für Reisebüros und Direktkunden über die Swiss-Website.

Wir werden die Preise in den Vertriebskanälen immer entsprechend nach den Inhalten und den Kosten des Vertriebskanals differenzieren. Der Vertriebspartner, der einen Direct-Connect-Zugang hat, hat Zugang zu allen Inhalten und Preisen, die wir dort anbieten.

An dritter Stelle kam der Wunsch nach einem Kommissionsmodell, damit die Reisebüros mit dem Ticketverkauf wieder Geld verdienen.

Der Weg zurück zu einem generellen Kommissionsmodell ist nicht denkbar. Zukunftsträchtiger sind unterstützende Angebote für Vertriebspartner, die sich entschliessen, NDC einzuführen und die wir auf diesem Weg partnerschaftlich begleiten möchten.

(Interview: Christian Maurer)