«Bern muss sich ein klareres Profil zulegen»

Martin Bachofner will als Chef der neuen Organisation Bern Welcome hinderliches Konkurrenzdenken abschaffen.

Herr Bachofner, seit September sind Sie der Kopf der neuen Bern Welcome AG – der Nachfolgegesellschaft von Bern Tourismus und Bern Incoming. Gibt es schon erste Erfolge zu verzeichnen?

Dafür ist es noch ein bisschen zu früh, aber das Projekt an sich ist erfolgversprechend. Es gibt keine negative Wahrnehmung und die gute Stimmung bei den Leistungsträgern und intern im Team ist spürbar. Die meisten – alle kann man ja leider nie mitnehmen – sehen es als tolle Chance, etwas Neues aufzubauen. Der Spirit ist also positiv.

Welche Ziele haben Sie sich für die nächste Zeit gesetzt?

Wir möchten in den nächsten zwölf Monaten für den Leisure- und MICE-Tourismus in Bern eine klare Strategie festlegen. Dabei analysieren wir Bestehendes, reichern es an oder werfen es über Bord und entwickeln Neues. Das machen wir natürlich nicht allein im Elfenbeinturm, sondern wir binden die Leistungsträger und die Politik aktiv mit ein. Denn sie sind das wichtige Zünglein an der Waage für eine erfolgreiche Umsetzung der Strategie. Auf diese spannende Arbeit freue ich mich.

Was muss sich denn konkret ändern in der Stadt Bern – im Bereich MICE?

Die neu gegründete Bern Meetings & Events AG unter dem Dach von Bern Welcome muss DIE zentrale Koordinationsstelle im Sinne eines städtischen Convention-Büros werden. Derzeit gibt es zwischen den Leistungsträgern, den Veranstaltungsorten und Hotellerie keine gesamtorchestrierte Zusammenarbeit. Bern Meetings & Events muss diese Aufgabe übernehmen und gemeinsam mit den grossen Playern wie zum Beispiel Universität Bern, Kursaal, Bernexpo oder Zentrum Paul Klee eine für alle gültige Strategie sowie fixe Abstimmungsprozesse definieren. So können wir bestehende Doppelspurigkeiten vermeiden und auch professioneller arbeiten.

Von welchen Doppelspurigkeiten sprechen Sie zum Beispiel?

Es gab etwa die unglückliche Situation, dass man nicht miteinander sprach – das ist übrigens nicht nur in Bern ein Problem, das habe ich auch in Gstaad und an anderen Orten erlebt. So fanden teilweise Kongresse und logiernachtstarke Veranstaltungen zur gleichen Zeit statt oder zu einer Zeit, in der die Hotellerie ohnehin schon gut ausgelastet war. Ausserdem mussten die Eventorganisatoren bislang von Pontius zu Pilatus rennen, um ein Projekt in Bern auf die Beine zu stellen. Mit Bern Meetings & Events hat der Eventorganisator neu eine Anlaufstelle, welche die Koordination übernimmt.

Apropos nicht miteinander sprechen: Der Tourismus generell ist sehr stark beeinflusst von Partikularinteressen, das hört man ja immer wieder.

Ja, teilweise sind diese sicher berechtigt. Nichtsdestotrotz müssen die Partikularinteressen nun abgelegt werden. Die Event- und Kongresslokalitäten dürfen sich nicht als Konkurrenten betrachten. Vielmehr müssen sie sich gemeinsam für eine Strategie verpflichten und die Akquise miteinander vorantreiben. Dann gewinnt mal der Eine, mal der Andere – je nachdem, wer die Anforderungen besser erfüllen kann. Die nötige Koordination muss Bern Meetings & Events übernehmen.

Worauf wollen Sie ganz konkret den Fokus legen?

Wir wollen noch stärker auf die Nachhaltigkeit setzen und eine gewisse Kontinuität anstreben. Regelmässig stattfindende mittelgrosse Events und Kongresse sind besser für die Wertschöpfung als ein einmaliger Mega-Event. Zudem müssen die Events und Kongresse thematisch zu Bern passen.

Was könnten denn Ihrer Meinung nach die Themenfelder sein?

Bern ist stark in den Bereichen (Zahn-)Medizin, Physik, Klimatologie und Wissenschaft generell. Diese könnte man aber noch mehr fördern, indem man gemeinsam an einen Tisch sitzt und geplant vorgeht. Ich stelle fest, dass dies in der Vergangenheit aus verschiedenen Gründen zu wenig gemacht worden ist.

Und der politische Bereich?

Ja, auch hier sehen wir noch Potenzial. Weitere Möglichkeiten sehe ich im KMU-Bereich, denn die Stadt und Region Bern ist von einer sehr starken KMU-Landschaft geprägt. Nebst Tagesveranstaltungen wie dem Swiss Venture Club sollten wir mehrtägige Veranstaltungen nach Bern holen, um zusätzliche Übernachtungen zu generieren. Ich verstehe zum Beispiel nicht, warum das Swiss Economic Forum immer in Interlaken stattfinden muss (lacht). Potenzial gibt es auch in den Bereichen Sport und Kultur.

Könnte sich Bern nicht auch als Hauptstadt besser vermarkten?

