«Interessen der Grossen überwiegen, KMU brauchen stärkere SRV-Vertretung»

Interview mit Kurt Zürcher, Gründer von Let’s go Tours. Nach 26 Jahren ist er weiterhin Hauptaktionär und VR-Präsident. Operativ hat Marcel Gehring übernommen.
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Kurt Zürcher ©TRAVEL INSIDE

Kurt Zürcher hat viele Jahre für Hotelplan in verschiedenen Funktionen gearbeitet. Er konnte für zigtausend Franken Verträge abschliessen, ohne dass er jemanden fragen musste. Aber wenn er einen Taschenrechner brauchte, benötigte er dazu weitere Unterschriften. Das hätte ihn schon etwas gestört und eigentlich wollte er schon immer etwas selber machen. Irgendwann war der Zeitpunkt reif und so hat er zusammen mit Kurt Eberhard vor 26 Jahren Let’s go Tours gegründet.

Grundlage für den neuen Tour Operator war, dass es Nischenbereiche gibt, die ein Grossveranstalter nicht abdecken kann oder will. Natürlich weiss Zürcher, dass kleine Firmen einfacher zu lenken sind als grosse. Mit zwei Schreibtischen von Ikea, zwei Computern und einem Faxgerät ist er 1994 ins Unternehmertum eingestiegen. Heute arbeiten 26 Personen für Let’s go Tours.


Kurt Zürcher, wir haben zurzeit eine veritable Krise, es ist nicht ihre erste?

Als wir mit Let’s go Tours 1994 gestartet sind, war der Tourismus wegen dem Golfkrieg gerade ziemlich am Boden. Eigentlich keine schlechte Voraussetzung etwas anzufangen, wenn das Geschäft nicht am boomen ist. Da kann es nur aufwärts gehen. Jetzt gerade wäre auch eine gute Zeit, etwas auf die Beine zu stellen. Natürlich nur, wenn man eine Ahnung hat vom Geschäft und auch etwas Geld im Hintergrund, um ein halbes oder ganzes Jahr zu überleben. Bei uns ging es immer aufwärts – auch trotz verschiedener Krisen, die es immer wieder gab: Swissair Grounding, Ebola, Pest in Madagaskar, 9/11. Oder auch Syrien, wo wir einen Jahresumsatz von bis zu zwei Millionen Franken machten und gut verdient haben. Das ist jetzt völlig weg. Die Corona-Krise ist etwas speziell, weil es nicht nur eine Krise im Tourismus ist, sondern eine globale Wirtschaftskrise. Aber so schnell kann mich nicht etwas beunruhigen.

Sie stehen also nicht vor der Pleite?

Ich schlafe nach wie vor gut. Auch Dank Kurzarbeit. Aber auch ohne diese staatliche Unterstützung wären wir immer noch gut aufgestellt.  Als guter Unternehmer muss man schauen, dass man Reserven hat. Für mich war immer wichtig, dass wir auch ohne Buchungen ein Jahr überleben können.

Haben Sie auch einen Kredit beantragt?

Wir haben ihn beantragt, damit er mal beantragt ist. Wir werden ihn zu 99 Prozent nicht brauchen, aber er wirkt beruhigend. Unsere Rückstellungen für Unvorhergesehenes sind unser wichtigstes Überlebensinstrument. Sie sind aber auch problematisch. Unsere Steuerkommissarin hat sie für dieses Jahr noch akzeptiert aber nächstes Jahr müsse man schon über diese Rückstellungen reden.

Gut, für die nächsten 10 Jahre ist das kein Thema mehr (lacht). Aus steuertechnischen Gründen werden oder wurden Firmen daran gehindert Rückstellungen zu machen und das kann dann dazu führen, dass am Dreizehnten der Lockdown verordnet wird und am Vierzehnten gehen die ersten Firmen hopps.

Andere Firmen haben eine Mutter mit einem dicken Portemonnaie im Rücken.

Trotzdem haben viele von diesen grossen Unternehmen in den letzten Jahren kaum Geld verdient. Klar ist es nett, wenn einem jemand Geld zusteckt – wir müssen für uns selbst sorgen.

Sie sind kein Freund der Reise-Dinosaurier.

Die braucht es doch auch. Es ist ein anderes Geschäft als unseres. Wir sind individueller und beweglicher. Aber, seit die Deutschen in die Schweiz drängten, sind die Preise immer mehr unter Druck geraten. Wir haben uns zum Sklaven der Grossveranstalter gemacht. Dass Thomas Cook Konkurs ging, dass TUI das Wasser bis zum Hals oder noch höher steht ist kein Zeichen dieser Krise. Das Hauptproblem ist, dass sie seit Jahren kaum Geld verdienen. Auch wenn sie nichts verdienen, machen sie das Geschäft trotzdem, Hauptsache, sie können Marktanteile gewinnen.

Man sagt dem: marktwirtschaftlicher Wettbewerb.

