Zwei Perlen Brasiliens

Strände, Geschichte, Abenteuer: Rio de Janeiro und Salvador da Bahia an der Atlantikküste Brasiliens.
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Der Strand sei der demokratischs­te Ort des Landes, heisst es in Brasilien. In Bikini und Shorts liessen sich die sozialen Ungleichheiten in der tief gespaltenen Gesellschaft nicht mehr feststellen – denn alle sähen gleich aus. Stattdessen werde das zelebriert, was alle Brasilianer verbindet: die Liebe zum Strand und dem Meer.

Allerdings entspricht dies nicht ganz der Realität. Wer arm ist und nicht direkt oberhalb der vornehmen Bucht von Ipa­nema in den Armensiedlungen der Fa­velas wohnt, hat kaum eine Chance, die weissen Sandstrände in Rio de Janeiro zu geniessen; zu teuer ist die lange An­fahrt mit dem Bus oder der Metro. Selbst jene, die zu Fuss von den nahegelege­nen Favelas an die Co­pacabana kommen, werden von der Polizei misstrauisch beäugt – dies ist der Strand der Reichen. Dennoch feiern hier alle Cariocas, wie die Einwoh­ner Rios genannt werden, zumindest an Neujahr gemeinsam; alle in strahlendes Weiss gekleidet, Champagnergläser, Cai­pirinhas oder Bierdosen in der Hand, und schwenken ausgelassen ihre Hüf­ten zu den live vorgetragenen Songs der Künstler entlang der Strandpromenade. Dies wird auch der Fall sein, wenn am 3. November 2017 zum ersten Mal das Lati­no-Festival «Caliente» für einmal nicht in Zürich, sondern in Rio stattfindet.

VON MENSCHEN UND ORISHAS  Ursprünglich wurde das Fest an Neujahr zu Ehren der Meeresgöttin «Yemanjá» von den Anhängern der Candomblé– und Umbanda-Zirkel abgehalten. Tief in Westafrika verwurzelt, ist der Candom­blé eine alte brasilianische Religion, zu der sich noch heute über zwei Millionen Brasilianer bekennen. In den Grund­zügen geht es darum, einen Austausch zwischen den Menschen, die ihn prakti­zieren, und den Göttern – Orisha, Nkisi oder Vodum genannt – herzustellen. Die Gläubigen besetzten die Strände von Co­pacabana, Ipanema und Leblon, sangen und tanzten zu Trommelrhythmen ums offene Feuer und fielen dabei in spirituel­le Trance. Gegen Morgen sah man dann im Dämmerlicht kleine Boote und Flösse mit den Opfergaben der Gläubigen an Yemanjá aufs Meer hinaustreiben – mit vielen bunten Blumen und brennenden Kerzen geschmückt. Mit dem frühmor­gendlichen Bad der Teilnehmer im Meer wurde dieses Ereignis beschlossen und die Seele für das neue Jahr gereinigt. Selbst heute werden diese Rituale an den Stränden von Rio de Janeiro noch praktiziert; doch inmitten dem lauten Trubel und dem wilden Treiben wurden die Rituale der Candomblé-Anhänger aus der Copacabana verdrängt. Kein Wunder – schliesslich säumen jedes Jahr rund eine halbe Million Cariocas (und Tou­risten) die Strandpromenade, und das Feuerwerk um Mitternacht ist eines der grössten und imposantesten weltweit.

Imposant ist noch vieles in Rio de Janeiro. Beispielsweise der Corcovado, der 710 Meter hohe Berg mit der monu­mentalen Christusstatue Cristo Redentor, die ihre weit ausgebreiteten Arme und schützenden Hände über die gesamte Stadt hält – über Reiche und Arme. Die Statue gilt als eines der bekanntesten Wahrzeichen der Stadt, und der Corco­vado inmitten des Nationalparks Tijuca ermöglicht eine unvergessliche Panora­maaussicht über Rio de Janeiro und die Guanabara-Bucht. Tipp: Es ist nicht rat­sam, ein Taxi zum Corcovado zu nehmen – es darf die Touristen gar nicht ganz nach oben bringen, sodass man letztlich trotzdem den Eintritt für das letzte Teil­stück bezahlen muss. Stattdessen sollte man die Corcovado-Bergbahn (ab Cos­me Velho) buchen oder den offiziellen Kleinbus, der an der Copacabana (Praça do Lido), am Largo do Machado oder in Paineiras abfährt. Es empfiehlt sich zudem, die Eintrittstickets hierfür früh­zeitig zu organisieren – insbesondere an Wochenenden und Feiertagen. Diese gilt es nach Möglichkeit sowieso zu meiden, denn der Andrang an Touristen ist dann immens.

