André Lüthi: «Das Wort Mehrwert muss mit Mehrmensch ersetzt werden»

Globetrotter-Chef André Lüthi erklärt im Gespräch mit TRAVEL INSIDE, wieso das Reisen seiner Ansicht nach an Wert verloren hat und weniger geschätzt wird.
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André Lüthi, Ende Januar haben Sie gesagt, dass sich die Globetrotter Group langsam erholt – wie sieht es Stand heute aus?

Wir sind im Moment bei ca. 91 Prozent im Vergleich zu 2019. Also sind wir auch Mitte 2023 immer noch knapp 10 Prozent unter Vor-Pandemie-Niveau. Eine aktuell spannende Feststellung ist auch, dass die Zuwächse von Januar bis März richtig gut waren, sich die Lage im April und Mai aber etwas stabilisiert hat. Der Boom ist ein bisschen abgeflaut.

Warum denken Sie, ist das so?

Ich glaube, das hat einen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grund. Die Inflation spielt dabei einen Faktor. Alles wird teurer – auch das Reisen wird teurer. Das widerspiegelt sich auch im Umsatz. Zwar sind wir wie erwähnt wieder auf 91 Prozent von Vor-Corona, bei den Pax hinken wir aber noch 18 Prozent hinterher. Der Umsatz ist also unter anderem erfreulich, weil die Preise gestiegen sind. Unter dem Strich reisen die Menschen also immer noch weniger als vor der Krise. Das hat nichts mehr mit Corona zu tun, wie stark die Klimadebatte mit reinspielt, ist auch eine offene Frage, aber die Teuerung hat ganz sich einen grossen Einfluss. Der Mittelstand beginnt langsam zu schauen, wie und wie oft er das Geld für Reisen ausgibt.

Wie stark sind denn Ihrer Meinung nach die Preise fürs Reisen angestiegen?

Ich habe in den Medien schon erwähnt, dass das Reisen 30 Prozent teurer geworden ist. Kürzlich gab es Studien, die behaupten, dass Flüge gar bis zu 50 Prozent teurer sind. Das kann ich zwar nicht glauben, zeigt aber deutlich, dass die Menschen, auch durch die mediale Berichterstattung der letzten Monaten, realisiert haben, dass Reisen generell teurer geworden ist. Das gilt vor allem für Flugpreise – schon fast extrem sind zum Teil die Business-Class-Tarife. Ich habe von Fällen gehört im Juli nach San Francisco mit der Swiss bis zu CHF 9000.

Wie hat sich die Globetrotter Group bezüglich Fachkräften erholt?

Wir waren vor Corona in der Globetrotter Group 450 Mitarbeitende. Jetzt sind wir 316. Wir haben also mit weniger Mitarbeitenden fast wieder gleich viel Umsatz wie 2019. Die Produktivität ist zwar deutlich angestiegen, dies hat aber auch einen kritischen Aspekt. Auch bei uns herrscht der Fachkräftemangel, Mitarbeitende müssen Überstunden leisten, zum grossen Teil werden Kunden nur auf Termin beraten. Für einen Termin kann es durchaus sein, dass auch mal zwei Wochen gewartet werden muss. An dieser Stelle möchte ich allen Mitarbeitenden an der Front einen grossen Dank für das enorme Engagement aussprechen – sie machen einen Top-Job.

Ist Reisen klimafreundlicher als Ferienmachen?

Nein, absolut nicht. Eine dreiwöchige Reise durch Asien ist diesbezüglich nicht besser als eine Woche Pauschalferien auf Mallorca. Ob Mallorca oder Asien: Ökologisch und soziokulturell sind beides grosse Herausforderungen für uns Reiseveranstalter und keine Reiseform ist besser als die andere. Eines der Probleme ist der Billigairline-Boom mit Kurztrips zu Spottpreisen. Wären eine bis zwei längere Reise pro Jahr nicht besser als diese Kurztrips, die mit dem Sackgeld bezahlt werden können?

Hat Reisen an Wert verloren?

Früher musste man für seine Flugtickets noch lange sparen und hat sich richtig gefreut, als es dann endlich losging. Heute ist das anders. Es wird viel weniger geschätzt und die Vorfreude ist kleiner – ich sehe das selbstkritisch auch bei mir. Dazumal gab es aber auch noch keine Sozialen Medien, die mir alle Videos und Bilder zu Ländern, Städten und Sehenswürdigkeiten zeigen und ich dann praktisch schon da war, bevor ich überhaupt da war – das Unbekannte, das Entdecken, das Staunen – es geht immer mehr verloren.

Für eine Reise sollte also wieder gespart werden müssen?

