«Aktuell herrscht Aufbruchstimmung, die Kunden kommen zurück»

Dieter Zümpel, CEO DER Touristik Suisse/Kuoni, im TRAVEL INSIDE-Interview über den Geschäftsgang und den Touristik-Restart.
Dieter Zümpel © TI

Dieter Zümpel, wie hat sich das Geschäft seit Corona-Beginn entwickelt?

Als wir letztes Jahr im März in diese grösste Krise aller Zeiten gekommen sind, mussten wir erstmals hunderte Kunden aus aller Welt zurückholen. Abgesehen davon, dass wir im letzten Jahr kaum relevanten Umsatz hatten, haben wir Rückerstattungen an die Kunden von rund 75 Millionen Franken für nicht mögliche Reisen getätigt. Gleichzeitig haben wir auch um die Ausstände der Airlines gekämpft, wo wir immer noch nicht ganz durch sind.

Diese Airline-Ausstände sind tiefer als die 75 Millionen Franken?

Ja, die 75 Millionen Franken beziehen sich auf das gesamte Pauschalgeschäft, also Hotel- und Flugleistungen. Die Flugleistungen betragen bei einer Pauschalreise meisten um die 40 bis 50%. Je nachdem, ob Charter oder Linie geflogen wird. Dieses Geld haben wir an die Kunden zurückbezahlt und haben dann zusammen mit der ganzen Branche hart kämpfen müssen, um vorerst den Grossteil der Gelder von den Airlines zurückzukriegen.

Und es wurde noch nicht alles zurückbezahlt?

Weitestgehend haben wir alles zurückerhalten. Aber es gibt ein paar Airlines, wie Air Europa, Thai oder South African Airways, wo wir immer noch Probleme haben. Hier kämpfen wir immer noch um das Geld und das ist natürlich auch mit gigantischem Aufwand verbunden. Gleichzeitig sind wir auf die Kostenbremse getreten, in Kurzarbeit gegangen und mussten diese riesige Menge an manuellen Refunds machen. Das war eine unschöne Situation.

Wie viele Reisen hat Kuoni in dieser Zeit umgebucht oder storniert?

Von März 2020 bis Mai 2021 haben wir 180’000 Kunden umgebucht oder storniert. Teilweise wurden diese Buchungen gar mehrfach umgebucht.

Wie präsentiert sich denn, der Umsatz des Geschäftsjahres 2020?

Von Januar bis Dezember 2020 haben wir rund 73% des Umsatzes von 2019 verloren (2019: 650 Mio., 2020: 176 Mio. – Anm. der Redaktion). Dies war verbunden mit einem katastrophalen wirtschaftlichen Ergebnis, obwohl wir auf die Kostenbremse getreten sind.

Und wie sieht nun die aktuelle Umsatzentwicklung aus?

Aktuell, und das ist das Schöne, herrscht Aufbruchstimmung. Von Woche zu Woche verzeichnen wir höhere Nettobuchungseingänge. Nettobuchungseingänge darum, weil wir immer noch Annullationen und Umbuchungen haben. Zum Beispiel im Cruises-Bereich oder für die Malediven.

Nettobuchungen heisst, dass wir die Annullationen, die wir immer noch vornehmen müssen, von den neuen Buchungen abziehen. Hier gibt es aber eine sehr erfreuliche Entwicklung in den letzten Wochen. Die Kunden kommen zurück, insbesondere bei Kuoni und bei Helvetic noch stärker. Wir liegen bei Kuoni deutlich und bei Helvetic weit über dem Buchungseingang, den wir zum gleichen Zeitpunkt 2019 hatten. Das erzeugt gute Laune und ist wirklich eine positive Nachricht.

Wohin wird denn jetzt gebucht?

Diese Buchungseingänge kommen rund ums Mittelmeer und über Railtour. – Das Bahngeschäft läuft ebenfalls sehr erfreulich. Sie kommen über Kuoni Sports, unsere schön wachsende Pflanze im Sportreise-Segment und wenn sie dann auf sind und bereist werden können für die Malediven.

Wie sieht es mit anderen Fernreisen aus?

Bei Fernreise-Destinationen bei den Spezial-Veranstaltern ist die Lage natürlich noch anspruchsvoller. Hier hoffen wir auf den Spätsommer, die Herbstferien und das Weihnachtsgeschäft.

Ein bisschen Costa Rica und ein wenig Dominikanische Republik geht, aber der Restart wird vielerorts jetzt erst geplant. Südamerika, Asien, und die USA sind, mit Ausnahmen, noch zu. Das Geschäft wird im Moment getragen von Kuoni im Badebereich und von Helvetic. Griechenland, Spanien und die Türkei – bei diesen klassischen Zielen erleben wir einen regelrechten Boom. Die Kunden wollen reisen und buchen auch.