APPLAUS FÜR DIE NATUR  Dasselbe gilt für den aus gneisartigen Graniten bestehenden Zuckerhut auf der Halbinsel Urca; nebst dem Corcovado das weltberühmte Wahrzeichen Rio de Janeiros. Auf den knapp 400 Meter gros­sen Berg führt die Seilbahn O Bondinho, deren erster Streckenabschnitt auf den Morro da Urca im Oktober 1912 von ei­nem Kölner Unternehmen fertiggestellt wurde; ein Jahr später folgte der zweite Abschnitt, der bis auf den Gipfel des Zu­ckerhuts führt. Wem es zu mühsam ist, in der Warteschlange die Zeit totzuschla­gen, bis einem die Seilbahn auf den Berg mit der grandiosen Aussicht befördert, dem sei der weniger bekannte Arpoador ans Herz gelegt: Am späten Nachmittag versammeln sich hier viele Cariocas, um den Sonnenuntergang zu bestaunen. Das Natur-Spektakel endet oft mit einem Ap­plaus der Anwesenden. Auch sonst lohnt sich der Arpoador, der sich zwischen den Stränden Copacabana und Ipanema be­findet, um sich einen erfrischenden Drink zu gönnen und entspannt den Surfern im Wasser beim Wellenreiten zuzuschauen.

Falls Sie befürchten, nach dem Son­nenuntergang in der beginnenden Dun­kelheit vom Arpoador heimwärts quasi ein Selbstbedienungsladen auf zwei Bei­nen zu sein – dem ist nicht so. Zumin­dest nicht, wenn man seinen gesunden Menschenverstand benutzt. Rio ist für Touristen mittlerweile nicht gefährlicher als jede andere Metropole der Welt. Dass es in einem Land mit Millionen von Men­schen, die in Favelas hausen müssen, nicht unbedingt ratsam ist, teure Uhren, Schmuck und eine Kamera um den Hals zur Schau zu stellen, ist jedoch einleuch­tend. Verzichtet man auf solche Utensili­en, muss man sich auch nicht gross vor Überfällen fürchten. Die Sicherheitslage in der Stadt am Zuckerhut hat sich in den vergangenen Jahren stark verbessert. Dennoch ist die über die Jahre ständig aufgebaute Angst, an jeder Strassenecke überfallen zu werden, selbst bei den Ca­riocas immer noch ausgeprägt. So sind viele Strassen nach 23 Uhr beängstigend leer. Es empfiehlt sich daher nicht, sich nachts einfach mal so treiben zu lassen, um die Gegend auszukundschaften – zu gross ist die Gefahr, sich zu verlaufen und in einer weniger sicheren Gegend zu enden.

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DIE 2000 FLIESEN DER ESCADRIA SELARÓN
Zu später Stunde begibt man sich des­halb besser nach Lapa – das Ausgehvier­tel der Cariocas, in dem man Rios buntes Treiben und sein wildes Nachtleben ge­niessen kann. Der Stadtteil Lapa ist von der Copacabana in rund 15 Minuten pro­blemlos per Metro erreichbar. Das quirli­ge Quartier ist bekannt für seine vielen Bars, Restaurants und Clubs, und etliche Caricoas treffen sich hier am Feierabend auf einen entspannten After-Work-Drink.

Das Wahrzeichen des Stadtteils sind die imposanten «Arcos de Lapa» (Bögen von Lapa), die zu Kolonialzeiten errich­ten wurden und als Aquädukte dienten. Die Touristen schätzen jedoch insbeson­dere die «Escadria Selarón» als Fotomo­tiv: Der ursprünglich aus Chile stammen­de Künstler Jorge Selarón verwandelte die einst triste Treppe ab den neunziger Jahren mit farbigen Mosaikfliesen in ein fortlaufendes Farbenspiel.

 

Auf der Selarón-Treppe lassen sich über 2000 Fliesen aus mehr als 60 Län­dern bestaunen – zahlreiche Persönlich­keiten spendeten dem Künstler hierfür Geld, darunter Prinzessin Diana oder Barack Obama. Bis zu seinem Tode 2013 arbeitete Selarón an seinem Projekt und verwandelte die 250 Stufen mit ver­schiedensten Keramikfliesen in ein ge­waltiges Mosaik als eines der grössten öffentlichen Kunstprojekte in Brasilien. Die farbenfrohe Treppe diente auch als willkommene Kulisse für Musikclips – so drehte der US-Rapper Snoop Dogg zu­sammen mit Pharrell Williams 2003 den Clip zum Hit «Beautiful» auf deren Stu­fen, wie auch im Jahr 2000 die irische Band U2 Teile des Clips zur bekannten Single «Walk on».


