Göta-Kanal: Eine beschauliche Schiffsreise der besonderen Art

Mit der historischen Wilhelm Tham auf stimmungsvoller, naturnaher Zeitreise durch Südschweden: Mehr Idylle, Nostalgie und Erholung geht nicht.
Die 1912 erbaute Wilhelm Tham unverändert in voller Fahrt. ©BE

Lichte Mischwälder säumen den Kanal, der hier oben einst aus dem felsigen Boden gesprengt werden musste. «Wir haben nun den höchsten Punkt unserer Fahrt erreicht, 91,5 Meter über dem Meeresspiegel», informiert Reiseleiterin Amanda Hessle beim versteckten Obelisken, der diesen Streckenabschnitt markiert.

Die 390 Kilometer lange Wasserstrasse quer durch Südschweden zwischen dem Kattegat und der Ostsee bewältigt diese beachtliche Höhendifferenz über insgesamt 58 Schleusen, dazwischen geht es über fünf Seen.

Die eigentliche Göta-Kanal-Strecke ist 190 Kilometer lang, und wir befahren mit der Wilhelm Tham in drei Tagen den schönsten Abschnitt zwischen Norsholm und Mariestad. Ein Bustransfer bringt die Gäste von Stockholm nach Norsholm und danach von Mariestad nach Göteborg.

 

«Ebenso populär sind die integralen vier- und sechstägigen Reisen zwischen Göteborg und Stockholm mit der 150 Jahre alten Juno oder die Kurzreisen zwischen Motala und Söderköping mit der 1931 erbauten Diana», sagt später Amanda.

Unter Denkmalschutz
Winzige Kabinen. ©BE

Kapitän Hakan Eriksson und Amanda nehmen die Gäste in Norsholm in Empfang, die Crew bringt die Koffer an Bord. Der erste Eindruck der am Kai vertäuten Wilhelm Tham: Eine höchst charmante, nostalgische Beauty.

Das 112-jährige Schiff wirkt wie aus der Zeit gefallen, seit 2004 steht es (wie ihre zwei ähnlichen Schwestern) unter Denkmalschutz. Über drei Decks sind insgesamt 25 Kabinen, ein Speisesaal, ein Salon und ein überdachtes Achterdeck angelegt.

Verschiedene Restaurierungen über die Jahre haben den authentischen Charakter des Schiffes bewahrt: Holz, Messing, historische Tapeten und Textilien sowie die passende Möblierung verströmen im Innern unverändert einen Hauch von Art Déco.

Die Kabinen, auf dem Zwischen- und dem Brückendeck über den Deckrundgang zugänglich und mit Fenster, sind winzig und entsprechen etwa dem Schlafwagen-Abteil eines Zugs. Längs hat gerade mal das schmale Kajüten Bett für zwei Personen Platz, die Breite beträgt etwa die Hälfte davon.

Die Einrichtung umfasst einen Waschtisch mit etwas Stauraum und einen schmalen Schrank um einige wenige Kleider aufzuhängen, alles aber sehr stilvoll und der Epoche angepasst. Einen TV gibt es nicht – und wird auch nicht vermisst!

«Ausnahme bilden zwei ‘Hochzeitskabinen’ mit je einem 120 cm breiten Queen-Size Bett, und die Kabinen auf dem unteren Hauptdeck verfügen über ein kleines Bullauge», informiert Amanda über einige Besonderheiten.

Für jeden Gast liegt ein Bademantel bereit. Das ist unumgänglich, denn die Kabinen haben kein eigenes Bad. Auf jedem Deck stehen (täglich mehrmals gesäuberte) Duschen und WC zur Verfügung.

«Die Gäste stammen in der Regel zu je einem Drittel aus Schweden, aus den deutschsprachigen und den angelsächsischen Ländern», ergänzt Amanda. Diese drei Sprachen werden denn auch an Bord gesprochen.

Schweizer Reise-Expertin
Amanda Hessle

Eins steht für Reiseleiterin Amanda Hessle fest: «Der Göta-Kanal ist eines meiner liebsten Reviere». Sie wuchs im Kanton Schwyz auf und absolvierte einst das Reisebüro-KV bei Tevy Reisen, danach heuerte sie beim Nordland-Spezialisten Lamprecht an.

«Auf einer Studienreise reiste ich erstmals mit der Wilhelm Tham und lernte dabei den Steuermann kennen», erzählt Amanda. Wenig später zog die junge Amanda mutig und kurzentschlossen zu ihrem Steuermann nach Schweden.

