Feedback: «Fremdschämen hoch 10»

TRAVEL INSIDE-Leser Simon Schnellmann ist nicht zufrieden mit den Lobbying-Aktivitäten des SRV.

Simon Schnellmann, Geschäftsführer, Travel Worldwide, Zürich

«Lieber SRV

Eure Arbeit in Ehren, aber diese zwei Schreiben („mein Vorschlag“, „Brief Forderungen Corona Task Force“) sind nicht Euer Ernst, oder? Orthographisch und grammatikalisch geht’s ja kaum schlimmer…? Hey nein sorry, Fremdschämen hoch 10, ich schüttle nur noch ungläubig den Kopf! Glaubt ihr tatsächlich, dass uns diese zwei Schreiben weiterbringen? Nein, nicht wirklich, oder? Da denkt sich doch jeder zweite Parlamentarier: „Hmmmm, also wenn es die Reisebranche (bzw. deren Verband…!?!?) in den letzten 20 Jahren nicht mal geschafft hat, sich in Bundesbern eine Lobby einzurichten, dann stinkt der Fisch schon mal grundlegend vom Kopf. Und jetzt versuchen sie, den aktuellen Scherbenhaufen mit einem so dilettantischen Schreiben zu retten? In dieser Branche scheint offenbar Hopfen und Malz verloren zu sein und ich unterstütze doch lieber diejenigen, für die noch Hoffnung besteht? „Rettet Rolf Fringer oder Irina Beller“ ist wohl zielführender?“

Es tut mir leid, aber jetzt reicht es mir langsam gewaltig. Wir werden von Euch seit sechs Monaten hingehalten und man mahnte uns stets zur Zurückhaltung, damit Ihr Euren Job im Sinne und zum Schutz von uns allen in Ruhe erledigen könnt. Und jetzt präsentiert Ihr uns – nachdem Ihr in den letzten Monaten gar nichts hinbekommen habt (natürlich, Ändu Lüthi hatte Presse ohne Ende und darf jetzt vier Fotos von sich mit Bundesräten in seine Galerie hängen) – diese zwei unsäglichen Briefe, die nur so von Verzweiflung und dem Griff nach dem letzten Strohhalm strotzen? Nach sechs Monaten ohne zählbare Resultate wäre es doch sicher möglich gewesen, diese Schreiben gegenlesen zu lassen, zu korrigieren und v.a. auch in eine Form zu bringen, die strategisch Sinn gemacht hätte? Aber nein, jetzt gehen synchronisierte Schreiben an die Parlamentarier raus, die jeder Viertklässler besser geschrieben hätte?

Lieber Wädi, am Anfang der Krise kam ich mit einigen Inputs auf Dich zu und wir haben ein paar Mal hin- und her geschrieben und auch einige Male miteinander telefoniert. Im Frühsommer hast Du mir zwischen den Zeilen dann aber unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass ich jetzt doch lieber mal Ruhe geben und besser „die grossen Buben“ arbeiten lassen solle. Also habe ich mich fortan zurückgehalten, auch wenn in meinem Kopf immer wieder der Titel des Films „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ ablief.

Ein Verband sollte dazu da sein, die Branche im Notfall retten zu können, als Sprachrohr die Stimmen aller zu vereinen und in derem Sinn zu agieren. Der Verband müsste deshalb die guten und unbeschwerten Zeiten dazu nutzen, ein schützendes Netzwerk mit entsprechenden Strategien aufzubauen, damit eine (zugegeben, eher unwahrscheinliche) Notsituation abgefedert werden kann. Irgendwie habt ihr Euren Auftrag aber missverstanden, denn etwas anderes, als exzessive, mehrtägige Jahres-GV’s im Ausland oder auf Kreuzfahrtschiffen, wo die Sonnenkönige von den Kleinen dieser Branche gehuldigt werden, wo man sich gegenseitig auf die Schultern klopft und wo man sich feiert (für was auch immer, vielleicht für „endlos geili Sieche“??), habt Ihr nicht hinbekommen.

