Reise ans Ende der Welt

Mystisch, verzaubert, Legenden umwoben: Der entlegene Süden Lateinamerikas ist ein Traumziel für zahlreiche Reisende. Zu Recht, wie ich selbst feststellen durfte.

Wer träumt nicht davon, als Teil einer Expedition die entlegensten Winkel unserer Erde zu entdecken? Das Kribbeln im Bauch zu spüren, während man an Bord eines Schiffs die unbewohnten und naturbelassenen Gegenden weitab jeglicher Zivilisation besuchen kann? Der äusserste Süden Lateinamerikas ist solch ein Mythos, ein Traumziel und Irrgarten aus Inseln, Fjorden und natürlichen Kanälen. Patagonien und das Feuerland – eine der schönsten und unberührtesten Gegenden der Welt, die mich von Kindsbeinen an fasziniert haben. Denn gibt es tatsächlich Feen, Meeresungeheuer und feuerspeiende Drachen, dann sind die Fabelwesen mit Bestimmtheit hier zuhause!

© Elisha Schuetz
© Elisha Schuetz

Die Schifffahrtsgesellschaft Australis hat sich hier auf Expeditions-Kreuzfahrten spezialisiert und bietet Routen buchstäblich ans Ende der Welt an. Unbändige Vorfreude macht sich breit, als das Expeditionsschiff Stella Australis in der chilenischen Stadt Punta Arenas ausläuft und die Lichter der Stadt langsam verblassen, während das Schiff bei Einbruch der Dunkelheit die legendäre Magellanstrasse durchkreuzt. Meine erste Kreuzfahrt – und dies gleich auf einem Expeditionsschiff! Meine Bedenken sind auch sogleich verflogen: Es schaukelt kein bisschen, als wir in das Labyrinth aus Kanälen einfahren, die den südlichsten Teil Patagoniens charakterisiert. Meine Kabine ist erstaunlich gross und geräumig. Das Fenster reicht vom Boden bis zur Decke, sodass ich noch im Halbschlaf vom Bett aus die Wildheit Patagoniens bestaunen kann. Noch vor Sonnenaufgang begebe ich mich auf das Deck im dritten Geschoss, einen Kaffee in der Hand und Staunen im Gesicht: Der Ausblick ist atembe- raubend. Der Almirantazgo-Fjord bietet einen spektakulären Anblick in der verwunschenen Zwischenwelt von Tag und Nacht.

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Moorgebiete, Urwälder und tollpatschige Pinguine

Bereits nach wenigen Stunden auf dem Schiff realisiert man, wie rasend schnell das Wetter in Patagonien umschlägt: Verlässliche Wettervorhersagen sind hier kaum möglich, die Reisenden erleben vier Jahreszeiten an einem einzigen Tag, wobei der Wind die einzige Konstante ist. Nach dem Frühstück erfolgt das tägliche Briefing der Passagiere in vier Sprachen, um sie auf den Landgang vorzubereiten. Mit Schwimmwesten ausgerüstet, werden die Zodiacs bestiegen – Schlauchboote, welche uns an Land bringen. In Begleitung der Expeditionsteams wird die Ainsworth-Bucht besucht; wir wandern einem Bach entlang, durch ein Moorgebiet, an einem Biberbau vorbei bis tief in den Urwald, wo ein Wasserfall eine mit Moos bewachsende Felswald herabstürzt. Durch die bestens ausgebildeten Expeditionsleiter erfahren die Reisenden zudem viel Wissenswertes über die lokale Flora und Fauna, wie auch über die Geschichte Patagoniens.

Auf der Fahrt dem Fjord entlang Richtung Westen steuern wir unser nächstes Ziel an: Die Tucker Inseln, wo eine riesige Kolonie von Magellan-Pinguinen sich während der Paarungszeit einfindet und anschliessend auf der kleinen Insel nistet und brütet. Die Schlauchboote sind kaum zwei Meter von den tollpatschigen Tieren entfernt, dennoch wird peinlichst genau darauf geachtet, dass wir die Pinguine nicht stören. Landgänge sind hier natürlich Tabu.

