Stefan Leser: «Es werden noch weitere VR-Mandate hinzukommen»

Stefan Leser ist zurück in der Schweiz und sitzt im Verwaltungsrat von Hotelplan.
Stefan Leser. ©TI

Stefan Leser hat den Untergang der Swissair als Geschäftsleitungsmitglied der Swissair-Tochter Atraxis miterlebt. Er hat 10 Jahre bei Kuoni in führender Position gearbeitet und war zuletzt in der Hotelbranche CEO der Langham Group mit Sitz in Hongkong. Jetzt hat er seine Zelte in Asien abgebrochen und ist in die Schweiz zurückgekehrt.

Seit dem ersten Juli ist er Verwaltungsrat bei Hotelplan. Kurt Schaad hat sich mit ihm getroffen.


Stefan Leser, wenn ich das richtig mitgekriegt habe, war der Gesundheitszustand Ihrer Eltern der Grund, die Zelte in Hongkong abzubrechen.

Vater und Mutter bedürfen der grösseren Nähe und dafür teile ich mich in diese Arbeit mit meinen beiden Brüdern. Da machst du dir natürlich auch Gedanken über das eigene Älterwerden.

Da überlegt man sich, wie gross ist der Wert, noch ein Jahr oder mehr einen spannenden Job zu machen oder ob es nicht besser ist, jetzt den Fokus auf etwas anderes zu legen – und deshalb ist der Fokus jetzt auf der Familie.

Und Covid hat diesen Fokus noch verstärkt?

Covid hat ein anderes Modell verunmöglicht. Die andere Alternative wäre gewesen: drei Wochen Asien, zwei Wochen hier, aber das kannst du mit den jetzigen Quarantäneregeln einfach vergessen. Ich sehe nicht, dass sich gerade Asien in den nächsten zwölf Monaten verändert.

Die Diskussionen führen wir schon über ein Jahr: ab wann öffnet sich’s denn, ab wann lockert sich’s denn? Und Hongkong hat natürlich über die baulichen Strukturen extrem Angst, dass sich mit dem verdichteten Bauen mit den Hochhäusern und den kleinen Wohnungen die Pandemie weiter ausbreiten kann. Da habe ich für strickte Massnahmen ein gewisses Verständnis und gleichzeitig hat das auch zu einem zögerlichen Impfverhalten geführt.

Da habe ich auch schon harte Diskussionen mit meinen Mitarbeitenden führen müssen. Entweder Infektion haben oder geimpft werden, ansonsten werden wir ewig in einem solch geschlossenen Zustand bleiben. In den ersten 12 bis 14 Monaten Covid waren wir in Asien sicherlich in einer privilegierten Situation. Wir hatten ja fast keine Einschränkungen. Wir hatten nie einen Tag geschlossene Restaurants, nie geschlossene Geschäfte. Wir hatten von Tag eins an eine extrem hohe Disziplin, was Masken und Hygiene betrifft.

Das Alter von 54 ist ein guter Zeitpunkt für einen neuen Lebensabschnitt – unter Einschluss der Rückbesinnung, was man inzwischen getan hat.

Das ist definitiv so. Prägend ist sicherlich die Situation der Eltern. Die sind 30 Jahre älter als ich, aber dreissig Jahre sind nicht wahnsinnig lang. Ich weiss noch, als ich meinen ersten Vertrag bei Kuoni unterschrieben habe, war das Pensionsalter 55, was ich schon damals unglaublich früh fand. Das hat sich dann geändert auf 58 und dann noch weiter. Wenn sich dann dein Leben weiterentwickelt, dann sammelst du auch mehr Lebenserfahrung. Das hilft dir, einzuordnen.

Wie hat das überhaupt angefangen mit der Reisebranche?