«Ich lernte rasch schwedisch, begann als Reiseleiterin auf den Kanal-Schiffen und arbeitete im Winter in Reise- und Incoming-Büros», sagt Amanda, die heute Schweden als ihre Heimat bezeichnet.

Seit bald 20 Jahren ist sie als gefragte Freelance-Reiseleiterin aktiv und weiterhin gelegentlich auf dem Göta-Kanal im Einsatz, daneben auch für die norwegische Havila, den Schweizer Veranstalter Kontiki oder für schwedische Tourismus-Projekte.

«Der Göta-Kanal bedeutet mir sehr viel. Er vereint sowohl landschaftliche, historische wie kulturelle Aspekte und die Fahrt hat etwas äusserst Beruhigendes, beinahe Mystisches», sagt Amanda. Diese Magie lernen wir Gäste nun kennen.

Schleusen und viel Natur
Schleusenmanöver

Nach dem Start in Norsholm und der Überquerung des Roxen-Sees wartet bereits ein erster Höhepunkt: Die Schleusentreppe von Berg hisst die Schiffe über sieben Kammern 18,8 Meter in die Höhe.

«Alle drei Schiffe der Göta-Kanal-Reederei, die Juno, Wilhelm Tham und Diana, wurden mit einer Länge von 31,5 Metern und einer Breite von 6,7 Metern so gebaut, dass sie tupf genau in die Schleusenkammern passen», sagt Kapitän Eriksson.

Sorgfältig manövriert er das Schiff mithilfe der vierköpfigen nautischen Crew und der Schleusenwärter von Kammer zu Kammer, ein Schauspiel, das überall auch von vielen Schaulustigen an Land verfolgt wird.

Reiseleiterin Amanda hat sich derweil mit einer Gruppe von Gästen zu Fuss zur mittelalterlichen Klosterkirsche von Vreta aufgemacht. Andere bummeln dem Kanal entlang und steigen bei der nächsten Schleuse wieder zu.

Entlang Wiesen, Weiden und Kulturland geht die Fahrt weiter. Ab und zu schlängelt sich der Kanal durch Laubwälder, dann wiederum säumen Baumallen und belebte Rad- und Wanderwege den Wasserweg.

Bei Anlegestellen dümpeln private Segelboote und Jachten, Kids springen jauchzend ins Wasser. Selten nur führt die Fahrt durch Ortschaften, Industrieanlagen am Ufer gibt es kaum – es ist ein Naturerlebnis.

«Im Kanal sind wir mit maximal vier Knoten unterwegs», so Kapitän Eriksson. Denn: «Mit einem Tiefgang von 2,7 Metern des Schiffs besteht bei einer Tiefe des Kanals von rund drei Metern gelegentlich das Risiko, dass wir leicht den Grund berühren».

Köstliche schwedische Küche
Achterdeck

Die Gäste geniessen die Fahrt auf dem mit Holzplanken ausgelegten, überdachten Achterdeck. Die Stimmung ist friedlich, erholsam und familiär. Gemächlich zieht die Landschaft vorüber und wer Durst hat, bedient sich selbst an der Honesty-Bar.

Vorne ist ein Besuch beim Kapitän oder seinem Stellvertreter in der kleinen, urigen Brücke fast jederzeit möglich.

«Erst in den 1960er-Jahren wurden die Dampfkessel durch Dieselmotoren ersetzt», kann man dabei etwa lernen.

Mit einem Gong wird jeweils zum Lunch und Abendessen gerufen. Der hübsche, weiss aufgedeckte Speisesaal liegt auf dem Zwischendeck, die Mahlzeiten sind eine geschätzte Abwechslung und gefallen mit einer klassisch-schwedischen Küche.

Eingelegte Hering nach traditioneller Art geht auch mit Aquavit, die Rinderbrust kommt mit Püree von Wurzelgemüse und Geräuchertes vom Wild mit einer Variation von Roter Beete und Petersilienmayonnaise – alles köstlich zubereitet.

Gerade mal zwei Köche kümmern sich in der kleinen Kombüse um die Mahlzeiten für maximal 50 Passagiere, der Service wird von zwei jungen Studentinnen charmant und gekonnt als Sommerjob wahrgenommen. Nur am Frühstücks-Buffet kann es mal etwas eng werden.

Am Abend legt die Wilhelm Tham am Kai des Flecken Borensberg an, gleich hinter einer von Hand betriebenen Schleuse. Hier verbringen wir die Nacht, ein Drink im nahe gelegenen historischen «Göta-Hotel» darf den ersten Tag beschliessen.