Wer gerne reist, der spart auch dafür, und so sollte es auch sein. Wer dann noch merkt, was das Reisen alles bewegen und auslösen kann, was man lernen kann, über sich, andere Kulturen und Religionen, der ist auch eher bereit, mehr für die Reise zu bezahlen. Ob Pauschalbadeferien oder eine Reise durch ein Land – auch hier: keine Reiseform ist besser als die andere. Reisen ist nicht nur auf dem Liegestuhl liegen; der Liegestuhl ist Erholung. Ich steige in einen Charter, bin eine Woche in einem Hotel, habe mein Essen, mein Zimmer usw. – das ist eine Form des Tourismus, wo sehr viel Geld damit verdient wurde und noch immer wird. Alles okay. Globetrotter steht einfach für etwas anderes – mehr für das Entdecken. Das ist unsere Positionierung. Vor Corona hatten wir beim GTS gegen 60 000 Kunden und jede einzelne Reise war anders. Wir bauen diese Reisen genau auf die Bedürfnisse des Kunden zugeschnitten. Vereinzelt werden bei uns auch Badeferien gebucht – aber es entspricht nicht unsere Positionierung im Markt.

Travelhouse hat seine Travelbooks – wohin hat sich Globetrotter mit seinen Katalogen verändert?

Für mich muss das überstrapazierte Wort Mehrwerte schaffen durch Mehrmensch ersetzt werden. Wir möchten die Mehrheit unserer Kundschaft am Beratungstisch haben und sie persönlich beraten. Dafür haben wir gut geschulte, vielgereiste Profis und Spezialisten. Wir stellen fest, dass das sehr geschätzt wird. So hat die Geschäftsleitung des GTS entschieden, beim Papier zu bleiben. Wir verpacken das aber mit dem Menschen. 95 Prozent der Bilder in den neuen Katalogen sind von unseren Mitarbeitenden.
Die Geschichten in den Katalogen sind ebenfalls von Mitarbeitenden – da kommt nichts von Werbeagenturen oder Tourist Offices. Wir setzen auf Authentizität und wissen, dass die Kunden aufgrund der persönlichen Geschichten/Erfahrungen der Mitarbeitenden uns dann auch persönlich im Büro aufsuchen. Es ist aber sicherlich ein gewisses unternehmerisches Risiko zu sagen, dass wir nicht nur auf den digitalen Vertrieb setzen. Unser Online-Umsatz ist noch bei weniger als 2 Prozent. Ich sage auch nicht, dass der digitale Vertrieb schlecht ist. Weder das Alte noch das Neue ist schlecht, aber wir haben ein bisschen die Tendenz, das eine oder andere zu bevorzugen. Wenn wir es aber verstehen, Alt und Neu zu verzahnen, gibt eins und eins plötzlich drei.

Zahlt Globetrotter höhere Gehälter als noch vor der Pandemie?

Wir haben nach der Pandemie Lohnerhöhungen vorgenommen. Viel wichtiger finde ich aber, dass wir im kaufmännischen Vergleich als ganze Branche immer noch nicht mit Banken, Versicherungen etc. mithalten können. Einige der 170 Mitarbeitenden, die aufgrund von Corona nicht mehr bei uns sind, verdienen in anderen Branchen in vergleichbaren Positionen bis zu 1000 Franken mehr. Dafür finden sie vielleicht nicht eine Unternehmenskultur wie bei uns vor …

Was kann dagegen getan werden?

Mit 1,4–2,6 % EBIT-Marge im Schnitt bei den grossen Reiseunternehmen vor Corona ist es unglaublich schwierig, was zu ändern. Wenn wir den Mut nicht haben, die Kalkulationen endlich anzuheben, und zwar als gesamte Branche, wird sich da nicht so schnell was ändern. Doch das mit den Preiserhöhungen ist wohl ein Ding der Unmöglichkeit.

Ist da nicht das Buchen im Internet das grössere Problem?

Ja, das ist das nächste Thema. Wir versuchen, das zu tun, was das Internet nicht kann. Es gibt ein Restsegment, auch in der Schweiz, das die persönliche Beratung vorzieht und für guten Service und die Dienstleistung auch gerne etwas mehr bezahlt. Wir wollen und können mit dem Netz nicht konkurrenzieren.

Die Frage ist aber, wie stark sich der Konsum verändert, wenn alles viel teurer wird.

Das ist doch wie beim Autofahren. Die Benzinpreise sind nach oben geschossen. Es wird zwar gejammert, aber gefahren wird trotzdem und auch nicht weniger.

Wie gross ist der Gesamtumsatz der Globetrotter Group?

2019 war er bei 243 Millionen, der Rekord lag bei 265 Millionen. 2022 lag er bei 170 Millionen.

Wie viel davon ist TO, wie viel Retail und FIT?

FIT/Retail ist der grösste Hub GTS mit ca. 100 Millionen im 2022. Die anderen zwölf Firmen erwirtschafteten die restlichen 70 Millionen mehrheitlich mit TO-Produkten.

Sie provozieren ab und an auf Social Media – letztens haben Sie mit einem Ägypten-Angebot von Hotelplan eine Debatte ausgelöst – was steckt dahinter?