Ja richtig. Aber gibt es einen Grund, dass ich Sachen verkaufe, an denen ich nichts verdiene? Neben den Fluggesellschaften sind wir die einzige Branche, die das macht. Nehmen wir TUI. Die haben jetzt vom Staat viel Geld bekommen, um zu überleben. Und die gleiche TUI wirft dann Angebote auf den Markt, bei denen man genau weiss, dass sie damit nichts verdienen und andere kaputt machen. Ist das noch Markt?

Das gleiche mit der Lufthansa, die Geld bis zum Gehtnichtmehr erhält und dann musst Du als Reisebüro noch froh sein, irgendwann dein Flugticket zurückerstattet bekommen. Wenn überhaupt, dann müssten auch die Kleinen etwas vom Staat bekommen. Irgendetwas wäre schon angebracht für die gesamte Reisebranche.

Sie fühlen sich benachteiligt?

Man ist eigentlich gewohnt, den Gürtel auch mal enger zu schnallen. Falls jetzt aber die Entschädigungen für Firmenbesitzer gestrichen werden, dann wird es für einige sehr eng, Es kann ja nicht sein, dass am Schluss nur noch die Grossen vorhanden sind, die eine Mutter im Hintergrund haben. Das wäre fatal. Wenn man aus der Krise etwas lernen sollte: die kleinen und mittleren Reisebüros und Tour Operators brauchen eine stärkere Vertretung im Schweizer Reise-Verband SRV.

Warum ist praktisch gottgegeben, dass von Hotelplan, TUI und DER jemand in diesem Vorstand sein muss und nur eine Vertreterin der kleinen und mittelständischen Unternehmen? Drei zu eins, das kann es doch nicht sein. Das lässt doch automatisch den Verdacht aufkommen, dass die Interessen der Grossen überwiegen. Das geht weiter beim Garantiefonds. Was die Grossen dort hinterlegen müssen hat nie einen Bezug zum Umsatz, den ein Kleiner haben muss. Der deutsche Reise-Verband ist da anders und besser organisiert.

Aber ihre Firma funktioniert trotz der schwierigen Bedingungen immer noch gut. Was machen sie anders und besser als andere?

Ich glaube an meine Firma. Ich nehme an, dass wir in diesem Jahr kein Geld verdienen werden. Ich bin überzeugt, dass wir nächstes Jahr wieder verdienen werden, vielleicht nicht so viel wie in den vergangenen Jahren. Aber Geld ist nicht der zentrale Faktor. Es sind die Leute hinter den Kulissen, die wichtig sind, die die Arbeit machen. Wenn du die nicht hast, kannst du alles vergessen. Es gibt viele in der Reisebranche, die sich zu wichtig nehmen, sich als grosse Gurus präsentieren. Dabei sind sie abhängig von der Qualität ihrer Mitarbeitenden.

Bei uns hat jeder Mitarbeiter das Gefühl, es sei auch seine Firma. Alle sind am Gewinn beteiligt. Die meisten sind schon sehr lange dabei. Das letzte Stelleninserat haben wir vor 11 Jahren geschaltet. Es gibt Leute, die schon zwei, drei Jahre gewartet haben, bis sie bei uns arbeiten konnten. Wir setzen auf Qualität. Das heisst, wir investieren bei unseren Mitarbeitenden ins Know-how. Das ist das A und O der Branche. Bei uns dauert es zwei Jahre, bis ein Mitarbeiter Geld abwirft. Vorher ist es eine Investition ins Know-how, beispielsweise mit Studienreisen. Man muss diese Leute auch in schwierigen Zeiten halten können, damit wir bereit sind, wenn es wieder aufwärts geht, wir sofort wieder hochfahren können.

Sie glauben also, dass der Markt nächstes Jahr wieder anziehen wird?

Ich war schon immer der optimale Optimist. Am Anfang, als die Unsicherheit gross war, wollten viele annullieren. Jetzt wollen die meisten verschieben.  Es sind viel weniger, die Angst haben zu gehen als jene, die besorgt sind, ob sie überhaupt gehen können. Das ist beruhigend.

Nur müssen dann auch die Destinationen bereit sein.

Unser Hauptproblem wird sein, ob die Länder vernünftig genug sind, in einer Art und Weise ihre Grenzen zu öffnen, dass überhaupt jemand kommen will. Ich bekomme jetzt schon Listen von Anbietern, die erklären, was sie für hygienische Massnahmen in die Wege geleitet haben. Aber die haben ihre Zimmer auch schon früher geputzt. Das muss ich gar nicht wissen. Kein Gast will im Hotel von einer Receptionistin mit Maske empfangen oder von einem Kellner mit Maske bedient werden. Das kann es nicht sein. Da kommst du dir vor wie in einem Spital.

Sie haben gerade heute bekannt gegeben, dass Sie die Geschäftsleitung ab jetzt an Marcel Gehring übergeben. Was werden Sie jetzt machen?

Ich bin weiterhin Hauptaktionär und Verwaltungsratspräsident und werde in diesen schwierigen Zeiten weiterhin zur Verfügung stehen. Oder soll ich Geld nehmen und Kuoni Aktien kaufen (lacht)? Nein, es gibt noch viel zu reisen und meine Frau und ich werden im Ausland mehr Zeit vor Ort verbringen.

(Interview: Kurt Schaad)