Wie sieht es im Ertragsbereich aus?

Katastrophal im Jahr 2020, weil wir so schnell gar nicht gegensteuern konnten.

Ein Verlust im zweistelligen Millionen-Bereich?

Wenn man von 650 Millionen Franken um die 73 Prozent verliert, dann ist das bei weitem nicht so schnell über die Kosten aufzufangen. Hier kommt auch die hohe Fixkostenbelastung, wie Personal und Mieten usw. noch dazu. So einen Verlust habe ich noch nie gesehen bei Kuoni.

Wie sieht es für dieses Jahr 2021 aus?

Für dieses Jahr streben wir rund 45 Prozent des Umsatzes von 2019 an. Wir fühlen uns im Moment beflügelt von den aktuellen Buchungseingängen und glauben fest, dass wir das schaffen können. Fakt ist aber, auch wenn es etwas besser wird, werden wir auch dieses Jahr nur rund die Hälfte der Umsätze eines normalen Jahres schaffen.

Das heisst, dass auch 2021 kein Gewinn geschrieben wird?

Das ist richtig. Wir werden auch in diesem Jahr noch einen Verlust zu beklagen haben, der aber deutlich geringer sein wird als im letzten Jahr. Einerseits darum, weil wir wieder mehr Umsatz generieren und andererseits auch, weil unsere Kostenmassnahmen nun gegriffen haben.

Wie sehen denn diese Kostenmassnahmen aus?

Das war insbesondere der Personalabbau von ungefähr 170 Personen bei umgerechnet 140 Vollzeitstellen, den wir im letzten September aussprechen mussten. Dann die massive Kurzarbeit, die wir unter den gegebenen Umständen durchsetzen, und es sind alle weiteren Einsparungen auf dem Sachkostenbereich, wie Mietkosten, die ins Gewicht fallen.

Wir haben, nachdem wir von 2016 bis 2019 diese Turnaround-Story geschrieben hatten, wirklich noch einmal jeden Stein umgedreht. Unsere Mitarbeitenden haben 1wir gebeten, in diesem und im letzten Jahr freiwillig auf eine Woche Ferien zu verzichten.

Durchschnittlich 90 Prozent der Mitarbeitenden haben sich dazu bereit erklärt. Das ist mit einer der Gründe, dass wir es schaffen können, keine weiteren betrieblichen Kündigungen mehr aussprechen zu müssen. Die Solidarität der Mitarbeitenden unter diesem Druck und unter diesen Umständen ist enorm und macht mich sehr stolz.

Wie viele Mitarbeiter zählt DER Touristik Suisse jetzt noch?

Aktuell zählen wir 885 Mitarbeitende.

Es werden also keine weiteren Kündigungen folgen?

Das ist das grosse Ziel und ich werde jeden Monat sicherer, dass uns das auch gelingt. Aber natürlich gibt es dafür keine Garantie.

Unser oberstes Ziel ist es, Arbeitsplätze und die Substanz des Unternehmens zu erhalten. Wir haben alle Bereiche behalten, Spezial-Veranstalter, Business-Travel, das MICE-Geschäft und Co-Travel. Wir mussten vier Reisebüros schliessen, eröffnen in diesem Jahr aber auch zwei neue, unter anderem in Bulle. Zusätzlich haben wir individuelle Nachfolgeregelungen mit Inhaberinnen und Inhaber von Reisebüros getroffen, die sich für eine neue Zukunft entschieden haben. Die Substanz des Netzes wurde erhalten.

Wie viele Filialen sind es Stand heute?

Wir haben aktuell 76 Standorte.

Es ist also keine Marke verloren gegangen?

Nein, und wir haben auch keine ganzen Funktionsbereiche geschlossen. Wir haben zum Beispiel eine kleine Gruppe, die sich ausschliesslich um Nachhaltigkeit kümmert. Diese Gruppe haben wir bewusst auch in der Krise erhalten.

Was tut denn DER Touristik Suisse für das Klima konkret?

Nachhaltigkeit liegt uns als strategisches Thema wirklich am Herzen. Kuoni und Helvetic Tours sind nach wie vor die einzigen Volumen-Touroperator in der Schweiz, die TourCert-zertifiziert sind. Wir entwerfen ausserdem eine Nachhaltigkeitsbroschüre, wo wir uns speziell diesem Thema widmen. Das Thema Nachhaltigkeit wird mit Macht zurückkommen, daran arbeiten wir sehr stark.