So erstaunt es auch nicht weiter, dass Ihr Euren Fokus v.a. auf die EO für Inhaber in arbeitgeberähnlichen Situationen richtet. Denn damit befriedigt Ihr genau diejenigen, die jährlich an Euren GV’s den Bückling machen und Euch feiern. Das Gremium des SRV besteht aus den „Big 5“, also genau aus denjenigen, welche in den letzten 10 Jahren 1000 Arbeitsplätze vernichtet haben. Und nun „kämpfen“ diese „Keeper of the truth“ (Ihr) auch noch für all die kleinen 3-4-Peronen-Reisebüros, welche es in den letzten 30 Jahren nicht geschafft haben, ihre Daseinsberechtigung über den Horizont einer Gruppenreise nach Mallorca des örtlichen Männerchors oder der Frauenriege zu erweitern? Für Unternehmen, welche nach wie vor der Meinung sind, dass der Branche ein Recht auf Stillstand zusteht, nur weil sie in der Vergangenheit zu bequem waren und ihnen der Begriff „Innovation“ das Blut in den Adern gefrieren liess? Nur weil Ihr „Grossen“ es ihnen so sagt? „Strukturelle Bereinigung“ scheint in der Branche neuerdings das Wort des Jahres zu sein. Und alle verstecken sich hinter diesem unsinnigen Wort, weil jeder das Gefühl hat, dieser „strukturellen Bereinigung“ würden ja andere zum Opfer fallen.

Schlussendlich geht es ja aber nicht darum, den Status Quo der 85% Geschäftsinhabern zu sichern, welche lediglich für 30% der Arbeitsplätze in der Branche verantwortlich sind. Nein, es geht darum, die Branche zu retten! Es geht schlicht und einfach um Arbeitsplätze, die auch in Zukunft eine Daseinsberechtigung hätten… Wieso also sucht Ihr nicht das Gespräch mit uns, den 10% der Geschäftsinhabern, die für 50% der Jobs in der Branche verantwortlich sind? Mit den mittelgrossen KMU’s, mit denjenigen, die ihre Hausaufgaben gemacht und neue Arbeitsplätze geschaffen haben? Mit den Innovativen? Ja, schmerzhaft, denn genau diese klopfen Euch nicht auf die Schulten…

Jetzt zeigt es sich, dass wir einen Branchenverband haben, der sich zwar „wir müssen uns dem Wandel der Zeit anpassen“ auf die Fahne schreibt, aber unfähig ist, diesen Wandel selber mitzugehen, geschweige denn, diesen zu leben. Unser Verband wird von denjenigen regiert (Euch), welche in den letzten Jahren Jobs vernichten haben, obwohl es auch anders gegangen wäre. Kein Wunder also, dass jetzt denjenigen geholfen wird, die es auch nicht besser gemacht haben. Eine Hand wäscht die andere. Zumindest bis sich die selbsternannten und selbstgewählten „Sonnenkönige“ zur Pension zurückziehen (was ja zum Glück schon bald der Fall sein wird). Danach soll es die Branche selber ausbaden. So sieht es leider aus, tragisch aber wahr.

Sorry, aber wenn diese zwei Briefe bzw Vorlagen das Resultat Eures sechsmonatigen „Efforts für die Branche“ sind, dann ziehe ich jetzt die Konsequenzen und steige aus diesem Streichelzoo aus. Wenn ich es irgendwie schaffe, travel worldwide über die Runden zu bringen, dann lieber selber. Auf Eure „Hilfe“ verzichte ich dabei liebend gerne. Ich will nicht mehr Mitglied des SRV sein, denn ein Verband, der solche Schreiben rauslässt und gleichzeitig noch seine Mitglieder für Kontakte zu Parlamentariern anfragt, obwohl das eben genau seine Aufgabe gewesen wäre, hat schlicht und einfach versagt.»