Schiffsbauwerften – was nun?

Seit Corona werden kaum mehr neue Cruiseliner bestellt. Grosswerften wie die deutsche Meyer Gruppe entwickeln deshalb alternative Projekte.
Neues Meyer-Geschäftsfeld schwimmende Immobilien. ©Meyer Werft

Der Niedergang der deutschen MV Werften, Teil der konkursiten Genting Gruppe, oder die aktuellen Probleme der kroatischen Brodosplit-Werft (DIV-Gruppe) belegen, dass die goldenen Jahre für die Bauwerften von Kreuzfahrtschiffen vorläufig vorüber sind.

Das sieht auf den ersten Blick für die deutsche Meyer Gruppe, nebst der italienischen Fincantieri Gruppe und der französischen Chantiers de l’Atlantique eine der drei führenden europäischen Grosswerften für Kreuzfahrtschiffe, nicht so aus: Die Auftragslage ist für die nächsten Jahre noch gesichert.

Sowohl am Heim-Standort in Papenburg/D wie in Turku/FIN oder auf der Neptun Werft in Rostock/D wird an Neubauten und Aufträgen gearbeitet, die noch vor Corona bestellt wurden und bis 2025/26 zur Auslieferung kommen werden. Darunter sind neue Schiffe für Carnival, Silversea, TUI Cruises, Disney oder Royal Caribbean.

Doch seit Ausbruch der Pandemie haben die Reedereien kaum mehr neue Einheiten bestellt. Ausnahmen für Meyer sind ein 50’000-BRZ-Neubau für die japanische NYK und das Appartmentschiff Njord (81’000 BRZ). Für den Bau eines neuen Cruiseliners einer bereits existierenden Bauklasse muss man bis zur Auslieferung mit rund drei Jahren rechnen, für eine neue Bauklasse vier bis fünf Jahre.

Die mittelfristigen Perspektiven sind für die Meyer-Werften und ihre Zulieferer, beides überall wichtige überregionale Arbeitgeber, deshalb herausfordernd. Allein für Meyer sind rund 7000 Mitarbeitende direkt tätig. Auch wenn sich die Cruise-Industrie jetzt wieder von der Pandemie erholt, so ist vorläufig noch nicht mit einem ähnlich intensiven Neubau-Boom wie vor Corona zu rechnen.

Einstieg in schwimmende Immobilien

Es überrascht deshalb nicht, dass sich die nach wie vor familiengeführte Meyer Gruppe nach neuen Ideen, Projekten und Konzepten umsieht. Fündig wurde man etwa in einem Bereich, dem ein interessantes Potenzial zugeschrieben wird: Schwimmende Lösungen für den Wohnungsbau, Tourismus oder Infrastrukturen.

Kürzlich hat die Meyer Gruppe mit Admares Marine, dem Weltmarktführer für schwimmende Immobilien, ein Joint Venture abgeschlossen. Das neue Unternehmen nennt sich Meyer Floating Solutions, hat seinen Hauptsitz in Turku (Finnland) und konzentriert sich auf die Entwicklung und Herstellung hochwertiger schwimmender Immobilien.

Wie die Meyer Gruppe ausführt, bedeute das Joint Venture ein natürliches Zusatzgeschäft zu ihrem Kerngeschäft, dem Schiffbau. Man erwartet, dass der Bau von Immobilien auf dem Wasser exponentiell wachsen wird und völlig neue Möglichkeiten für qualitativ hochwertige Anlagen in wertvollen Lagen bietet.

Ein klimaneutrales Kreuzfahrtschiff
Projekt Necoleap ©Meyer Werft

Aber auch in ihrem Kerngeschäft blickt die Meyer Gruppe voraus und hat in Turku zusammen mit einem Partnernetzwerk die Leitung für ein spannendes neues Projekt übernommen. Unter dem Namen «Necoleap» soll bis 2025 das Konzept für ein klimaneutrales Kreuzfahrtschiff entwickelt werden, bis 2030 soll ebenfalls der Schiffbau klimaneutral erfolgen.

Das 100-Millionen-Euro-Projekt wird massgeblich über finnische Business- und Forschungsfonds mitfinanziert und von in diesem Sektor führenden Unternehmen, Instituten und Universitäten begleitet. Mit Necoleap soll zukunftsträchtiges Know-how entwickelt und ein Milliardenauftrag zum Bau eines entsprechenden Kreuzfahrtschiffs für die Turku-Werft (und somit Arbeitsplätze) gesichert werden.

Das Projekt konzentriert sich auf vier Hauptbereiche: Das Kreuzfahrtschiff selbst, den eigentlichen Schiffbau auf der Werft, die Entwicklung neuer, smarter Technologien und die Förderung von Fachexpertise. Meyer Turku soll damit an den grünen Wandel und die Anforderungen des Klimaschutzes herangeführt werden.

Weitere innovative Massnahmen

Die Meyer Gruppe stellt sich noch mit verschiedenen weitern Massnahmen und Initiativen den neuen Marktbedingungen. So wurde das Produktportfolio mit der neuen Abteilung Meyer Yachts erweitert. Und zusammen mit dem Unternehmen Fassmer hat die Meyer Gruppe kürzlich das Schiffbau-Ingenieurbüro Neptun Ship Design in Rostock übernommen.

Auf Wachstumskurs befindet sich zudem das schon 2019 gegründete Start-up Alfred Maritim, ein Think Tank für die Digitalisierungsthemen von Werften und Schiffen um Schiffbau und Schiffsbetrieb klimaneutral zu stellen.

Dank der Diversifizierung könne die Beschäftigung am Schiffsbaustandort Papenburg gesichert werden, hält die Meyer Werft fest. Dabei wurde bereits während Corona massiv im Bereich Engineering rekrutiert. Im Jahr 2020 musste die Meyer Gruppe einen hohen Verlust von rund 180 Mio. Euro verbuchen, konnte aber 90 Prozent der Mitarbeitenden an Bord halten.

Beat Eichenberger