Aus dem Argument Hauptstadt macht Bern zu wenig. Jedes andere Land stellt seine Hauptstadt in den Vordergrund, die Schweiz sollte dies auch tun. Ausserdem: In welcher Hauptstadt können Sie im Fluss baden und Events direkt vor dem Bundeshaus durchführen? Das ist doch speziell! In Zeiten, in denen Finanzplätze nicht mehr so sexy sind wie auch schon, hat Bern eine zusätzliche Chance. In der Schweiz sind die Berge natürlich ein starkes Verkaufsargument. Glücklicherweise kann Bern auch davon profitieren, da unsere Hauptstadt nahe bei den Bergen liegt. Wir sollten vermehrt gemeinsam mit einer Bergregion Kandidaturen eingeben – oder gemeinsam mit dem Emmental, wo es viele gute Seminarhotels gibt.

Braucht Bern mehr Profil?

Ja, Bern ist derzeit von allem ein bisschen. Die vielen Möglichkeiten sind ja auch fantastisch. Nichtsdestotrotz muss sich Bern ein klareres Profil zulegen, ohne andere Städte zu imitieren. Es bietet sich an, entsprechende Nischen zu bearbeiten. Bern ist beispielsweise viel entspannter als andere Schweizer Städte. Zudem ist Bern einzigartig, was die Grösse, den Dialekt und die Lebensart anbelangt. Diese Vorteile sollten wir noch mehr unterstreichen im knallharten Business-Umfeld. Dies könnte bereits mit der Vermarktung der entspannten Zuganreise von Zürich nach Bern geschehen. Wir sind dabei, Lösungen für ein Kongressticket zu finden, um bereits bei der Anreise einen internationalen Mehrwert zu generieren.

Was ist Ihr Aufruf?

Bern muss sich entscheiden, was seine Trümpfe sind und diese über alle Bereiche hinweg konsequent einsetzen. Wenn man sich als Velostadt vermarktet, muss das auch in der Verkehrspoli- tik umgesetzt werden. Bern Welcome wird diesen Strategieprozess jetzt anstossen und gemeinsam mit den Anspruchsgruppen in Politik und Tourismus einen roten Faden entwickeln.

Sie haben zuvor in Gstaad gearbeitet. Kann Bern etwas von der Bergregion lernen?

Die Gstaader haben aus dem, was sie haben, enorm viel gemacht. Als Destination für Incentives oder auch für kleine Board-Meetings gilt Gstaad international als Fünf-Sterne-Hideaway. Was mir aufgefallen ist: Wenn es wirklich um etwas geht, hält man in den Bergregionen zusammen und packt motiviert an. In grösseren Städten steht man sich eher mal zuerst gegenseitig im Weg. Grund hierfür ist vielleicht die touristische Wertschöpfung, die in den Berggegenden bei über 50% und in den Städten bei 3 bis 4% liegt. Wir hoffen nun, mit Bern Welcome ein ähnliches Gemeinschaftsgefühl zu schaffen und die Zusammenarbeit zu fördern.

Sie waren auch in der Finanz- und in der Medienbranche tätig. Welche Erfahrungen bringen Sie von dort mit?

Letztlich sind es Erfahrungen, die überall gelten. Man muss den Menschen gut zuhören und ihre Bedürfnisse ernst nehmen. Gleichzeitig muss eine gemeinsam festgelegte Strategie auch konsequent umgesetzt werden. Das Schlimmste ist, wenn man im Nachhinein wegen Partikularinteressen wieder Projekte durchführt, die nicht zur Strategie passen und diese verwässern. In Bern sind wir nun so weit, dass wir eine gemeinsame und präzise Strategie wollen. Es ist dann aber nochmals ein anderer und extrem anspruchsvoller Job, diese dann auch einzuhalten – speziell im Tourismus.

Warum speziell im Tourismus?

Der Tourismus ist eine Querschnittsbranche, welche in der Komplexität sowohl breit, als auch tief ist. Man braucht kreatives Denken, eine grosse Portion Kritikfähigkeit sowie strategische Weitsicht.

Sie haben viele Pläne, was Strategie und Positionierung angeht. Nachher müssen die Leistungsträger Ihr Versprechen aber auch einhalten. Wie wollen Sie das schaffen?

Indem wir die Leistungsträger von Beginn weg beim Strategieprozess miteinbeziehen. Diese neue Art von Zusammenarbeit ist unser zentrales Ziel.


Martin Bachofner

Martin Bachofner (44) hat am 1. September 2017 die operative Gesamtverantwortung für
die drei Bereiche Tourismus, Meetings und Events von Bern Welcome übernommen. Zuvor
war er Direktor von Gstaad Saanenland Tourismus. Bachofner präsidiert u.a. den Marketing-Ausschuss von BE! Tourismus, den Verband Schweizerischer Tourismusmanager
(VSTM) und sitzt im Vorstand des SCIB (Switzerland Convention & Incentive Bureau).


Bern Welcome

Das Projekt Bern Welcome wird von der Stadt Bern, Bern Tourismus, Bern-City, Hotellerie Bern+ Mittelland, Bern Incoming GmbH, Gastro-Stadt- Bern und Umgebung getragen sowie vom Kanton Bern unterstützt. Mit Ausnahme der städtischen Organisationseinheiten (Veranstaltungsmanagement, Wirtschaftsraum) ziehen alle Beteiligten einschliesslich der neu aufzubauenden Gesellschaft Bern Meetings & Events örtlich unter ein Dach und poolen ihre Servicebereiche. Bern Meetings & Events übernimmt die Gesamtakquise für den Standort Bern. Als Bindeglied zu den Bewilligungsbehörden leistet sie Unterstützung von der Idee bis zur Umsetzung und entwickelt Eigenveranstaltungen, die zu Bern passen. Bern Meetings & Events beinhaltet einen Bereich Meetings (frühere Bern Incoming GmbH) sowie einen neuen aufzubauenden Bereich Events. Alle Player agieren unter dem Dach einer gemeinsamen Holding.

bernwelcome.ch