Work-Life-Balance versus Verantwortung

Wie viele andere Branchen in der Schweiz hat auch die Reisebranche ein veritables Problem.
Die jüngeren Generationen müssen sich oft zwischen Freizeit und Beruf entscheiden.

Inhaber und Patrons von etablierten, in Jahrzehnten gewachsenen und gesunden kleinen und mittleren Unternehmen, sogenannten KMU, finden keine Nachfolgerin oder keinen Nachfolger. Insbesondere wenn sie ihren Betrieb als unabhängiges Unternehmen weitergeführt sehen möchten.

Es gibt Ausnahmen, das zeigen zwei aktuelle Beispiele: Fulvio Pasqualin übergibt seine Groundline an die ehemaligen FTI-Mitarbeitenden Simon Dreyer und Julie Schmitt. Und in der Ostschweiz übernimmt der bisherige Baumeler-Geschäftsführer Michael Mettler die Helbling Reisen AG von Rolf Helbling. Beide Unternehmen können so weiterhin als unabhängiges und inhabergeführtes KMU am Markt agieren. Vielen hingegen bleibt nur der Verkauf an eines der grossen Reiseunternehmen oder die Schliessung. Das Interesse der Grossen beschränkt sich jedoch meistens auf wirkliche Top-Reisebüros oder spezialisierte Veranstalter, die zu ihrem bestehenden Portfolio passen und es ideal ergänzen.

Der Hauptgrund dürfte darin liegen, dass die jüngeren Generationen eine andere Lebenseinstellung haben als jene eigenständigen Unternehmer, die nun ins Pensionsalter kommen. Die Work-Life Balance hat einen viel höheren Stellenwert als früher. Bei dem, was in einem Reiseunternehmen letztlich unter dem Strich übrig bleibt, ist kaum jemand mehr bereit, im Gegenzug zu den Vorteilen der Selbstständigkeit 50 oder gar 60 Stunden pro Woche zu arbeiten und als Unternehmer Risiko und Verantwortung zu übernehmen. Zudem geben sich die Banken sehr zurückhaltend, wenn es um das entsprechende Startkapital geht. Eine Vereinbarung über eine kontinuierliche Übergabe könnte hier Abhilfe schaffen und die finanzielle Belastung erträglicher machen.

Oft fehlt es zwar nicht an Interesse, dafür aber an klaren Vorstellungen, was einen als selbstständiger Unternehmer erwartet. Auf die Möglichkeiten und Chancen, aber auch auf die Tücken und Herausforderungen, die eine Selbstständigkeit mit sich bringen, ist und wird der Branchennachwuchs zu wenig vorbereitet. Zudem kümmern sich viele Reisebüro-Inhaber viel zu spät um die Nachfolgefrage. So gesehen muss sich die Branche auch etwas an der eigenen Nase nehmen. Aufklärung, Sensibilisierung und Hilfestellung sind die besten Mittel, um Herausforderungen wie der Nachfolge-Problematik entgegenzuwirken.