Kurt Zürcher: «Wir haben den Kredit inzwischen angebraucht»

Kurt Zürcher zieht im Interview mit TRAVEL INSIDE Resümee über das vergangene Jahr und seine neue Rolle bei Let’s go Tours.
Kurt Zürcher © TRAVEL INSIDE

Kurt Zürcher als Urgestein der Tourismusbranche zu bezeichnen, trifft den Nagel ziemlich genau auf den Kopf. Der Mitbegründer von Let’s go Tours hat vor gut einem Jahr einen neuen Lebensabschnitt gestartet, als er den Job als CEO an Marcel Gehring übergeben und sich in das Verwaltungsratspräsidium zurückgezogen hat – in der Anfangsphase der Corona-Pandemie.

Kurt Schaad hat damals, als noch die wenigsten an eine zweite Welle glauben wollten, mit Kurt Zürcher für TRAVEL INSIDE ein längeres Gespräch geführt. Nun hat er ihn wieder getroffen, um sich mit ihm über die Pandemie-Erfahrungen und das touristische Leben zu unterhalten.


Kurt Zürcher, vor einem Jahr sind wir schon einmal zusammengesessen. Das wichtigste Thema damals, wie könnte es anders sein, die Corona-Krise. Wie würden Sie die Situation ein Jahr später einschätzen?

Was ich damals völlig falsch eingeschätzt habe, war die Dauer der Krise. Da war ich, glaube ich, nicht der einzige in der Branche.

Etwas falsch einzuschätzen ist menschlich. Was hat das jetzt für Auswirkungen?

Was die Firma betrifft ist jetzt die grösste Herausforderung, die Leute wieder in die Normalität zurückzuführen, dass sie wieder normal arbeiten können. Und was mich persönlich betrifft: ich habe mich immer noch nicht an die Maske gewöhnt. Seit Beginn der Pandemie habe ich nie mehr ein öffentliches Verkehrsmittel benutzt. Ich laufe oder fahre mit dem Velo, auch wenn es Katzen hagelt. Im Flugzeug kam man nicht darum herum, eine Maske zu benutzen.

Aber Sinn und Zweck einer Maske ist Ihnen schon klar?

Mir ist klar, wie es gemeint ist. Aber ich entziehe mich der Diskussion über die Pandemiemassnahmen grösstenteils. Mit Freunden beispielsweise diskutiere ich nicht über dieses Thema. Ich habe gehört, dass deswegen alte Freundschaften zerbrochen sein sollen. Das ist es doch nicht wert.

Was ich bedaure ist, dass bei vielen Leuten die Haltung entsteht: es gibt nur eine Meinung. Es ist doch wichtig, dass man unterschiedliche Meinungen respektiert. In diesem Sinn hat mich die teilweise Gleichschaltung der Medien erschreckt.

Wir haben damals auch über die Rolle des Staates gesprochen, der einigen Firmen das Überleben sichern könnte.

Da hat der Staat gut funktioniert. Allerdings sind dabei auch die Unzulänglichkeiten unseres föderalistischen Systems zum Vorschein gekommen. Ob man gleich über den Rhein im zürcherischen Feuerthalen den Firmensitz hat oder hier in Schaffhausen ist ein riesiger Unterschied. Von der Schaffhauser Regierung hätte man keinen Rappen bekommen, wenn der Bund nicht eingegriffen hätte.

Der Unternehmer Zürcher ist nicht nur glücklich, wenn ihm der Staat Geld gibt. So habe ich Sie schon vor einem Jahr wahrgenommen.

Ich habe in meinem ganzen Leben nie einen Rappen vom Staat bezogen, persönlich oder firmenmässig. Und ich habe das für gut befunden. Aber jetzt hat uns der Staat ein Berufsverbot auferlegt. Deshalb ist die Staatshilfe schon okay. Wenn es die ominöse Liste des BAG nicht gegeben hätte, wären wir wirtschaftlich gar nicht so schlecht dagestanden.

