Gastkommentar: «Das ist Heuchelei erster Güte!»

Der TRAVEL INSIDE Autor und Branchen-Insider Erich Witschi arbeitet für Globetrotter und betreut die Helpline.

Zwei Meldungen erschienen letzte Woche in der Fachpresse: die gescheiterte Übernahme von Air Transat (TS) durch Air Canada (AC), sowie die Bewilligung der EU für den erneuten Geldsegen aus dem Elysée (ca. EUR 4 Mia.) für die gebeutelte Air France. Diese Nachrichten erzeugten keine grosse Aufmerksamkeit und wurden auch kaum hinterfragt. Dennoch lohnt es sich beides genauer unter die Lupe zu nehmen.

Seit bald 2 Jahren liegt bei der kanadischen Air Transat ein Übernahmeangebot von Air Canada in der Höhe von CAD 720 Mio. auf dem Tisch, welches dann aber infolge der Coronakrise und dem daraus resultierenden Schuldenberg bei TS auf CAD 180 Mio. reduziert wurde. Der Segen der Aktionäre von TS und AC sowie der Regierung in Ottawa war vorhanden und kleinere bürokratische Hürden überwunden. Es fehlte jedoch noch das grüne Licht der EU-Kommission.

Nun haben beide Airlines am 2. April überraschend verkündet, dass die Übernahme gescheitert ist. Warum wurde offiziell nicht kommuniziert. TS steckt in einer tiefen Krise und wäre auf jeden Dollar sowie einem starken Partner angewiesen um überhaupt zu überleben. Der Hauptgrund dürfte in Brüssel zu suchen sein. Die Signale aus dem Bürokraten-Tempel der EU waren zuletzt eher negativ. Vermutlich hat man AC unter vier Augen klar gemacht, dass ein OK der EU-Paragraphenreiter eher unwahrscheinlich ist.

Air Canada hätte mit der Übernahme von TS auf dem Nordatlantik einen Marktanteil von über 60%. Das war den Wettbewerbshütern in Brüssel nun doch zu viel. Dies obschon Air Canada «ein umfangreiches Paket an Konzessionen» (O-Ton AC) angeboten hat. Die vorgeschlagenen Eingeständnisse waren wesentlich umfangreicher als «die von der EU in früheren Fällen von Airline-Fusionen akzeptiert wurden» – gemäss Air Canada.

Brüssel wiederum gab bekannt, umfangreiche Untersuchungen hätten gezeigt, dass die geplante Fusion den Nordatlantik-Markt zwischen Kanada und Europa negativ beeinflusst und zu höheren Preisen, geringerer Qualität und/oder weniger Auswahl geführt hätten. Ein Schelm wer böses dabei denkt, besonders wenn man die zweite Meldung betreffend Air France in den Gedanken mitberücksichtigt.

Air Canada wollte eigentlich mit der Übernahme von TS das Leisure Geschäft ausbauen, welches bei AC seit Jahren nicht so recht auch Touren kommen will. Dies hätte prioritär den Karibik- und Zentralamerika-Markt betroffen. Nach Europa bedient TS seit Jahren hauptsächlich Nischendestinationen (z.B. Basel).

Was die EU hier betreibt ist also Protektionismus der üblen Sorte. Für AC ist das Scheitern der Übernahme verkraftbar und man wird nun voraussichtlich die eigene Urlaubsdivision Air Canada Rouge weiter ausbauen und nach weiteren Lösungen Ausschau halten. Air Canada hatte bis anhin noch keine Staatshilfe erhalten. Gemäss brandaktuellen Meldungen von heute (13. April) erhält der Carrier im Austausch für Jobgarantien sowie Aktienrückkaufs- und Dividendenbeschränkungen CAD 500 Mio. (Peanuts im Vergleich zu AF). Auch ein Kredit von CAD 5 Mia. steht bei Bedarf zur Verfügung.

Bei Air Transat sieht die Situation schlecht aus. Bis vor Kurzem hatte TS noch diverse Airbus A310 mit einem Durchschnittsalter von 29 Jahren in der Flotte (was das Herz jedes Aviatikfans höher schlagen liess). Diese wurden jedoch letztes Jahr ausgemustert und werden nun mit geleasten A321LR ersetzt. Aber die A330 sind auch bereits um die 20 Jahre alt. Es steht also eine Flottenerneuerung an und TS braucht daher als erste Tranche mindestens ebenfalls CAD 500 Mio. Ob der Staat auch bei TS einspringt ist fraglich.

Die Regierung war bis anhin was Airlines betrifft sehr knauserig. Momentan stehen nur private Investoren zur Verfügung, was bei vielen Airlines (z.B. TWA) in der Vergangenheit zum endgültigen Untergang geführt hat. Eine Fusion mit West Jet wäre eine weitere Möglichkeit.

Welche Erkenntnisse darf man nun aus den beiden «Episoden» (AF und AC) nun ziehen? Es hat sich wieder einmal gezeigt, dass die EU-Kommissäre mit gezinkten Karten spielen und einen Doppelstandard an den Tag legen, welcher – zumindest für mich – zum Himmel schreit. Man redet im Fall von AC und TS von Wettbewerbsverzerrung und quasi im gleichen Atemzug gibt man der Französischen Regierung grünes Licht, weitere EUR 4 Mia. an AF zu überweisen (es wurden im letzten Jahr bereits EUR 7 Mia. überwiesen).

Das ist Heuchelei erster Güte! Es leuchtet ein, dass alle Flurgesellschaften enorm schwierige Zeiten durchleben und finanzielle Hilfe durch den Staat in der Form von Krediten und A-fonds-perdu Beiträgen auch von anderen Staaten geleistet wurden und noch werden. Mir stösst jedoch auf, dass die EU die Verweigerung der Zustimmung für die Fusion von AC und TS angedroht hat. Das ist schlichtweg nicht akzeptabel und sogar eine Einmischung in den lokalen kanadischen Markt!

Hätte es sich um 2 US-Gesellschaften gehandelt, wäre die EU-Reaktion wohl etwas anders ausgefallen. Es bleibt zu hoffen, dass die kanadische Regierung nochmals in die Taschen greifen wird um auch Air Transat und West Jet das Überleben zu sichern. Für mich persönlich hat dieses Trauerspiel sowie das EU-Handling der Coronakrise zur Folge, dass ich mich vom EU-Turbo endgültig zum EU-Skeptiker gewandelt habe.

(Erich Witschi)