SRV-GV: «Es ist wahnsinnig kompliziert»  

INSIDER-KOLUMNE von Kurt Eberhard. Der 2016 als «Travel Personality» gekürte Reiseprofi über Nachhaltigkeit im Tourismus und die geplante Ausland-GV des SRV. 
Kurt Eberhard

«Der Debatte über Nachhaltigkeit kann unsere Branche sich angesichts der realen Herausforderungen und der Omnipräsenz des Themas in den Medien nicht entziehen. Wenig bis gar nicht vorbereitet auf die massive Kritik von Seiten der Klimabewegung, rieben wir uns mit dem Aufkommen der weltweiten Klimabewegung die Augen und fragten uns, warum alle plötzlich auf uns herumhacken?

Vorübergehend hat Corona der Nachhaltigkeit zwar die Show gestohlen aber wer hoffte, Zweiteres sei damit vom Tisch, war naiv. Selbstkritisch musste man feststellen, dass unsere Branche die Existenz des Problems viel zu lange ignoriert hat. Klimaveränderung oder soziale Ungerechtigkeit in vielen Tourismusdestinationen sind real und erfordern zur Linderung der Folgen von allen ein Umdenken und einen Beitrag.  

Dass unsere Kundschaft wenig Lust auf mit Abgasen geschwängerte Luft in «pittoresken Städten», auf von Massen überrannte «Geheimtipps» und auf Plastik vermüllte «Traumstrände» hat, versteht sich von selbst.

Offensichtlich müssen die Herausforderungen global angegangen werden. Deswegen nicht vor der eigenen Haustür zu wischen, wäre aber eine billige Ausrede. Im eigenen Interesse setzen wir uns für eine möglichst intakte Natur, Völkerverständigung, wirtschaftliche Entwicklung und den Erhalt von Arbeitsplätzen ein.

Die Reiseindustrie, an der, je nach Schätzungen, weltweit direkt oder indirekt zwischen achthundert Millionen und einer Milliarde Jobs hängen, sitzt nicht untätig herum. In den letzten Jahren wurden enorme Anstrengungen unternommen, das Reisen nachhaltiger zu gestalten. Nicht alle Akteure betreiben dafür gleich viel Aufwand und es gibt natürlich auch schwarze Schafe.

Man kann aber auch nicht alle mit der gleichen Elle messen. Es ist ein Unterschied, ob man für ein Tourismusunternehmen im wohlstandsgesättigten Europa verantwortlich ist oder für ein ähnlich gelagertes Unternehmen in einem Entwicklungsland. Mentalitätsunterschiede, fehlende Gesetzgebung oder Wohlstandsgefälle sind nur einige der Gründe für das unterschiedliche Tempo im Angehen der Probleme.  

Es ist eben, wie es der «NZZ»-Journalist Christoph Zürcher einst zum Thema «Reiseverzicht ja oder nein?» treffend formulierte «wahnsinnig kompliziert» und nicht ganz so trivial, wie man das von der Klimabewegung zuweilen zu hören bekommt. Wie Zürcher schrieb, kann man mit einem Reiseverzicht evtl. einen Beitrag zur Rettung der Eisbären am Nordpol leisten aber besiegelt z.B. den Untergang der Wildtiere in den Nationalparks in Ostafrika. Deren Überleben und das vieler lokaler Familien hängen u.a. auch von ausländischen Touristen ab. Das will nicht heissen, dass man alle Angebote, die von der Reiseindustrie angeboten werden, unkritisch hinnehmen muss.  

Der SRV nimmt seine Verantwortung für Nachhaltigkeit im Tourismus durchaus ernst und trägt z.B. mit der Durchführung des Nachhaltigkeitstages seinen Teil bei. Darüber, ob er genug unternimmt, kann man natürlich geteilter Meinung sein.

Um die Frage, ob die Abhaltung einer GV im Ausland noch zeitgemäss ist, zu beantworten, muss man sich zuerst bewusst sein, wer wir (die Reisebranche) sind. Unsere primäre Aufgabe ist es, der Kundschaft die Schönheiten der Welt näher zu bringen. Die Aufgabe der Branche kann nicht darin liegen, die Kunden auf Reiseverzicht zu trimmen. Das tun schon andere für uns.  

Entgegen der Mehrheit der TI-Umfrage zu diesem Thema, finde ich: Ja, der SRV soll gelegentlich oder regelmässig seine GV im Ausland abhalten. Wir sind nun mal die Reisebranche und verkaufen keine Socken oder Cervelats, sondern Ferien im Ausland. Der Kundschaft zu suggerieren, dass wir selbst mit gutem Bespiel vorangehen und auf Reisen verzichten und dabei insgeheim zu hoffen, dass eben diese Kundschaft trotzdem weiterhin reist, wirkt unglaubwürdig.  

Es ist ja nicht so, dass man einfach nur mal kurz zur GV in die Emirate jettet und dann gleich wieder zurück. Die Teilnehmenden machen sich vor Ort ein Bild über die touristischen Angebote und setzen sich aktiv mit der Destination auseinander. Die GV ist dabei fast schon Nebensache.

Es sind ja gerade die an der GV teilnehmenden Vorgesetzten, die in ihren jeweiligen Firmen Akzente setzen (auch zum Thema Nachhaltigkeit im Tourismus!). Zudem scheint mir eine Grossveranstaltung, wie die SRV–GV, auch aus einer klimaverträglichen Optik bedeutend umweltfreundlicher, als wenn 250 Reiseprofis auf Individualstudienreisen, jeder und jede in seinem Mietwagen das Emirat Ras al Khaimah bereisen würden.

Der SRV sollte allerdings in die Pflicht genommen werden. Ein obligatorischer «Nachhaltigkeitsbeitrag» für alle Teilnehmenden wäre hier sicher ein starkes Zeichen. Ob das Geld dann in die CO2-Kompensation fliesst oder anderweitig sinnvoll in ein Nachhaltigkeitsprojekt investiert wird, ist sekundär. Ich traue dem SRV-Vorstand zu, dass dahingehende Überlegungen bereits angestellt wurden.» 

(Kurt Eberhard)