Aber wir haben auch gezeigt, dass wir daran glauben, dass es weitergeht. Bei uns waren immer alle erreichbar, wir haben unsere Öffnungszeiten beibehalten und natürlich hat da der Staat mit der Kurzarbeit gute Unterstützung geleistet.

Ich höre da auch ein «Aber» zwischen den Zeilen.

Es gab schon ein paar Merkwürdigkeiten. Man hätte beispielsweise auch auf der Basis der bezahlten Steuern Gelder verteilen können. Wer viele Steuern bezahlt hat, hat gut geschäftet und gerade deshalb sollten diese Firmen Unterstützungsgelder bekommen.

Aber gerade hier in Schaffhausen gab’s die Meinung, dass man zuerst das erwirtschaftete Geld ausgeben soll und wenn man dann auf einen Konkurs zusteuert, dann würden man schon helfen. Einer sagte mal, dass der Zürcher in den letzten Jahren viel Steuern gezahlt hat, also hat er ziemlich viel Geld, er soll zuerst das einmal aufbrauchen.

Ich habe den Eindruck, dass einige Politiker ein gewisses Neidverhalten an den Tag gelegt haben. Sie verdienen in einer geschützten Werkstatt ihr Geld, sind in der Regierung oder in der öffentlichen Hand tätig und haben keine Ahnung, was unternehmerische Risiken sind, wie schnell man beispielsweise mehrere hunderttausend Franken verlieren kann.

Wenn ich Sie richtig verstehe, dann haben Sie dem Staat über lange Zeit viel Geld abgeliefert und jetzt, wo er quasi ein Berufsverbot erteilt hat, soll er von dem eingenommenen Steuergeld auch etwas zurückgeben.

Ganz genau, dann hat man auch nicht das Gefühl, ein Bittsteller zu sein. Doch von solchen Gedanken ist man meilenweit entfernt. Im Gegenteil. Bei kleinsten Krisen ruft man schon nach dem Staat. Dieser scheint sowieso genug Geld zu haben, wenn ich sehe, wie oft etwas saniert wird, wo es eigentlich gar nichts zu sanieren gibt oder wenn zum Beispiel für Veranstaltungen einfach mal Geld gesprochen wird, anstatt eine Defizitgarantie zu gewähren. Da wird Steuergeld mit beiden Händen zum Fenster hinausgeworfen.

Vor einem Jahr haben Sie gesagt, dass Sie genügend Reserven haben, um ein Jahr problemlos durchzustehen aber für alle Fälle auch einen Kredit beantragt haben. Wurde der jetzt angetastet?

Also, wir haben ein Jahr auf eigene Rechnung gut überlebt, bevor wir dann im Juni vom Staat Geld bekommen haben. Wir haben den Kredit inzwischen angebraucht. In der Reisebranche spielen Devisen eine grosse Rolle.

Die Frage war, sollen wir mit unseren flüssigen Mitteln Devisen mit einem Kursverlust verkaufen oder diesen Verlust mit einem Kredit abdecken, was sowieso nur in unseren Büchern drin ist. Also haben wir den Kredit genutzt. Wir könnten ihn auch gleich morgen wieder zurückzahlen. Wenn wir den verzinsen müssten, würden wir ihn sowieso schnell wieder zurückzahlen. Das heisst: Kurzarbeit und die staatlichen Gelder haben dazu beigetragen, die Substanz zu erhalten.

Die grosse Herausforderung wird sein, wenn das Geschäft wieder voll zum Laufen kommt, dass der eine oder andere merken wird, dass man nicht mehr genügend Leute hat, weil so und so vielen gekündet worden ist oder viele inzwischen den Beruf gewechselt haben.

Sie haben damals auch gesagt, jetzt wären auch gute Zeiten, um zu investieren, andere Firmen zu übernehmen. Jetzt haben Sie sich an zwei Reisebüros beteiligt – mit Hilfe der Staatskredite?

(Lacht) Natürlich mit eigenen Mitteln. Auch wurden die Beteiligungen abgewickelt, bevor die staatlichen Gelder geflossen sind. Wenn es knapp geworden wäre, hätte ich auch noch mein privates Geld eingebracht. Die beiden Besitzer sind übrigens auf uns zugekommen und die jetzige Lösung ist für alle eine Win-Win-Situation. Wir denken übrigens auch darüber nach, wie wir Freelancern eine geschäftliche Zusammenarbeit anbieten können.