Wie weit hat die starke Mutter Rewe in dieser Krise geholfen?

Sie ist der wichtigste Baustein bei unserer Krisenbewältigung. Das ist ein grosser Vertrauensbeweis, gerade für die Schweiz, weil die Rewe ausser der Touristik keine Interessen in der Schweiz hat. Das schafft uns Sicherheit für die Zukunft.

Hat DER Touristik Suisse neben der Kurzarbeit Staatsgelder aus der Schweiz erhalten?

Weil innerhalb der Schweiz für die Rewe beziehungsweise DER Touristik keine Möglichkeit besteht, die entstandenen, sehr hohen Verluste durch Unternehmen anderer Branchen unter demselben Dach zu kompensieren, greift die DER Touristik Suisse auf das Instrument der Härtefallhilfen zurück. Dennoch bewältigen wir die Corona-Krise in erster Linie dank der Solidarität innerhalb der Rewe Gruppe, unserem entschlossenen Kostenmanagement und der Kurzarbeit. Eine etwaige Härtefallhilfe würde einen zusätzlichen Beitrag nicht zuletzt zur nachhaltigen Sicherung der Arbeitsplätze leisten.

Welche Art von Hilfen streben sie an?

Härtefallhilfen. Also keine Kredite oder Darlehen, Liquiditätsengpässe sind gerade dank der Muttergesellschaft kein Thema.

Wie gross war der Anteil Kurzarbeit?

Insgesamt haben wir in den Hochzeiten über 60 Prozent der Gesamtarbeitsleistung in Kurzarbeit gehabt, also 40% gearbeitet. Als gar nichts mehr ging, haben wir sogar weniger als diese 40% gearbeitet. Und dass trotz der Herausforderungen rund um Umbuchungen und Annullationen.

Die Kurzarbeitsquote sinkt nun aber sukzessive, da wir uns im Restart befinden.

Apropos Restart: Wie wird nun wieder hochgefahren?

Damit beschäftigen wir uns im Moment sehr stark. Die Abteilungen werden sehr unterschiedlich wieder hochgefahren.

Die Öffnungszeiten der Reisebüros wurden deutlich verlängert, wobei anzumerken ist, dass wir die Büros nie ganz geschlossen hatten. Sogar in Zeiten, als die Pandemie am stärksten war, hatten wir die Läden eingeschränkt geöffnet. Die kundennahen Bereiche, wie unser Service Center im Hause arbeiten jetzt wieder im Normalbetrieb.

Gleichzeitig gibt es aber auch Bereiche, wie einige Spezial-Veranstalter, wo noch nicht viel geht. Da müssen wir weiterhin die Kostendisziplin wahren. Das muss aber jeder Senior-Manager bei uns für sich entscheiden.

Welche Spezial-Veranstalter laufen wieder auf vollen Touren?

Neben den bereits erwähnten Railtour, Kuoni Sports, Helvetic und Kuoni im Shorthaul-Geschäft arbeiten auch die Teams von Manta oder Kuoni Cruises wieder deutlich mehr, wobei von den Kreuzfahrten noch wenig Umsatz kommt.

Die Problematik bei den Kreuzfahrten ist, dass oft die Häfen verlegt und dann die Kreuzfahrten dennoch durchgeführt oder zusammengelegt werden, die Kunden aber die neuen Routen nicht bestreiten möchten. Dafür gibt es bei Kuoni Cruises eine sehr erfreulichen Buchungseingang für 2022/23 und das erstaunlicherweise eher im Luxuskreuzfahrtenbereich.

Der durchschnittliche Buchungswert allgemein steigt deutlich. Irgendwo haben die Kunden die Sehnsucht wieder in die Ferien zu fliegen und sie gönnen sich was. Das spüren wir.

Wo läuft es noch nicht?

Dorado und Asia365 sind am Kämpfen und auch Kontiki, weil bis auf Island praktisch alles noch geschlossen ist. Bei Private Safaris geht ein bisschen was. Hier müssen wir noch etwas Geduld haben.

Auch bei MICExperts hat es in den Auftragsbüchern für 2021 zwar noch Platz, das Team hat aber äusserst viel zu tun Anfragen für 2022/23. Dafür müssen aber erstmal die Ressourcen wieder bereitgestellt werden, die Angebote geschrieben werden usw., so dass im nächsten Jahr das Geschäft wieder in Gang gesetzt werden kann. Das ist alles mit viel Arbeit und keinem plötzlichen Umsatzeingang verbunden.

Wird das Produktportfolio von DER Touristik Suisse angepasst?

Wir begegnen den veränderten Kundenbedürfnissen. Flexibilität, Sicherheit und Beratungsbedarf – das sind wichtige Themen, wo wir unsere Produkte auch angepasst haben.

