Gastkommentar: «Airlines sind nur beschränkt lernfähig»

Der TRAVEL INSIDE Autor und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

«Schleuderpreise», «Boeing Ausverkauf», «Super-Discount», «Boeing Rampenverkauf» – das sind nur ein paar Beispiele von Schlagzeilen, die letzte Woche in den Aviatik-Medien, Blogs, Newsportalen, Facebook-Gruppen, aber zum Teil auch in den Mainstream-Medien aufgetaucht sind. Das Thema Boeing, ganz besonders die 737-MAX, sorgt also immer noch für Diskussionen, und das wird wohl auch noch ein Weilchen so bleiben.

Sobald ein Pilot im Cockpit hustet, an einer MAX der Schraubenzieher angesetzt wird oder sich eine Airline erdreistet 737-MAX zu bestellen, herrscht helle Aufregung. Genau eine solche Bestellung sorgte vor einigen Tagen in der Aviatikgemeinde und gleichermassen in den Massenmedien für Furore. Das Newsportal «watson.ch» verkündete gar «Boeings Unglücksjet 737-MAX ist wieder heiss begehrt».

Schon das Wort «Unglücksjet» bringt mein Blut in Wallung. Um was geht es eigentlich? Der US LCC Southwest hat die Bestellung von von 100 Boeing 737-Max, sowie eine Option von weiteren 155 Exemplaren bekannt gegeben und damit den Gesamtauftrag bei Boeing auf 349 fest bestellte 737-Max erhöht. Nach nicht bestätigten Quellen bewegt sich der Kaufpreis ungefähr ein Drittel unter dem Listenpreis. Boeing hat damit Airbus, die mit dem A220 ebenfalls im Rennen waren, ausgehebelt.

Alleine diese Tatsache hat besonders bei Airbus-Fans in Europa viel Staub aufgewirbelt und gewisse (sogenannte) Aviatik-Experten dazu bewogen Boeing zu unterstellen, sie verkaufe ihre Flugzeuge zu Dumpingpreisen. Das mag im ersten Augenblick so aussehen, aber bei genauerem Hinsehen und einigen Überlegungen, kann man das so nicht im Raum stehen lassen. Southwest Airlines ist seit der Gründung im Jahr 1967 Kunde bei Boeing und hat, mit einigen kleinen Ausnahmen, seit Beginn des Flugbetriebs 1971 ausschliesslich Boeing 737 in allen Varianten betrieben.

Diese Flottenpolitik hat sich für Southwest immer ausbezahlt. Sämtliche Piloten und FA’s sind für die 737 zugelassen und trainiert, was die Einsatzplanung erleichtert und enorm viel Kosten spart. Alle Wartungszentren in den USA sind auf die 737 ausgerichtet und es ist ein grosses Ersatzteillager für alle momentan betriebenen 737 Varianten vorhanden. Alleine wegen diesen Tatsachen kann ich zu diversen Experten und deren empörten Kommentaren nur energisch den Kopf schütteln. Was hätte Southwest denn tun sollen? Ein Teilwechsel zu Airbus wäre mit enormen Kosten und viel Aufwand verbunden.

Es gibt noch viele weitere Faktoren, welche die Entscheidung von Southwest massgeblich beeinflusst haben. Da wäre mal ganz sicher der Elefant im Raum: Schadenersatz! Southwest (wie auch weitere betroffene Airlines weltweit) wird ganz sicher mit Boeing Gespräche über eine Entschädigung für die 20 Monate Grounding der Max geführt haben. Man darf davon ausgehen, dass ein substantieller Betrag vereinbart wurde – ganz besonders für einen der treuesten Kunden von Boeing.

Für Boeing hätte der Absprung eines Grosskunden wie Southwest, mit dem man über 50 Jahre ein Vertrauensverhältnis aufgebaut hat, voraussichtlich das Ende bedeutet. Nebenbei ist zu erwähnen das auch Ryanair – ein weiterer Grosskunde, der seit Gründung im Jahr 1984 fast ausschliesslich 737 in der Flotte hat – letzten Dezember 75 737 Max bestellt hat. Auch mit Rabatt, über dessen Höhe Stillschweigen vereinbart wurde.

Es liegt auf der Hand, dass die «Rabatte» für die neu bestellten Flugzeuge auch, oder zumindest einen Teil dieser Entschädigung enthalten und das auch so in den Verträgen festgehalten ist. Des Weiteren dürfte auch allen klar sein, dass nach einem Jahr Pandemie jeder Flugzeughersteller mit Sonderpreisen und Rabatten aufwarten wird; um keine Marktanteile zu verlieren und um die zum Teil vorhandenen Lagerbestände abzubauen. Dies gilt ganz besonders bei Grosskunden, wie dies bei Boeing und Southwest der Fall ist.

Auch Airbus und Embraer werden versuchen, durch grosszügige Preisreduktionen ihre guten Kunden bei Laune zu halten und, allem voran, den Markt wieder anzukurbeln. Die grosse Rabattschlacht wird nach dem Ende der Pandemie, respektive der Reisebeschränkungen, erst so richtig Fahrt aufnehmen! Es gab wohl noch selten einen günstigeren Zeitpunkt neue Flugzeuge zu bestellen. In einigen Monaten wird, wenn alle momentan als MAX-Ersatz im Einsatz stehenden «Occasionflieger» wieder zu ihren Kollegen in der Wüste zurückkehren, auch noch der «Gebrauchtmarkt» überschwemmt.

Es wird also in den nächsten Jahren kein Mangel an Flugzeugen herrschen. Es ist zu befürchten, dass diese Marktsituation viele Airlines dazu bewegen wird, eine Art «Flugzeugvorrat» anzulegen, um für den nächsten Boom gewappnet zu sein. Dies wiederum wird zu Überkapazitäten führen und der Druck auf die Preise könnte nach einer kurzen Verschnaufpause wieder steigen; oder noch viel schlimmer, es könnte die nächste Krise folgen.

Die Airlineindustrie ist seit jeher Schwankungen unterworfen und wie wir alle wissen, sind die meisten Airlines nur beschränkt lernfähig und begehen in regelmässigen Abständen immer wieder die gleichen Fehler. Der A380 ist dafür ein Paradebeispiel!

(Erich Witschi)