Historisches Bauwerk
Unterwegs

Vorne auf dem Zwischendeck liegt ein kleiner Salon mit Bibliothek. Hier informiert Amanda täglich über viel Spannendes zur Fahrt und zum Kanal. «Die Idee einer Wasserstrasse quer durch Schweden kam schon im Mittelalter auf», erzählt sie.

Ein Graben für Schiffe zwischen den zwei grossen Seen Vänern und Vättern könnte den beschwerlichen Pferdetransport von Gütern ablösen, so die Vision. Doch erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Projekt angepackt.

Ein schlagendes Argument war wohl die Aussicht, dass man mit einer Wasserstrasse durch den Süden Schwedens die hohen Zollgebühren Dänemarks für die Transporte durch die Öresund-Passage vermeiden konnte.

Rund 58’000 Soldaten gruben ab 1810 meist von Hand den Kanal aus, zehn Jahre später konnte der westliche Teil des Göta-Kanals zwischen Sjötorp und Karlsberg eingeweiht werden, zehn Jahre später auch der östliche Abschnitt bis an die Ostsee.

Doch der mit dem Kanal angepeilte wirtschaftliche Aufschwung für die Region erfüllte sich nicht gänzlich. Dänemark hob die Zollgebühren auf und der Kanal verlor seine erhoffte ökonomische Bedeutung.

Mit Ausnahmen in Motala und Sjötorp siedelte sich kaum neue Industrie an, aber der Kanal war lange Zeit durchaus eine wichtige Transportstrecke. Und er gewann rasch an Bedeutung für Personentransporte und schliesslich für touristische Gäste.

«Die erste Reederei wurde bereits 1869 gegründet und betrieb in ihrer Glanzzeit 14 Schiffe», informiert Amanda. Seit 2001 gehört die heutige Göta-Kanal-Reederei zur schwedischen Stromma-Gruppe, einem grossen touristischen Konzern.

Der Kanal selbst ist in staatlichem Besitz und wurde in den letzten Jahren unter dem Projektnamen «Göta-Kanal 2.0» für viel Geld repariert und modernisiert. Und: «Er ist nur saisonal von Mai bis September geöffnet», erklärt Amanda.

Erlebnisreiche Kanalfahrt
In Motola

Früh morgens am zweiten Tag geht es weiter über den Boren-See, bei Borenshult wartet die zweitgrösste Schleusentreppe des Kanals. Hier spielt sich auch die Geschichte der «Toten vom Göta-Kanal» ab, einem schwedischen Krimi-Klassiker.

Im Motala, der «Hauptstadt des Göta-Kanals», organisiert Amanda den Gästen den Zutritt zum skurrilen Motala Motormuseum, eine verblüffende und unterhaltsame Sammlung von zeittypischen Autos, Radios, TVs und vielen weiteren Kuriositäten.

Auf dem Achterdeck geniessen die Gäste die ruhige Fahrt quer über den Vättern-See. Vorbei an der Festung von Karlsborg geht es wieder im Kanal bis Forsviks Bruk, wo der geführte Besuch der heute musealen Industrieanlagen von Interesse ist.

Die Schleuse von Forsviks ist übrigens die älteste und höchste des Kanals. Hier werden die Kanalschiffe traditionell von einer religiösen Familie mit Blumen und Gesang empfangen – berührend.

Die folgende, kurvenreiche Kanalstrecke mit ihren engen Passagen, von Wäldern gesäumten Ufern und mit Teichrosen bewachsenen Seitenarmen ist einer der malerischsten Abschnitte. Und hier liegt auch der höchste Punkt der Reise.

Erst spät in der Nacht legt die Wilhelm Tham bei den Schleusen von Hajstorp an. Ein mittelnächtlicher Bummel in der abgeschiedenen Umgebung unter dem dämmrigen Nord-Himmel lässt die Gedanken schweifen.

Am letzten Tag geht es über die Schleusenanlagen von Sjötorp weiter. Auf dem Kanal und bei den Schleusen herrscht viel Betrieb, die Wilhelm Tham verspätet sich und der geplante Besuch des Kanal- und Schifffahrtmuseums fällt leider aus.

Über den Vänern, dem grössten See Schwedens, geht es schliesslich zum Endpunkt unserer Reise in Mariestad. Eine Fahrt, die unvergessliche Eindrücke zurücklässt.  «Das war keine Reise, sondern eine Therapie», fasst ein Mitpassagier zusammen.

Beat Eichenberger, Göta-Kanal