Ihr seid also am Wachsen. Die Gefahr dabei ist, plötzlich zu gross zu sein.

Früher habe ich immer gesagt, unser Wachstum soll durch die zur Verfügung stehenden Büroräumlichkeiten begrenzt sein. Zügeln kommt nicht in Frage. 28 bis 30 Leute finde ich eine gute Grösse. Irgendwann wird’s dann unpersönlicher. Wir wollen aber in einer Nische wachsen, wo unser Know-How ist.

Bei den Reisebürobeteiligungen geht es um qualitatives Wachstum, dass die Leute gut ausgebildet sind, ihren Horizont erweitern können. Mit unseren rund 20 Millionen Umsatz, vor Corona, wäre es ein Leichtes, diesen Umsatz zu verdoppeln, indem wir billige Reisen anbieten würden. Aber damit würde man nur die Hälfte oder einen Drittel dessen verdienen, wie wir es mit unserer Geschäftsphilosophie erwirtschaften.

Oder ein Grosser kommt und sagt: wir wollen euch kaufen. Das wäre für Ihr Portemonnaie auch keine Schande.

Das hat es auch schon gegeben, aber das war für mich nie ein Thema. Was das Portemonnaie betrifft: Ich habe alles was ich will, vor allem eine ganz tolle Gattin ohne die alles Erreichte nicht möglich gewesen wäre. Mein Lebensstil hat sich nie geändert, seit ich zwanzig Jahre alt bin.

Ich gehe nicht in eine Schicki-Micki-Beiz und gebe hunderte von Franken aus, beim besten Willen nicht. Am liebsten reise ich so, wie ich auch schon früher gereist bin. So zum Beispiel meine Vespa, Jahrgang 60, nehmen, meine Frau hintendrauf und dann Richtung Italien fahren und schauen, wie weit man kommt.

Ihre Frau würde da sofort mitkommen?

Gut, ich müsste sie schon noch überzeugen und einen möglichst bequemen Sattel installieren. Wir würden auch problemlos in Hotels übernachten, in denen meine Mitarbeiter keinen Fuss setzen würden, aber bei denen ist das ‘Deformation professionelle’. In meiner Erinnerung fanden meine schönsten Reisen dann statt, als ich fast kein Geld hatte.

Fürs Reisen haben Sie jetzt auch mehr Zeit. Bei unserem letzten Zusammentreffen waren Sie gerade dabei, als CEO abzutreten, den Job Marcel Gehring zu überlassen und «nur» noch als VRP tätig zu sein. Zu einem solchen Zeitpunkt hält man immer auch Rückschau und fragt sich, wie man die Zukunft gestalten soll.

Man kann nicht genug betonen, wie toll unsere Branche ist. Reisen ist für mich etwas vom Schönsten und Interessantesten. Es gäbe weniger Konflikte, wenn viel mehr Leute reisen würden, um zu schauen, wie die im Ausland leben. Es gäbe sehr wahrscheinlich auch weniger Rassismus.

Also, ich reise wahnsinnig gern und werde das auch weiterhin beibehalten in der Hoffnung, dass alle diese Reisehemmnisse verschwinden werden. Dass man an den Flughafen fahren, ein Flugbillet, einen Pass oder eine ID in der Tasche und that’s it. Reisen hat mit Freiheit zu tun und was im Moment abgeht: das hat mit Reisefreiheit nichts mehr zu tun. Es gibt nur noch reisen, die Freiheit ist weg.

Naja, als wir einen Termin für dieses Gespräch gesucht haben war das gar nicht so einfach. Zuerst waren Sie in Rumänien und bald sind Sie schon wieder drei Monate unterwegs. So schlimm kann es doch nicht sein.

