Nutzen und Kosten der Fernmärkte im Schweizer Tourismus

Eine Studie soll Aufschluss geben zum Verhältnis zwischen ökonomischen Nutzen und ökologischen Kosten der Besucher aus den Fernmärkten.
Prof. Dr. Christian Laesser vom Institut für Systemisches Management und Public Governance der Universität St.Gallen. © zVg

Der Kurzbericht (publ. 21.02.23) zu Kosten und Nutzen der Fernmärkte (aussereuropäische
Residenzländer) will den fachlich fundierten Diskurs über die zukünftige Rolle der
Fernmärkte im und für den Schweizer Tourismus unterstützen. Der Bericht (basierend
auf dem Tourismusjahr 2019) wurde erstellt von Prof. Dr. Christian Laesser vom Institut
für Systemisches Management und Public Governance der Universität St.Gallen.

Forderung nach Limitierung der Besucherströme

Die Schweiz ist schon seit langer Zeit einer beliebte Destination für Besucher aus Fernmärkten (Träger eines aussereuropäischen Passes). Von den gut 39 Mio. Logiernächten in Rekordjahr 2019 stammten knapp 24% aus Fernmärkten. Neben den  anerkannt positiven und mitunter gut messbaren und dokumentierten ökonomischen Nutzen werden zunehmend auch ökologische (insbesondere der durch die touristische Mobilität induzierte CO2-Austoss und die Folgen für den Klimawandel) und soziale/ gesellschaftliche Kosten (insbesondere die als Overtourism wahrgenommene hohe Klumpen-Nachfrage an touristischen, meist öffentlichen Hotspots/ Attraktionspunkten) wahrgenommen.

Infolgedessen rufen verschiedene Akteure nach einer Limitierung von Besucherströmen aus Fernmärkten und insbesondere Marketingaktivitäten auf ebendiesen, und stattdessen nach einer Fokussierung des Schweizer Tourismus auf den Binnen- und europäischen Markt.

Wertschöpfung

Besucher aus Fernmärkten generieren eine hohe touristische Wertschöpfung. Dabei kann von einer Nachfrage (Umsatz) seitens interkontinentaler Besucherströme in Höhe von
CHF 2,8–6,2 Mia. CHF ausgegangen werden. Die dadurch ausgelöste Bruttowertschöpfung liegt zwischen CHF 1,7 bzw. 3,7 Mia. Der jeweils untere Wert bezieht sich auf reine Leisure-Besucher im engsten Sinne, der jeweils obere Wert schliesst sämtliche Formen von Tourismus wie  Geschäftstourismus, Meetings, Incentives, Konferenzen /Kongresse und Events, etc. ein.

CO² – Bilanz, bzw. Ökologische Kosten

Besucher der Schweiz aus Fernmärkten erzeugen für ihren CO²-Austoss (Anreise) der Schweiz zurechenbare Kosten zwischen CHF 320 Mio. und CHF 687 Mio. Das ergibt pro Logiernacht etwa CHF 36 bzw. 77 CO²-Kosten.
Beim ersten Wert wird mit einem Wert für Kompensationen von Myclimate gerechnet, beim zweiten mit einem Konsenswert für externe Effekte des Deutschen Umweltbundesamtes.
Reduzierend auf die ökologischen Kosten der Fernmarkt-Gäste dürfte sich ihr viel nachhaltigerer Modalsplit im Landverkehr als jener der europäischen Gäste auswirken. Der Anteil öffentlicher und privater kollektiver Verkehrsmittel beträgt bei Besuchern aus
Fernmärkten 60%, bei den europäischen Gästen nur 33 %. Diese Reduktion wurde in der obigen Bilanz jedoch nicht berücksichtigt.

Ökonomischer Nutzen und ökologische Kosten

Die Anteile ökologischer Kosten am ökonomischen Nutzen liegen (je nach Betrachtung und Berechnung, siehe oben) insgesamt etwa zwischen 8 % und 17 %. Die maximalen CO²
-Kosten in Höhe von CHF77 pro Logiernacht von Gästen aus Fernmärkten sind durch
den minimalen ökonomischen Grenznutzen von CHF 101HF mehr als gedeckt. Der Nettonutzen beträgt also mindestens CHF 24. Die minimalen CO²-Kosten in Höhe von CHF 36 einem maximalen ökonomischen Nutzen von 225 CHF gegenübergestellt ergeben einen Nettonutzen von CHF 189.

Saisonalität

Fernmarktgäste tragen bei zur erhöhten Stabilität und gleichmässigeren Verteilung der Nachfrage, folglich einer Glättung von Saisonalitäten und damit auch gleichmässigeren Auslastung kapital- und personalintensiver touristischer Ressourcen. Das bedeutet auch einen Beitrag an die Resilienz insbesondere tourismusintensiver und oft peripherer
Regionen. Ohne sie wäre vielerorts kein Ganzjahrestourismus mit professionellen Ganzjahres-Arbeitsplätzen möglich

Soziale Nutzen und Kosten

Interkontinentales Reisen sichert nicht nur Arbeitsplätze in peripheren Lebensräumen, sondern bringt auch soziale Integration, ökonomische Partizipation und ökonomische Grundlagen, kulturelle Identität sowie internationale Verständigung. Andererseits betrifft die mitnichten nur durch Besucher von Fernmärkten wahrgenommene Übernutzung meist nur Top-Attraktionspunkte mit globaler Reichweite während limitierter Zeiträume.

Fazit

Die Analysen und Überlegungen zeigen, dass der ökonomische und soziale Nutzen, welchen Besucher aus Fernmärkten im Vergleich zu europäischen Besuchern generieren, höher ist als die durch sie induzierten ökologischen und sozialen Kosten.

Vier Empfehlungen
  1. Interkontinentale Besucherströme leisten einen wichtigen ökonomischen und sozialen Beitrag zum hiesigen Tourismus, aber auch zu vielen anderen komplementären
    Branchen (bspw. Ausbildung), und sollten deshalb auch in Zukunft als Teil des Besucherportfolios dieses Landes mitberücksichtigt werden.
  2. Tourismusmarketing sollte so weit wie möglich auf die Steuerung zu Gunsten möglichst wertschöpfungsstarker sowie saisonale und geografische Lücken füllender Besucherströme/Segmente ausgerichtet werden.
  3. Zur Mitigation der ökologischen Kosten (insbesondere CO²-Emissionen durch Langstreckenflüge) sind Massnahmen zur Verlängerung der Aufenthaltsdauer oder
    allenfalls kompensatorische Massnahmen angebracht.
  4. Übertourismus ist ein lokales bis punktuelles – mitnichten nur durch Fernmarkt-Gäste induziertes – Wahrnehmungskonstrukt, dem mit entsprechend lokalen und punktuellen Lösungen zu begegnen ist. Erkenntnisse der Besuchersteuerung zeigen eine Reihe von einsetzbaren Möglichkeiten und Ansätzen. Hierzu gehören Kapazitätslimitierungen bei komplementären Infrastrukturen (bspw. Parkplätze) und Dienstleistungen (bspw.
    Bewilligungen und Konzessionen), Zutrittsbeschränkungen (verbunden mit Reservationssystemen) und -bepreisungen oder Informationen (bspw. Heat Maps) mit Indikation von Personenballungen.

(MICE-tip)