Sibylle Bloch: «Wir haben nun genug lange gejammert»

Sibylle Bloch, Head Special Interest Travelhouse, über das Privileg Reisen, das Arbeiten während der Pandemie und ihre vor der Krise neu angetretene Funktion bei Travelhouse.
Sibylle Bloch

Das Ausschlussverfahren bei der Lehrstellensuche brachte Sibylle Bloch (37) in den Tourismus. Obwohl ihr im Eignungstest nicht ganz klar war, wo jetzt nun die Kanarischen Inseln und die Balearen genau liegen, schien sie anderweitig überzeugt zu haben.

2002 startete sie in die kaufmännische Lehre an der Dufourstrasse 9 in Basel – bei Esco Reisen. Kurzweilige und mitunter turbulente 19 Jahre später, inklusive einem 5-jährigen Abstecher ausserhalb von Hotelplan Suisse, verantwortet sie nun beim Schweizer Reiseveranstalter die Abteilung Special Interest von Travelhouse.

Ihr Team kreiert für die Spezialistenmarke themenbasierende Reisen, als Ergänzung zum Destinations-Portfolio von Travelhouse. Längerfristige Trends, wie beispielsweise das Thema Nachhaltigkeit werden aufgenommen und in Reisen verwandelt. Für den Sommer 2021 publizierte Travelhouse sechs Broschüren mit dem Fokus auf Erlebnisreisen in Europa.  

Nach dem Bachelor 2011, schloss Sibylle Bloch anfangs dieses Jahres ihren Master of Science in New Business an der Fachhochschule Graubünden ab. Themen wie Innovation, Organisationsentwicklung und Aufbau oder Re-Design von Geschäftsmodellen findet sie äusserst spannend. Dies sind Themen, die sie nun in ihren beruflichen Alltag integrieren kann. In ihrer Master Thesis schuf sie deswegen die Grundlage für ein wissenschaftlich fundiertes Nachhaltigkeits-Label für individuelle Reisearrangements.  

Ihre «Top Drei» im Privatleben: gute Gesellschaft, gutes Essen und ein guter Tropfen. Seit gut acht Jahren nennt die gebürtige Baslerin Zürich ihr Zuhause. Sie liebt kontroverse Diskussionen, geniesst es aber gleichermassen, bei einem ausgedehnten Spaziergang im Hardwald bei Kloten den eigenen Gedanken freien Lauf zu lassen.

Was auf keinen Fall jemals fehlt, ist ein spannendes Buch auf dem Nachttisch. Wer jetzt an Thriller oder Krimi denkt, ist bei ihr jedoch an der falschen Adresse. Leadership, ökonomische Themen oder aber Bücher über Gleichstellung sind ihre Favoriten – etwas lernen, den eigenen Bewusstheitsrahmen erweitern und neue Inputs sammeln, stehen für sie im Vordergrund.

Neben allem, was Sibylle Bloch für ihr eigenes Wohlbefinden unternimmt, hat sie eben erst das Mentoren-Seminar des Projekt Ithaka des Kantons Zürich absolviert, um künftig Jugendliche als Mentorin bei der Lehrstellensuche zu unterstützen. 


Sibylle Bloch, was bedeutet Reisen für Sie?  

Freiheit. Und ein Privileg. Beides, nicht erst seitdem uns die Pandemie diese Freiheit und dieses Privileg mehrheitlich verwehrt… und Erinnerungen und Erfahrungen sammeln, die dir niemals jemand nehmen kann. Das Gefühl, in Ruanda eine Stunde mitten in einer Gorilla-Familie zu sitzen, in Teheran in die Metro zu steigen und im Frauenabteil «Victoria’s Secret» BHs zum Kauf angeboten zu bekommen oder aber einen 7-Gänger in den Baumwipfeln mit atemberaubender Aussicht auf den Golf von Nicoya (Costa Rica) zu geniessen. Das alles ist unbezahlbar. Aber eben, auch ein Riesen-Privileg, das es zu wahren gilt.  

Wie sehen Ihre Pläne für die Sommerferien aus?  

Gerade vergangene Woche habe ich gebucht! Einmal im Jahr zieht es mich IMMER nach Griechenland – die Faszination Parikos Reisen, die Älteren unter uns erinnern sich an das Telefonbuch, habe ich in meiner Lehre eingeimpft bekommen. Selbst letzten Sommer habe ich es bis nach Symi geschafft.  

