Legal Matters: Das Reisebüro-Sozialamtsprodukt

Die Reiserecht-Kolumne von Dr. iur. Peter Krepper, Rechtsanwalt und Mediator.
Peter Krepper ©zVg

Ich schulde Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, eine Erklärung. Manche Reisebüros seien auch Sozialämter, habe ich in der Legal-Matters Kolumne vom 19. August dieses merkwürdigen Jahres behauptet. Wie das? Lassen Sie mich zur Erklärung etwas ausholen:

Die Reisebranche generiert einen wesentlichen Teil der wirtschaftlichen Wertschöpfung in unserem Land, trägt nach Kräften und bisher erfolgreich zum Bruttosozialprodukt bei. Dass ein nötiger Strukturwandel nicht mit Milliarden Steuergeldern verhindert werden sollte, ist zwar verständlich, auch für uns Touristiker. Gehört es aber zu diesem Wandel, dass derzeit hunderte von KMU Reiseunternehmen vor dem wirtschaftlichen Aus stehen, nur weil ein Virus für eine hoffentlich bald absehbare Zeit der Gesundheitspolitik alle Macht zuschanzt?

Nun, entgegen meiner letzten Kolumne bin ich als Rechtsanwalt kein Pastor, und auch kein Experte für Volkswirtschafts-Politik (wer ist das in der Komplexität der Sache heute noch?) … eines jedoch ist hier nochmals zu predigen: Es kann und darf nicht Sache genau dieser für die Wirtschaft selbst existenziell wichtigen Branche, dem Tourismus, sein, für den Schaden praktisch im Alleingang aufkommen zu müssen, der ihr aus dieser Pandemie entsteht.

Im Klartext wieder unter dem Hütchen des professionellen Konfliktarbeiters geschrieben: Das Konsumentenschutz-Recht zumal bei Pauschalreisen ist zu ändern; der Nutzen und die Risiken des weltweiten Reisens via die professionellen Dienstleistungen der Branche sind anders zu verteilen. Dass ein Reisebüro auf den Wunsch von Kunden hin non-refundable in die weite Welt hinaus geleistete Reisepreise aus der eigenen Tasche ersetzen muss (PauRG 10 und 11), ist absurd und, im derzeit anderswo beliebten Jargon, «toxisch».

Das Klima in der Reisebranche hat sich ob dieser Pandemie nicht nur erwärmt, sondern in hunderten von Rechtsfällen nachgerade vergiftet. Viele Unternehmen argumentieren derzeit mit dem Rücken zur Wand für faire Lösungen mit ihren Reisekunden. Viele Kunden verstehen die Situation genau und zeigen sich kulant; Du trägst diesen Teil des Verlusts, ich jenen selbst, man sieht man sich wieder im Leben, die gemeinsame Reise wird weitergehen.

Andere müssen auf dem mühseligen und selbst kostspieligen Rechtsweg zur Einsicht gebracht werden, dass beim Reisen wie sonst im Leben nur Nehmen und Geben funktionieren kann. Macht das die Behauptung verständlicher, dass sich Reisebüros derzeit also sozial engagieren (müssen)? Und dabei, wenn es schlecht läuft, sogar über den Notbedarf der Kundschaft hinaus Geldleistungen an diese selbst berappen (müssen)?

Licht am Horizont ergab sich übrigens im zuletzt berichteten Fall vom Afrika-Reise-Kunde: der Mann fand kurz vor Klage-Eingabe ans Gericht doch noch zur Bereitschaft, für die von ihm selbst wegen Corona stornierten Reise wenigstens die Selbstkosten des TO zu bezahlen. Ende gut, alles gut, dachten wir auch im Fall eines anderen TO, dessen Kundschaft ebenso in eine angemessene Teilung der verlorenen Reisegelder einwilligte.

Gleich nach der Rückerstattung der vereinbarten Summe durchs Reisebüro konnten diese Kunden es indes nicht unterlassen, den TO rundherum anzuschwärzen für sein «kriminelles» Verhalten, nicht den ganzen Reisepreis erstattet zu haben. Das Wording und der Verteiler dieses Lamentos nahmen Ausmasse an, die eine Verleumdungsanzeige unvermeidlich machten.

Nun hat die Justiz diese Menschen, notabene auf Kosten der Steuerzahler, zu belehren, dass es in unserer Gesellschaft weder üblich noch rechtens ist, Geschäftspartner bei Dritten wider besseres Wissen strafbarer Handlungen zu bezichtigen. – Man ist versucht, hier gar von einem Kindergarten zu sprechen, in welchen diese Reisekundschaft zurückbeordert wird.

Doch genug der Analogien, die Situation ist weder witzig noch rein gesellschafts-politisch zu lösen. Wo Anstand und Augenmass keine natürliche Lebenshaltung mehr abgeben, wird es auch für die Justiz nahezu unmöglich, bessere Zustände via Strafen wiederherzustellen.

So kämpfen wir einstweilen an der Kundenfront weiter um vertretbare Lösungen; oder mit weniger martialischem Vokabular: Profis aller Parteien sind daran, die Interessen aller Teilnehmendem am Reisebizz unter einen Hut zu bringen. Vom konkreten Einzelfall bis hin zur beispielshaft erneuerten Gesetzgebung in Bundesbern ist es noch ein langer Weg. Nutzen wir, so mein Vorschlag, bei dieser Gelegenheit auch gleich der Wandel der Strukturen in sozialer, tier-ethischer und ökologischer Hinsicht, für eine bald wieder starke Reisez(uk)unft.


Dr. iur. Peter Krepper lebt und arbeitet als Rechtsanwalt und als Mediator in Zürich.

Fragen an pk@ksup.ch