Michael Bonin von Brazil Insider: «So ist die Situation in Rio wirklich»

Der Brasilien-Kenner reagiert auf die Reisetipps des TCS und legt seine Sicht der Dinge dar.

Im Vorfeld der Olympischen Sommerspiele hat der TCS Reisetipps und Hinweise zur aktuellen Lage zusammengefasst, die wir am 30. Juli an dieser Stelle publiziert haben. Michael Bonin, Managing Director des DMCs Brazil Insider, der laut eigenen Angaben einen Grossteil der Schweizer Pauschaltouristen sowie Spezialgruppen und Delegationen aus diversen Ländern betreut, meldet sich aus Rio: «Die Tipps und der Situationsbericht des TCS wurden wohl nicht vor Ort recherchiert. Gerne möchte ich die Sicht als Vor-Ort-Spezialist weitergeben und lege hierbei die Gewichtung auf die Interessen eines Touristen.»

Grundsätzliche Informationen
Bonin: Bisher läuft hier alles rund. Die Militärs und die Polizei sind omnipräsent und doch recht diskret. Die Stadien sind fertig und die Metro läuft. Die Stimmung ist sehr gut und die Hotels zu 99,9% voll. Das House of Switzerland wird jeden Tag von sehr vielen besucht und ist jetzt schon ein grosser Erfolg.

Allgemeine Situation
TCS: Aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Krise durchläuft Brasilien zurzeit eine schwierige Phase, gilt aber grundsätzlich als stabil. Auch während Olympia muss mit Streiks, Demonstrationen und Ausschreitungen gerechnet werden.
Bonin: Richtig ist, dass es eine wirtschaftliche und politische Krise gibt. Es gibt aber seit Monaten keine Demonstrationen und Ausschreitungen und vor allem während den Olympischen Spielen deutet nichts auf Streiks oder Ähnliches hin. Der Tourist wird nichts von der Krise spüren.

Kriminalität
TCS: 
Die Kriminalitätsrate ist im ganzen Land sehr hoch. Diebstähle und Raubüberfälle mit Waffengewalt sind häufig. Eine erhöhte Gefahr besteht in wenig belebten Strassenzügen, an Strassenkreuzungen mit Ampeln sowie an Stränden. Raubüberfälle können aber auch in öffentlichen Verkehrsmitteln und Restaurants vorkommen. Vereinzelt wird auch von Entführungen berichtet. Es ist deshalb ratsam, stets einen Bargeldbetrag in den Hosentaschen mitzuführen, den man im Ernstfall aushändigen könnte.
Bonin: Das ist eine zu generelle und deshalb eine irreführende Aussage. Die Kriminalität ist in den Armenviertel sehr hoch, da gibt es bewaffnete Überfälle, aber in den Touristenregionen verhält es sich ähnlich wie in anderen Metropolen der Welt. Überfälle kommen wie an vielen Orten vor und Vorsicht ist überall auf der Welt richtig, vor allem in Gebieten, wo der Terrorismus allgegenwärtig ist (nicht der Fall in Brasilien). Falsch ist, dass es zu bewaffneten Überfällen speziell in Restaurants kommen kann.

Zika-Virus
TCS:
80% der Infektionen mit dem Zika-Virus verlaufen beschwerdefrei. In 20% der Fälle können allerdings grippeähnliche Symptome auftreten: Leichtes Fieber, Hautausschläge (rote Hautflecken), Kopfschmerzen, Gelenk- und Muskelschmerzen sowie seltener nicht-eitrige Bindehautentzündungen und Erbrechen. Aktuell wird einzig schwangeren Frauen von einer Reise nach Brasilien abgeraten sowie jenen Personen, bei denen zuvor das Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert wurde.
Bonin: Da wird ein allfälliges Problem erwähnt, dass einen verschwindend kleinen Teil betrifft: schwangere Frauen. Vor Mücken will man sich eh schützen und 2 -3 Mal pro Tag einen Mückenspray einsetzen, kostet keine Zeit und soll nicht an einer Reise hindern.