Dieses Jahr kombiniere ich die Sporaden mit Pillion und den Meteora Köstern. 2005, gerade vor dem Ende meiner Lehrzeit, durfte ich unsere damalige PM von ESCO auf Einkaufsreise auf das Archipel begleiten. Auch wenn die Vertragsverhandlungen für mich damals eher zum Einschlafen anmuteten (einmal bin ich wirklich eingenickt, zum Glück verzeiht man das einem «Anfänger»), hat mich die griechische Inselwelt in ihren Bann gezogen. Entsprechend gefreut habe ich mich über den neu aufgelegten Direktflug von Edelweiss. Somit werde ich mit Rucksack, Bikini und guten Schuhen im Gepäck zwei Wochen wandern, baden und das gute griechische Essen mit dazugehörigem Wein geniessen 

Sie haben kurz vor der Pandemie die Funktion als Head Special Tours Travelhouse übernommen – wie haben Sie diese Aufgabe gemeistert? Wo lagen die Schwierigkeiten?  

Nun, das Ganze war wahrscheinlich noch spannender, wie es ohnehin geworden wäre. Salopp ausgedrückt, hat mir Tim Bachmann, CEO Hotelplan Suisse, Ende 2019 gesagt: nimm ein weisses Blatt Papier und mach was du willst, solange du dich strategisch auf der richtigen Flughöhe befindest.  

What a challenge! What an opportunity!  

Es war ein Zick-Zack-Kurs sondergleichen, denn, ein weisses Blatt Papier heisst auch, immer wieder zu prüfen, ob wir denn auch auf dem richtigen Weg sind. Wäre das nicht genug, kam die Pandemie. Das ganze vergangene Jahr war eine enorme Challenge: Wie bleibe ich selbst motiviert und wie motiviere ich mein Team?

Natürlich hatten wir den Vorteil, dass unsere Produkte von strategischer Wichtigkeit für Travelhouse sind. So mussten wir uns nicht wie unsere Kolleginnen und Kollegen nur um Umbuchungen und Annullationen kümmern, sondern durften nebenbei auch neue Produkte kreieren. Aber, Kurzarbeit und jederzeit ändernde Spielregeln im internationalen Reiseverkehr haben auch bei uns ihren Tribut gezollt. Nicht nur, aber vor allem, wegen all diesen Umständen, bin ich enorm stolz auf mein Team. Sie haben Unglaubliches geleistet und konnten gleichzeitig auch jederzeit auf die Unterstützung der anderen Travelhouse-Abteilungen zählen.

Das Resultat, mit sechs Broschüren und rund 100 Reisen zu den Themen «Slow Travel», «Motorhome Adventures», «Family Adventures», «Golf», «Reisen im E-Auto» und «Seitenstrassen» darf sich wirklich sehen lassen. Wir «leben» das Erleben, ermuntern Kundinnen und Kunden nachhaltig unterwegs zu sein und bieten Familien-Rundreisen an, die meines Wissens neu für den Schweizer Markt sind. Somit: Ohne den Effort von jedem/jeder Einzelnen der Travelhouse-Crew, würden wir jetzt nicht am Punkt stehen, wo wir uns bereits Gedanken über unser 2022-Portfolio machen dürfen.  

Wie schwierig ist das Verkaufen von Reisen und die Arbeit als TO geworden?  

Wie lässt sich dies nur vernünftig in Worte fassen? Seit ich im Tourismus tätig bin, gab es wohl kein Jahr, in dem nicht irgendein Megatrend, eine Naturkatastrophe oder wirtschaftliche Spannungen Einfluss auf unsere Tätigkeit hatte. Aber die Corona-Pandemie überstieg unsere Vorstellungskraft. Schwierig ist es per se nicht, Reisen zu verkaufen. Die Frage ist eher, ob es Sinn macht, etwas zu verkaufen.

Hier sehe ich das Empowerment unserer Mitarbeitenden als absoluten Key: mit klaren Einschätzungen, welche Reisen wann wieder möglich sein werden, können sie den Verkauf steuern. So macht es jetzt Sinn, seine Sommerferien in Griechenland zu buchen, weniger aber, jetzt eine USA Mietwagen-Rundreise für Juli 2021 zu reservieren. Unsere Mitarbeitenden im Verkauf machen einen unglaublichen Job, in dem es wichtiger denn je ist, den Kunden mit klaren Argumenten zu steuern und realistische Optionen aufzuzeigen.  