Ja, ich wollte eine Diskussion lancieren, weil ich es nicht in Ordnung finde, dass wir für 700 Franken neun Stunden fliegen und für sieben Tage in ein Fünfsternehotel reisen können. Ich habe dieses Angebot mit dem Text, ob wir aus der Pandemie nichts gelernt haben und ob das der Tourismus ist, den wir künftig möchten, auf den Sozialen Medien geteilt. Leider ist die Diskussion dann etwas in eine ungewollte Richtung abgedriftet. Mir ging es nie darum, eine Klimadebatte auszulösen (da hat keiner, der fliegt, dem anderen etwas vorzuwerfen) oder Hotelplan schlechtzumachen, sondern die Wertigkeit des Reisens anzusprechen. Aus meiner Sicht sind solche Preise einfach zu tief. In einer Umfrage des TI vom September 2022 sagen übrigens 70 Prozent «Nein, es braucht schon lange angemessene Preise für Ferien».

Eine weitere Aussage von Ihnen war, dass wir kein Menschenrecht aufs Reisen haben – wie meinen Sie das?

Es gibt Menschen in Zürich, die wohnen am rechten Ufer und andere wohnen in Spreitenbach. Es gibt Menschen, die fahren Audi und andere fahren Skoda. In dieser westlich-kapitalistischen Welt ist das so – wir haben unterschiedliche Gesellschaftsschichten und unterschiedliche Einkommensverhältnisse. Ich habe aber beim Reisen oft das Gefühl, dass wir es so günstig machen müssen, dass alles für alle zugänglich ist. Und genau das war der Grund, dass ich die Diskussion mit dem Ägypten-Angebot lanciert habe.

Luxusreisen sollten also den Reichen vorbehalten sein?

Nein! Aber es gibt Menschen, die müssen länger sparen für eine Luxusreise, weil sie ihren Preis hat. So wie auch ein Skoda-Fahrer sich einen Audi kaufen kann – aber auch er muss dafür sparen – und so sollte es auch beim Reisen sein. Da sind wir wieder bei diesen 700 Franken für ein Luxushotel mit Flug in Ägypten. Solche Angebote werfen Fragen auf. Der Kunde hat natürlich das Recht, ein solches Angebot zu buchen und zu kaufen – da habe ich volles Verständnis. Aber ist es wirklich richtig, dass die Reiseindustrie solche Angebote überhaupt erst anbietet und somit den eigentliche Wert des Produktes torpediert? Da gehen die Meinungen verständlicherweise weit auseinander. Es ist doch eine Frage der Überproduktion. Das Problem liegt nicht beim Konsumenten, sondern beim Produzenten. Der Konsument hat sich an diese günstigen Preise gewöhnt.

Am 18. Juni wird über das Klimagesetz abgestimmt – was ist Ihre Meinung dazu?

Im SRV-Vorstand haben wir ganz klar die Ja-Parole beschlossen. Das Klimagesetz besteht aus zwei Teilen, und diesen Strom-Teil finde ich persönlich auch etwas heikel. Haben wir dann wirklich genug Strom? Dass hier die Meinungen auseinandergehen, kann ich sehr gut nachvollziehen. Aber beim zweiten Teil, wo Geld in Forschung und Entwicklung investiert werden soll für Gebäudeisolation, ökologische Heizsysteme, Mobilität, Sustainable Aviation Fuel (SAF) usw., muss ich persönlich klar sagen: das ist ein No-Brainer. Wir Menschen haben die letzten 50 Jahren technologisch so viel erreicht – da ist noch so viel Potenzial vorhanden, wenn Geld zur Verfügung steht. Deswegen bin auch klar dafür.

Sie sind beim SRV für das Ressort Politik zuständig, womit sind Sie aktuell beschäftigt?

Corona ist durch und das Erreichte für die Branche darf sich sicher sehen lassen. Nun kommt die nächste mögliche politische Herausforderung: das überalterte Pauschalreisegesetz. Das Gesetz ist damals in enger Kooperation mit der EU entstanden, und da stellt sich die Frage, ob die Schweiz einen eigenen Weg gehen könnte. Da sind viele Gespräche und Abklärungen im Raum, die zuerst noch geführt werden müssten vom SRV. Das wäre aber ein Mammutprojekt.

Und da sind sie aktiv dran?

In den nächsten Wochen gibt es im SRV einen ersten Austausch zu diesem Thema. Ob und wann wie wir eine Vorabklärung einleiten, ist offen und müsste zuerst vom SRV-Vorstand beschlossen werden.

Wie akut ist diese Problematik PRG eigentlich?

Eigentlich machen wir damit etwas für den Konsumenten. Es gibt immer noch Reisebüros, die zum Beispiel auf keine Art und Weise kundengeldversichert sind. Das aktuelle Gesetz ist ein Durcheinander und stammt aus dem Jahre 1993 – in den letzten 30 Jahren hat sich doch einiges verändert in unserer Branche, oder? Es braucht ein Reisegesetz (und nicht ein Pauschalreisegesetz), das alle verstehen und das der heutigen Zeit angepasst ist. Das wäre die Vision.

Yannick Suter / Angelo Heuberger