ANREISE

Direktflüge:
– Edelweiss, Rio de Janeiro, montags und freitags – Swiss, Sao Paulo, täglich

Rio de Janeiro mit einmaliger Umsteigeverbindungen:
Alitalia (Rom), Air France (Paris), British Airways (London), Iberia (Madrid), Lufthansa (Frankfurt), TAP Portugal (Lissabon)

Salvador da Bahia mit einmaliger Umsteigeverbindung:
Latam & Swiss (Sao Paulo) Swiss & Avianca Brasil (Rio de Janeiro) TAP Portugal (Lissabon)


VON DER SKLAVENSTADT ZUM TOURISTENMAGNET
Apropos perfekte Kulisse: In einer an­deren, weiter nördlich gelegenen Met­ropole eignet sich die gesamte Altstadt für einen Musikclip: Salvador da Bahia. In der Tat drehte hier Michael Jackson 1996 unter der Regie von Spike Lee den Clip zu «They don’t care about us». Aus zweierlei Gründen: Einerseits ist die Altstadt mit den farbenfrohen Kolonial­bauten pitoresk und wunderschön, und andererseits eignete sich die Geschichte Salvadors für das Thema des Songs – so­ziale Ungerechtigkeit und Armut. Der Pe­lourinho, das Zentrum der Altstadt, wo Teile des Clips gedreht wurden, war frü­her ein riesiger Sklavenmarkt. Heute ist der Anteil der Afroamerikaner in keiner anderen Stadt Brasiliens so hoch wie in Salvador. Die brasilianische Musikgruppe Olodum trat ebenfalls im Clip von Jack­son auf. Sie wurde 1979 als Bloco Afro gegründet und verband die Musik von Anfang an mit politischen Forderungen nach Gleichberechtigung der schwarzen Bevölkerung.

Die Stadt an der «Allerheiligenbucht» wurde offiziell 1549 durch den Portu­giesen Tomé de Sousa gegründet und war die erste Kolonialstadt Brasiliens überhaupt. Er errichtete auf Geheiss der portugiesischen Krone die Festung «Sao Salvador». Durch den florierenden Zuckerhandel stieg die Stadt rasch zu einer bedeutenden Metropole auf und war knapp zwei Jahrhunderte lang die Hauptstadt Brasiliens – bis das aufstre­bende Rio de Janeiro Ende des 18. Jahr­hunderts das Verwaltungszentrum des Landes wurde. Das ehemalige Zentrum der kolonialen Altstadt wurde damals noch Largo do Pelourinho genannt, was etwa «Platz des Prangers» bedeutet. Hier war einst der grösste Sklavenmarkt in Salvador. Mit der Abschaffung der Skla­verei 1888 zog das Viertel zunächst ins­besondere Künstler an, was aber leider nicht verhindern konnte, dass es mit der Zeit komplett verfiel und zu einem äus­serst gefährlichen Elendsquartier, einer innerstädtischen Favela, verkam. Men­schen hausten dort unter den unwürdigs­ten Bedingungen. Anfang der neunziger Jahre wurde der historische Stadtteil von Grund auf saniert, diverse soziale Projek­te ins Leben gerufen und Pensionen oder Restaurants gegründet. Heute ist der Pe­lourinho kaum wieder zu erkennen und in seiner Schönheit ein Touristenmagnet.

HIPPIE-DÖRFER UND TRAUMHAFTE INSELWELTEN
Wer mit dem Bus ausserhalb der Alt­stadt auf Entdeckungsreise entlang der Küste geht, der entdeckt zahlreiche wunderschöne Strände. Das Leben läuft hier etwas entspannter und gemächli­cher ab als im emsigen Treiben Rio de Janeiros. Und es gibt viel zu entdecken. So beispielsweise ein Tagesausflug zum malerischen Fischerdorf Praia do Forte, das ca. 60 km ausserhalb von Salvador an der Linha Verde liegt. Hier kann man hervorragend an der Kokosnussküste entspannen, die Ruhe geniessen oder das Projekt zur Erhaltung der Meeresschild­kröten besuchen. Auf dem Rückweg bietet sich zudem ein Stopp im ersten Hippie-Dorf Brasiliens an: In der Nähe des Dorfes Arembepe liegt Aldeia Hippie, wo die Zeit stehengeblieben scheint. Die Häuser bestehen grösstenteils aus Holz, ohne jeglichen Komfort – meistens nicht einmal Elektrizität. Die rund 80 Famili­en, die hier immer noch wohnen, leben primär vom Kunsthandwerk.

Die Gegend um Salvador lockt auch mit einer bemerkenswerten Inselwelt. Wer ein wenig mehr Zeit zur Verfügung hat, dem sei Morro de Sao Paulo emp­fohlen. Die Anreise erfolgt von Salvador da Bahia mehrmals täglich vom Terminal Maritimo Turistico mit dem Katamaran in rund 2 ½ Stunden. Vom südlicher gelege­nen Valenca setzt auch eine Fähre über. Auf der Insel angekommen, kann man alles bequem zu Fuss erreichen – abgese­hen von einigen Traktoren und natürlich einem Krankenwagen existieren keine Autos auf der Insel. Wie geschaffen, um eine abenteuerliche Rundreise in Brasili­en sanft ausklingen zu lassen.

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