Im Touroperating sieht das ganze nochmals anders aus. Für mein Team war relativ bald klar, dass wir für 2021 auf Europa setzten. So weit so gut, nur wissen wir leider wirklich nicht, wieviel «Schnauf» welcher Leistungsträger noch hat. Meiner Einschätzung nach wird die Operations im Sommer 2021 nochmals einiges an Flexibilität und Improvisationstalent bedürfen – unsere Resilienz ist hoch und entsprechend: wir sind ready 

Wie stehen Sie zur Impfung und der Schnelltest-Offensive des Bundes?  

Ich bin pro Testen und pro Impfung. Ganz einfach: Ich will selbst wieder Reisen, möglichst ohne Einschränkungen! So egoistisch bin ich. Ich glaube, dass unsere Regierung und alle Exponenten des BAG tun, was sie können. Auch wenn ich überhaupt keine Freude an der berühmten Risikoländerliste habe, konnte ich die Liste zu Beginn als Massnahme nachvollziehen. Aber jetzt, nach unzähligen Updates der Liste, bin ich der Meinung, dass diese durch ein vernünftiges Test-Konzept ersetzt gehört. Schlussendlich brauchen wir alle, inklusive unseren Kundinnen und Kunden, Planbarkeit.  

Was ziehen Sie Positives aus der Corona-Krise?  

Ehrlich gesagt, eigentlich doch einiges. Sowohl privat wie auch für unsere Industrie. Ich habe eingangs gesagt, dass ich Reisen als ein Privileg ansehe. Ein Privileg der pre-Corona kaum mehr ein wirklicher Wert hatte. Was war daran wertvoll: 3 Tage nach Mallorca zu jetten und dort dann 15 Insta-Stories zu posten?  

Das Angebot ist signifikant zusammengebrochen, die Nachfrage ist hingegen verhältnismässig nur leicht gesunken: also nur logisch, dass die Preise steigen. Und das ist richtig so. Wir alle in der Branche regen uns über Low-Coster auf, schauen aber selbst immer, dass wir ja möglichst wenig für unsere eigene Reisen zahlen müssen. Nun, da versucht sich die Katze selbst in den Schwanz zu beissen. Sobald wir einigermassen Klarheit darüber haben, wie es bzgl. Impfungen etc. aussieht und die verschiedenen Einreisebestimmungen endlich mal wieder mehr als zwei Wochen Gültigkeit haben, werden wir alle aufschnaufen.

Aber, nur kurz! Warum? Der Megatrend Nachhaltigkeit wird (zurück) kommen, aber in einem grösseren Ausmass wie bisher. Neue Lösungen, neue Ideen und eine neue Einstellung wird damit miteingehen müssen. Ich glaube, wir sind alle künftig auf der persönlichen, wie auch auf der beruflichen Ebene gefordert, neu zu denken und mit dem kostbaren Gut, das wir verkaufen, auch entsprechend umzugehen.  

Auf was freuen Sie sich in diesem Jahr am meisten – was wünschen Sie sich?  

Ich bin top motiviert und sehe, dass wir viele spannende Herausforderungen vor uns haben. Wir haben nun genug lange gejammert, es ist Zeit nach vorne zu blicken und zu überlegen, was genau unsere Aufgabe im neuen Normal ist. Persönlich freue ich mich natürlich jetzt schon auf meine Griechenland-Reise, aber natürlich auch auf laue Sommernächte, in denen es mir hoffentlich gelingt, diese wieder völlig unbeschwert zu geniessen.

Wie singen es Dino Brandão, Faber und Sophie Hunger so schön: «Z’gseh gäbts e ganzi Wält, doch e Nacht an dr Langstrass, mir langt das». Ich habe mir fest vorgenommen, dankbarer für das zu sein, was ich habe, statt immer mehr zu wollen. Heisst nicht, dass mein Ehrgeiz im letzten Jahr flöten ging, im Gegenteil: sich auf das wirklich Wichtige besinnen, geben, statt nur zu nehmen und sich seinem Fussabdruck jederzeit bewusst sein. Aber auch das Gefühl einer «Nacht an dr Langstrass» so richtig auszukosten. 

(Interview: Yannick Suter)