«Es wird nur Verlierer geben»

Gedanken von Carsten K. Rath (Kameha Grand) zur Causa Kempinski/Reto Wittwer.

«Wahnsinn, wie Reto Wittwer sein Lebenswerk zerstört hat.» «Am Ende kommt eben doch immer alles heraus.» «Irre, wie er das gemacht hat.» Dies sind nur einige Aussagen, die zurzeit in der Branche rund um den Hotelpionier Reto Wittwer kursieren. Meinungen, die geäussert werden – wo Kempinski doch noch gar keine Belege der Schuld vorgelegt hat.

Mir stellen sich vor allem Fragen: Wieso wird eine Pressemitteilung mit schweren Beschuldigungen verschickt, bevor die Staatsanwaltschaft erste Ermittlungsergebnisse vorlegt? Warum informiert jetzt der neue Vorstandsvorsitzende – und nicht der Aufsichtsrat, der Wittwer jahrelang kontrolliert hat? Wie kann es in einem börsennotierten Unternehmen dazu kommen, dass diese Verfehlungen über Jahre hinweg nicht aufgedeckt wurden – wenn sie denn stimmen? Und schliesslich: Wem nützt all das?

Ich habe auf diese Fragen noch keine Antworten gefunden. Fest steht für mich aber, dass es nur Verlierer gibt: Natürlich die Person Reto Wittwer, der Aufsichtsrat, dem die Kontrolle nach eigenem Eingeständnis nicht gelungen ist, und schliesslich der neue Vorstandsvorsitzende. Weiter die Eigentümer von Kempinski, das Crown Property Bureau, sowie auch die Eigentümer jedes einzelnen Hotels – und damit auch alle Mitarbeiter von Kempinski, die Marke Kempinski und die Schweizer Grandhotellerie per se.

Steckt Strategie dahinter?
Alles in allem eine Lose-Lose-Situation: Selbst wenn sich juristisch eine Partei durchsetzen sollte, so wird es keine Gewinner geben. Gleichwohl basiert das Vorgehen wohl auf einer Strategie. Bislang sind dies nur Spekulationen. Szenario A könnte sein, dass Kempinski durch die Schlammschlacht zu einem uninteressanten Übernahmekandidaten wird. Bei Szenario B würde Kempinski zu einem gefragten Kandidaten, da mit dem Wert des börsennotierten, diffamierten Unternehmens das Interesse der Royal Family sinkt.

Es ist viel zu früh, um bereits eine Meinung zu fassen. Genau betrachtet gilt es seitens der Beschuldiger nur ein Pressestatement des neuen CEO von Kempinski, der vorher recht unbekannt ein Hotel in Bangkok leitete. Es war für alle eine Überraschung, als dieser Mann als Nachfolger von Reto Wittwer auf die internationale Hotelbühne gerufen wurde. Ausser einer Stellungnahme gibt es sonst keine öffentlichen Äusserungen in der Sache. Kempinski bleibt der Öffentlichkeit bislang noch die Belege für die Anschuldigungen schuldig. Wir alle tun gut daran, einen Rechtsgrundsatz zu beachten: Die Unschuldsvermutung, solange die Schuld nicht bewiesen ist.

Differenzieren und weiterdenken
Ganz gleich, ob eine Führungskraft den Hut nimmt oder den Stuhl vor die Türe gesetzt bekommt – oder einfach nur ein neues Leben leben möchte, Spekulationen sind immer schnell zu Hand und Meinungen zu früh festgelegt. Dabei hat jeder das Recht, etwas Neues zu machen. Gute Beispiele gibt es zuhauf. Sollte ich mich eines Tages für ein Leben fernab der Grandhotellerie entscheiden, so wünsche ich mir, dass die Menschen differenzieren und weiterdenken. Wir alle haben nur dieses eine Leben, ganz gleich, ob dies bedeutet, zu malen, mit den Kindern zu spielen oder Bücher zu schreiben.

Carsten K. Rath war von 1991 bis 1999 für Kempinski tätig. Dabei arbeitete er auch mit Reto Wittwer zusammen, der von 1995 bis 2014 CEO war.