Ich bin in der Nähe von Würzburg aufgewachsen und habe in Kempten Touristik studiert. Während dem Studium hatte ich bei einem Reiseveranstalter in Bremen gearbeitet. Ein Spezialist für Surf- und Skireisen. Dann ging ich in die USA für die ersten MBA-Kurse und ging während dieser Zeit zurück zu dem Reiseveranstalter, der mit grossen Schwierigkeiten nach dem ersten Golfkrieg zu kämpfen hatte. Wir hatten viele Ziele am roten Meer. Und dann hat es sich so ergeben, dass ich den Reiseveranstalter relativ jung und naiv gekauft hab.

Woher kam das Geld?

Geliehen von einem Freund, der an mich geglaubt hat. 100’000 Franken. Das hätte auch in die Hose gehen können. Für mich ein unglaublich hoher Betrag, von dem ich mir damals nicht vorstellen konnte, ihn zurückzuzahlen. Dann haben wir gesehen, dass der Erfolg nur mit einem Verkauf möglich ist und so haben wir ein paar Jahre später an einen Reiseveranstalter in München weiterverkauft. Da war ich 28. Aber zum sinnvoll älter werden habe ich dann in Georgia an der Augusta State University mein MBA beendet.

Mit einem gut gefüllten Portemonnaie

Mit gutem Geld, was ein Stück weit auch unabhängig macht, dass man den Leuten nicht nach dem Mund reden muss. Eines der Hauptlearnings jener Zeit. Dann habe ich mich auf einer der ersten Online Job-Plattformen bei einer Beratungsorganisation in Zürich beworben.

Aber wenn du schon einmal ein Unternehmen geführt hast, dann ist der Beratungsjob nicht unbedingt erfüllend. Nach einem Jahr kam dann ein Anruf von Atraxis, von der Swissair Group. Atraxis war ein Anbieter von Informatik-Lösungen für die Flugindustrie. Da bin ich Ende 98, Anfang 99 in die Geschäftsleitung gekommen mit dem Auftrag, Marketing- und Sales-Strukturen aufzubauen.

Das war zu «Hunter»-Zeiten?

Ja, da hatte ich auch mit Philipp Bruggisser zu tun. Ich fand ihn total faszinierend. Unglaublich intelligent, unglaublich wenig Ego. Auf die Sache fokussiert, extrem stark im Kopf. Das Problem war, dass da keiner war, der ihm zu widersprechen wagte, oder aber dann gegangen ist. Als CEO hast du einen extrem einsamen Job und das Learning aus jener Zeit war, dass man immer jemanden braucht, der dir den Spiegel vorhalten kann.

Ich bin dann als Teil der Masse übergegangen an EDS, die die Assets von Atraxis gekauft hatten. Wir waren Objekt und Verkäufer in einem. Aufgrund meiner unternehmerischen Tätigkeit war ich Liquiditätsmanagement gewohnt. Also ich wusste genau, wie es aussieht, ohne Geld unterwegs zu sein. Und eigentlich hätten wir die Bücher deponieren sollen. Aber wir waren so im Zentrum drin.

Wenn wir jetzt nach Bülach gegangen wären und die Bücher deponiert hätten, dann wären Airports und Flieger anderer Gesellschaften stehengeblieben. Vieles hätte weltweit nicht mehr funktioniert. Aber diesen Entscheid wollte niemand treffen. Im Rückspiegel war das extrem spannend. Damals war’s alles andere als angenehm.

Dann war irgendwann der Verkaufsprozess an EDS durch. Ein völlig anderes Umfeld, eine amerikanische Firma, ein börsenkotiertes Unternehmen, 140’000 Mitarbeiter. Du weisst nix. Du wirst auch so betrachtet, als wenn du nix weisst. Und dann ist es so wie immer im Berufsleben: es kommt auf die Personen an, die mit dir arbeiten wollen.

Im ersten Job hat der Eigentümer etwas in mir gesehen, bei Atraxis war es Armin Meier, der mich mit nur 32 Jahren in die Unternehmensleitung geholt hat und bei EDS war es Jim Dullum, der mir Vertrauen schenkte und irgendwann habe ich Zentraleuropa kommerziell geleitet. Und dann ist der Armin Meier zu Kuoni gewechselt und hat sich an mich erinnert und so bin ich dann zurück in die Reisebranche gekommen.

