Gastkommentar: «Aussichten für Airlines sind alles andere als rosig»

Der TRAVEL INSIDE Kolumnist und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

Die globale Luftfahrtbranche befindet sich momentan in einer noch nie dagewesenen Phase des Umbruchs. Man ist zwar auf dem Weg zur Besserung, jedoch nicht überall im gleichen Ausmass.

In den USA zum Beispiel herrscht schon beinahe Goldgräberstimmung, aber vorläufig nur im Domestik-Sektor. Andernorts lässt die Erholung noch auf sich warten. Vorsichtiger Optimismus ist also angesagt, jedoch keine Euphorie! Trotz steigender Anzahl Flüge wird es noch Jahre dauern bis die Zahlen von 2018/2019 wieder erreicht werden – wenn überhaupt.

Um es etwas zu verdeutlichen:  Im Juni 2021 lag die weltweite Anzahl der RPK (ausgelasteten Passagierkilometer, engl. RPK = Revenue Passenger Kilometers) gegenüber 2019 bei -80,9%, in Asien gar bei -94,6 und Europa -77,4. Für die Airlines sind RPK das Mass aller Dinge, nicht die effektiv durchgeführten Flüge oder Pax-Zahlen.

In den einschlägigen Medien werden laufend Berichte und Bilder über Menschenmengen an diversen Flughäfen, ausgebuchten Flügen und Megaparties publiziert; gleichzeitig werden mit Horrorstories über die «Gefahren» von Auslandsreisen auch noch bei den letzten Reisewilligen Angst und Schrecken verbreitet. Dass es sich dabei um «neuralgische» (Massen-) Destinationen und Hochsaisondaten handelt wird geflissentlich verschwiegen. So entsteht ein komplett falscher Eindruck und eine Verunsicherung bei vielen Reisewilligen.

Da dennoch zur Zeit fleissig gereist wird, lässt hoffen, dass die Medien zusehends an Glaubwürdigkeit verlieren. Sofern die Gesundheitsbehörden in den einzelnen Ländern nicht wieder den Verstand verlieren, dürfte die nächste Reisewelle bereits im Herbst anrollen. Dieses Aufflackern der Reiselust ist jedoch kaum nachhaltig und dürfte zweifellos im Spätherbst wieder erlöschen.

Die Aussichten für die Airlines sind also alles andere als rosig. Planungssicherheit ist inexistent. In diese für Fluggesellschaften volatile und äusserst schwierige Situation platzt nun noch die Nachricht, dass die Bürokraten der EU-Kommission zwei schlummernde Traktanden wiederbeleben und so bald wie möglich umsetzen wollen. Das wäre zum einen die Slotregelung, welche wegen Corona letztes Jahr vorläufig ausgesetzt, respektive angepasst wurde und zum anderen das Dauerthema Kerosinbesteuerung.

Ausgerechnet jetzt will man den Airlines auf dem Weg zur (neuen) Normalität zwei schwere Steine in den Weg legen, damit die Regierungen einzelner Länder dann im Gegenzug ihre Fluggesellschaften wieder mit Milliardenbeträgen unter die Arme greifen müssen oder dürfen: von der EU gebilligt.

Bei den Slots will die EU die Rechte für das Jahr 2022 nur zusichern, wenn die Airlines diese Zeitfenster für die An- und Abflüge auf Grossflughäfen im kommenden Winter zu mindestens 50% (normal wären 80%) nutzen.

Obwohl von zuständigen Stellen das Gegenteil behauptet wird, könnte dies dazu führen, dass in den kommenden Monaten auf diversen Routen leere Flugzeuge hin und her fliegen werden. Wobei die Definition «leer» nicht unbedingt heissen muss, dass gar keine Passagiere an Bord sind. Auch Flüge mit 10 Fluggästen in einem Flugzeug mit einer Kapazität von 180 Plätzen können als leer und vor allem als unrentabel bezeichnet werden.

Einzig für uns und unsere Kunden könnte dies – als angenehmer Nebeneffekt – bedeuten, dass weniger Flüge storniert und/oder kombiniert würden. Die 50% Regel soll ausgerechnet ab 1. November gelten; nach der Ferienzeit und bei Beginn einer zu erwartenden Flaute im Passagierverkehr.

Dabei wäre dieser Schritt gar nicht nötig, denn momentan reissen sich kaum viele Airlines um bestehende Slots, vor allem bei den grösseren Hubs wie Zürich, Frankfurt, London, Paris oder Mailand. Ausnahmen sind die LCC’s, die über den Entscheid aus Brüssel nicht unglücklich sind, obschon nicht ganz klar ist warum. Sie operieren ja bekanntlich aus Kostengründen nur beschränkt ab den erwähnten Hubs. Es geht wohl auch hier in erster Linie um den Verdrängungskampf mit den Legacy Carrier.

Das Abwarten bis zum Sommerflugplan 2022 hätte niemandem wirklich geschadet, den Airlines jedoch noch etwas Luft verschafft. Damit aber noch nicht genug. Ausgerechnet in einer sehr volatilen Phase der Erholung des Luftverkehrs wird das Thema Kerosinbesteuerung für Flüge innerhalb Europas wieder aus der Mottenkiste geholt und aufgewärmt.

Unter dem ominösen Titel «Fit for 55» – nein, das ist kein Gesundheitsprogramm für angehende Senioren – hat Brüssel ein Massnahmenpaket für die Luftfahrt gezimmert. Damit sollen Emissionen in der EU bis 2030 um 55% reduziert werden. Ein Teil des Pakets besteht aus der Besteuerung des Kerosins innerhalb der EU. Ob die Schweiz auch mitmachen wird ist noch offen – besonders nach dem Nein zum CO2-Gesetz.

Zusätzlich sollen die Treibstofflieferanten dazu gezwungen werden, stufenweise einen immer grösser werdenden Anteil an nachhaltigen Kraftstoffen beizumischen. Die EU macht kein Hehl daraus, dass sie mit Preiserhöhungen rechnen – zum Teil Verdopplung auf gewissen Strecken – damit die Nachfrage sinkt und somit auch die Emissionen. Grenzenloser Zynismus aus Brüssel in der für die Airlines schwierigsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg.

Eine Treibstoffsteuer ist durchaus vertretbar. Der Zeitpunkt ist jedoch denkbar schlecht. Das Ganze zeugt einmal mehr davon, dass die Beamten in Brüssel grösstenteils die Bodenhaftung verloren haben und nur noch nach bürokratischen Aspekten handeln. Nicht unbedingt förderlich für das ohnehin angeschlagene Image der EU.

(Erich Witschi)