Also im September sind wir in Skandinavien, im Oktober in Griechenland und anschliessend bin ich mit Beat Walser, dem früheren TTS-Präsidenten, im Auto unterwegs – nach Gambia. Mehrere Fahrzeuge werden da, von einer Deutschen Hilfsorganisation organisiert, unterwegs sein. Marokko, Mauretanien, Senegal, Gambia. Mit unseren Ehegattinnen als Beifahrerinnen. In Gambia werden die Autos dann für einen guten Zweck versteigert. Das Geld kommt einer Hilfsorganisation zugute und wir gehen dann wieder nach Hause.

Das Leben geniessen könnte man dazu sagen.

Auf jeden Fall. Es gibt da noch etliche Projekte im Hinterkopf. Mit dem Velo, ein ideales Transportmittel um weite Distanzen zurücklegen oder mit dem Töff durch Afrika, zum Beispiel. Sofern es die Gesundheit zulässt.

Oder die Politik. Das sind aber alles persönliche Geschichten. Das hat mit dem Geschäft nichts mehr zu tun?

Jein. Man hält auf solchen Reisen auch immer die Augen offen, ob sich da geschäfts- und destinationsmässig nicht auch etwas entwickeln könnte.

Das Reisevirus und die Abenteuerlust sind Ihnen, trotz Corona, nicht abhandengekommen.

Nach drei, vier Wochen zu Hause in Schaffhausen reicht es dann wieder, auch wenn es hier schön ist. Beispielweise mal zwei, drei Monate in Marokko zu leben würde mich durchaus reizen. Ein tolles Land.

Sie sind zwar nicht mehr CEO aber als VRP hat man trotzdem auch noch Verpflichtungen und Verantwortlichkeiten.

Wir sitzen natürlich immer wieder mal zusammen. Für Marcel Gehring ist es nicht so einfach, das Tagesgeschäft zu leiten, da es dieses Tagesgeschäft, coronabedingt, für ihn, bei uns, gar noch nicht gegeben hat. Da bringe ich natürlich meine Erfahrung mit ein. Zudem bin ich auch auf Reisen immer erreichbar.

Und es gibt ein paar heilige Regeln, bei denen man mich gar nicht kontaktieren muss. Wenn beispielsweise einer in Tansania unterwegs ist und einen Agenten ausfindig gemacht hat , der viel billiger ist als unser angestammter Agent, dann muss man mich deswegen gar nicht kontaktieren. Der bisherige Agent, mit dem wir 25 Jahre erfolgreich zusammengearbeitet haben, wird selbstverständlich nicht ersetzt. Mit so etwas muss man erst gar nicht kommen. Loyalität ist mir sehr wichtig.

Ob rote oder grüne Kugelschreiber, Tagesgeschäft, Marketingmassnahmen, da muss man mich nicht fragen. Auch wenn ich vielleicht mit dem einen oder andern nicht einverstanden bin. Die Leute müssen ihre Erfahrungen selbständig machen. Man kann nicht etwas delegieren und dann anschliessend sagen, dass man es anders gemacht hätte.

In einer grossen Firma ist dieses Prinzip schwieriger umsetzbar.

Ja natürlich. In einer Grossfirma ist der CEO mal eine paar Tage nicht da, einfach abwesend. Bei uns weiss jeder und jede jederzeit, wo man ist, und wo man erreichbar ist. Der Informationsfluss ist bei uns anders aufgegleist als in einer Grossfirma. Informationstransparenz ist auch wichtig für den Zusammenhalt im Team.

Die Teamentwicklung ist auch der Grund, weshalb wir im Juni wieder voll zu arbeiten begonnen haben. Wir nutzen die Zeit vor allem mit Schulungen oder mit der Weiterentwicklung unseres Offerttools oder mit den Arbeiten, von denen wir immer gesagt haben, dass wir sie machen, wenn wir mal Zeit haben. Dank dem Staat haben wir sie jetzt. Für mich geht es bestens auf.

Tönt alles sehr entspannt.

Ich wundere mich sogar über mich selbst. In den Ferien denke ich nicht mehr ans Geschäft, lese keine Mails. Nur bei ganz dringenden Sachen kann man mich per SMS erreichen. Wenn da nichts kommt, dann ist ja alles in Ordnung.

(Kurt Schaad)