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Majestätische Gletscher und faszinierende Farbenspiele

In der Nacht navigieren wir um den südlichsten Teil von Feuerland und befahren den Ballenero-Kanal. Ein absolutes Highlight folgt heute: der majestätische Pia-Fjord mit seinem äusserst imposanten Gletscher, der direkt bis ans Meer reicht. Als eine Eisscholle abbricht, knallt es gewaltig. Die Wanderung findet abermals in zwei Schwierigkeitsstufen statt: Ich entscheide mich für die anspruchsvollere. Die vom strahlend blauen Himmel scheinende Sonne tut ihr Übriges, dass ich triefend vor Schweiss endlich oben ankomme. Je weiter südlich wir gelangen, desto intensiver werden die Farben der Natur – die Panoramaaussicht über den Gletscher, die Meereskanäle und Berge ist hier absolut spektakulär.

Wir setzen unsere Route auf dem Beagle- Kanal Richtung Osten fort und durchqueren ein Gebiet, das als «Glet- scher-Allee» bekannt ist: eindrückliche Gletscher, die ihre Eismassen von der Darwin-Kordillere an der Nordküste bis ins Meer schieben. Selbst nach dem Captain’s Dinner um 23 Uhr hält sich ein Grossteil der Reisenden auf dem Aussendeck auf, denn es ist noch hell genug, um die Farbenspiele der untergegangenen Sonne am Himmel im Kontrast zu den schwarzen Bergmassiven bewundern zu können. Eine allgemeine Nervosität und Vorfreude ist spürbar: Morgen erreichen wir Kap Hoorn.

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Das berüchtigte «Ende der Welt»

Kap Hoorn ist der Inbegriff des Mythos um diese entlegene Region Südamerikas, wo Atlantik und Pazifik aufeinanderprallen. Diesem Umstand verdankt das Massiv seinen gefürchteten Ruf als «das Ende der Welt» – keine Passage der Welt war gefährlicher und unberechenbarer als Kap Hoorn, der südlichste Punkt der Welt (abgesehen von der Antarktis). Noch heute befindet sich hier der grösste Schiffsfriedhof der Welt: zehntausende Tote und über 800 Wracks liegen auf dem Grund der eiskalten See. Captain Jaime Iturra erklärt: «Es gibt nie eine Garantie, dass man hier an Land gehen kann. Die Sicherheit hat oberste Priorität, und oft entscheide ich aufgrund der sich rasant wechselnden Wetterverhältnisse relativ kurzfristig.» Wir haben Glück: Das Wetter spielt mit, das Meer ist verhältnismässig ruhig und wir können an Land. Das Gefühl, am Ende der Welt zu sein, ist schlicht unbeschreiblich. Die Augen der Mitreisenden strahlen nach dieser einmaligen Erfahrung immer noch, als wir am Nachmittag die Wulaia-Bucht für einen weiteren Landgang besuchen — ehemals die grösste Siedlung der Ureinwohner Yamanas. Am nächsten Tag ist das Abenteuer bereits zu Ende und wir gehen im argentinischen Ushuaia wieder von Bord. Diese Reise ist wahrlich ein «once in a lifetime»-Erlebnis. www.australis.com

PATAGONIEN IM WINTER 2017/18

Auch andere Reedereien steuern Patagonien an: Hapag Lloyd beispielsweise hat eine 21-tägige Reise mit der MS Bremen im Programm, während Anbieter wie Hurtigruten (von/bis Ushuaia, 4 Tage, 3 Nächte) oder Ponant (Ushuaia bis Valparaiso, 14 Tage, 13 Nächte) die Gegend ebenfalls in den Wintermonaten anbieten.

Elisha Schuetz