Wir bieten Aktiv- und Wellnessreisen an, Kuoni Sports wird immer stärker, es gibt die Private Collection von Kuoni, wo beispielsweise private Boote und Unterkünfte im Premiumbereich buchbar sind.

Wir haben das Produktangebot über Railtour massiv ausgeweitet – Schweiz und Umfeld.

Es gibt eine Kooperation mit der der Alpinschule Innsbruck, wo Aktiv- und Wanderreisen angeboten werden.

Darüber hinaus sind wir weiterhin flexibel mit unseren Stornierungsmöglichkeiten. Wir arbeiten daran, klassische Pauschalreisen mit zwei Preisen auszustatten, je nach Flexibilisierungswunsch der Kunden. So dass es möglich sein wird, einen Tarif zu buchen, der bis kurz vor Abreise stornierbar ist – so wie das bei Booking beispielsweise bereits üblich ist. Hier schaffen wir gerade die technischen Voraussetzungen, die dafür nötig sind.

Wann wird das eingeführt?

Schätzungsweise im 4. Quartal.

Hat DER Touristik Suisse weitere Zukäufe geplant?

Wir schauen uns im Reisebüro- und Veranstalterbereich jede Möglichkeit in der Schweiz an. Wir sondieren den Markt und schauen uns nach Gelegenheiten um.

Reicht die vorhandene personelle Substanz für den Restart?

Ja, sie reicht, wenn wir die Mitarbeiter sukzessive aus der Kurzarbeit rausholen.

Wie ist die Motivation der Mitarbeiter?

Unsere Mitarbeiter sind glücklich, dass sie aus der Kurzarbeit dürfen. Ich rede viel mit ihnen, bin nah dran und der Tenor ist: «Bin ich froh, dass es endlich wieder langsam losgeht.»

Wann stellt DER Touristik Suisse neue Mitarbeiter ein?

Überall dort wo wir eine Lücke haben, stellen wir heute schon ein. Es gibt auch eine natürliche Fluktuation, die immer mal wieder Ersatz erfordert.

Ist diese Fluktuation höher also sonst?

Das würde ich nicht sagen. Wir dürfen weiterhin einen sehr harten Kern an bewährten Mitarbeitern zu uns zählen. Wir stellen eine sehr starke emotionale Nähe zum Unternehmen fest. Es gibt eine Fluktuation, diese ist aber nicht besorgniserregend hoch, sondern weitestgehend im normalen Rahmen. Wir prüfen auch bei jeder Stelle, ob oder wann wir sie ersetzen möchten oder nicht.

Wir wollen personell vorerst nicht wachsen – wir bleiben ein schlankes Unternehmen. Dafür haben wir auch viele Projekte der Automatisierung angeschoben die helfen sollen, dass wir mit im Schnitt weniger Leuten mehr und effizienter arbeiten können.

Was tut DER Touristik Suisse für den Nachwuchs der Branche?

Man liest viel, dass Reisebürokaufleute aussterben wird, aufgrund des Online-Trends. Aber ganz wichtig ist, wir kümmern uns um die Zukunft dieser Branche. Immer schon und nach wie vor sind wir der grösste Ausbildungsbetrieb der Schweizer Touristik.

Wir haben in diesem Jahr 41 Lehrabgänger, wovon über 30 gerne bei uns bleiben möchten. Wir tun alles, um dies zu ermöglichen. Wir haben letztes Jahr 39 Lernende aufgenommen und in diesem Jahr stellen wir über 20 neue Lehrlinge ein. Auch hier tun wir alles, damit wir die Zukunft für junge Leute weiter gestalten können.

Wir bieten auch nach wie vor ein umfassendes Weiterbildungsprogramm an und haben uns ganz bewusst dazu entschieden, dieses auch in der Krise weiterzuführen.

In diesem Jahr übernehmen wir mit den beiden anderen grossen Veranstalter die Mindestkosten für die Ausbildung an der IST, damit überhaupt ausgebildet werden kann.

Besteht weiterhin Interesse eine Lehre im Reisebüro zu machen?

Das Image hat schon gelitten. Die Negativ-Schlagzeilen aufgrund Corona haben sich schon auf das Interesse ausgewirkt. Es wird nicht leichter. Das spüren wir. Aber wir konnten alle Stellen, die wir für dieses Jahr geplant haben, qualifiziert besetzen.

SRV-Präsident – ist das etwas für Dieter Zümpel?

Ich nehme diese Frage als Kompliment, aber ich denke nicht im Traum daran.

(Interview: Yannick Suter/Angelo Heuberger)