Medizinische Versorgung
TCS: Die medizinische Versorgung ist in den meisten öffentlichen Spitälern ungenügend und die hygienischen Verhältnisse sind prekär. Es wird empfohlen, Privatkliniken zu bevorzugen. Diese verlangen vor der Behandlung oftmals eine finanzielle Garantie. Der TCS rät deshalb dazu, vor der Abreise eine entsprechende Reiseassistance wie beispielsweise den ETI Schutzbrief abzuschliessen. Diese decken sowohl die Kosten eines Spitalaufenthalts, die nicht von der Schweizerischen obligatorischen Kranken- oder Unfallversicherung im Ausland übernommen werden, wie auch die Kosten einer allfälligen medizinisch bedingten Rückführung in die Schweiz.
Bonin: Generell richtig. Die öffentlichen Krankenhäuser sind nicht empfehlenswert, allerdings gibt es auch da grosse regionale Unterschiede. Bei einem Unfall hat man keine Wahl und man wird von der «Samu» (Notfall-Krankenwagen) eingeliefert. Diese Notfallversorgung ist generell so eingerichtet, dass das Leben gerettet wird. Zur Nachbehandlung ist eine private Klinik oder eine Rückführung in die Schweiz empfehlenswert.

Generelle Reisetipps zu Brasilien
TCS:
Armenviertel (Favelas) sind zu meiden.
Bonin: Korrekt, auch keine organisierten Touren, das ist reiner Voyeurismus.
TCS: Bankomaten nur im Innern von überwachten Banken und nur tagsüber benutzen. Darauf achten, dass man nicht beobachtet oder verfolgt wird.
Bonin: Das ist falsch. Es gibt in der Bank zwei Bereiche. Der Schalterbereich ist im Innern und von Wachmännern und Kameras überwacht. Eine Sicherheitstür gibt Einlass. Da kann man aber mit ausländischen Karten kein Geld abheben. Denn die Bankomaten stehen im mit Kameras überwachten Eingangsbereich der Bank. Nachts kann man gar kein Geld beziehen. Von 22.00 bis 06.00 Uhr funktionieren die Automaten nicht (Ausnahme Flughäfen). Tipps: Die 24-Stunden-Automaten (rote Caixa 24 horas) benutzen, die überall zu finden sind und oft diskret im Supermarkt oder in einer Drogerie stehen. Ansonsten gibt es unzählige Filialen der «Banco Bradesco» wo man mit den meisten Karten Geld beziehen kann. Kredit- und Debitkarten werden praktisch überall akzeptiert und Geldbezug ist somit oft nur 1x pro Aufenthalt notwendig. Pro Bezug sind R$ 1000.00 (rund CHF 310) möglich, bei Bradesco kann man gemäss der CH-Limite mehrmals beziehen.
TCS: Während einer Autofahrt die Türen verriegeln und die Fenster geschlossen halten. Bewachte Parkplätze und Parkplätze an belebten Orten bevorzugen. Nicht in geparkten Autos sitzen bleiben.
Bonin: Eine Automiete ist gar nicht empfehlenswert. Die Strassenverhältnisse sind ungenügend und der Verkehr hektisch, die Beschilderung schlecht. Besser mit Taxi oder Uber fahren oder eine geführte Tour oder Transfers buchen.
TCS: In den Metropolen Brasilia, Rio de Janeiro und Sao Paulo ausschliesslich die offiziellen Taxis benutzen sowie die Metro und die Metrobusse. Offizielle Taxis gelten als relativ sicher und können bereits an den Flughäfen am Taxi-Schalter reserviert werden.
Bonin: Uber funktioniert gut (ausser bei Ankunft an den Flughäfen), sind komfortabel und funktionieren ohne Bargeld. Bei Taxis ist oft das Wechselgeld ein Problem. Am Flughafen kann man «Radio-Taxi» in der Ankunftshalle mit Kreditkarte bezahlen. Sind rund 20% teurer, aber auch komfortabler.
TCS: Zum Schutz vor Mücken flächendeckende Kleidung tragen: Lange Ärmel, Hosen, geschlossene Schuhe.
Bonin: Da wird übertrieben und ein falsches Verhalten empfohlen. Wer möchte sich schon bei 30 bis 40 Grad mit solch einer Kleidung in Brasilien bewegen, seine Gesundheit gefährden und genau damit auffallen? Man soll sich so kleiden wie die Brasilianer. Möglichst leicht, Bermudas, Bikinis, T-Shirts und mit Flip Flops. Gegen Mücken helfen gute Mückensprays. Das Thema Mücken wird im Übrigen vollkommen überbewertet.