Die Kuoni-Geschichte ist hinlänglich dokumentiert. Was bleibt Ihnen aus der Distanz betrachtet?

Rückblickend ist vieles einfacher. Schein und Sein konnten extrem schwer unterschieden werden. 2005 war Internet noch kein grosses Thema, es war ein Wurmfortsatz von den Grössenordnungen her. Wir haben Diskussionen geführt mit Playern, die heute marktbeherrschend sind, die wir damals nie so eingeschätzt haben, dass sie mal gross werden würden wie Booking.

Es gab andere, von denen wir sagten, dass sie nie verschwinden werden, wie Travelocity, die heute irrelevant sind. Mit der Finanzkrise 2008/2009 hat sich die Dynamik völlig verändert, gerade auch, was das Internet betrifft.

Sie haben mal gesagt: wir, Sie eingeschlossen, waren zu langsam

Das stimmt, gesehen aus dem Wissen, das du heute hast. Und Kuoni war ein börsenkotiertes Unternehmen, was nach Transparenz verlangt hat. Bei gewissen Themen wären schnellere und radikalere Entscheide deutlich besser gewesen.

Dann haben Sie sich für den Posten des Konzernchefs bei Kuoni beworben

Der damalige VRP kam im Frühjahr auf mich zu und sagte, dass ich für die Nachfolge von Peter Rothwell für den VR der geeignete interne Kandidat wäre. Natürlich wollte ich den Job, aber dann hat sich die ganze Sache hingezogen.

Als CEO, vor allem auch aus interner Position, brauchst du vom VR einen gewissen Vertrauensvorschuss und als die für die Nomination so lange gebraucht haben, war für mich die Sache im November gelaufen. Die Botschaft des VR, betreffend meiner Person, war, dass man bei mir nicht sicher war. Deshalb habe ich die Kandidatur zurückgezogen. Sie haben dann im März den Peter Meier ernannt und das war dann für mich der Zeitpunkt, auf Ende Jahr zu gehen

Wie weit waren Sie im Ego getroffen?

Du bist immer getroffen, wenn man sich nicht für Dich entscheidet. Ich habe heute noch die eine A 4-Seite, auf der ich dem VR geschrieben habe, was man machen müsste und sehe heute, dass es ziemlich richtig gewesen wäre. Aber Recht bekommen ist wichtig und nicht Recht haben. Und ich habe nicht Recht bekommen. Und es wäre völlig falsch zu sagen, dass einen das nicht ärgert. Wenn du dich zur Verfügung stellst, dann musst du den Anspruch haben zu gewinnen. Das war schon meine Einstellung, als ich noch Leistungssport betrieben habe.

Nachträglich betrachtet: war es ein guter Entscheid zu gehen?

War es definitiv. In der Konstellation VR/CEO hätte es permanent Konflikte gegeben. Ich bin schon einer, der seine Meinung sagt. Über Diskurs und unterschiedliche Meinungen kommt hoffentlich eine bessere Lösung heraus. Das wäre hier nicht der Fall gewesen.

Sie sind ja jetzt im Verwaltungsrat von Hotelplan und tragen da einen Teil der Verantwortung

Das ist zuerst einmal für mich eine persönliche Anerkennung, dass man das Gefühl hat, ich könnte einen Wert beitragen. Ich glaube ich habe den Vorteil, dass ich beide Seiten kenne. Dass ich die operativen Notwendigkeiten und Zwänge kenne und auf der anderen Seite mit vielen Verwaltungsräten zusammengearbeitet habe.

Wenn ein aktiver VR in der Schweiz mit hohem KnowHow besetzt ist und sich in seiner Rolle als nicht operativ versteht, kann er einen hohen Nutzen für das Unternehmen bringen. Es soll keine Abnickveranstaltung sein, aber auch keine, die das Management lähmt. Es ist weniger die Rolle, als die Art und Weise, wie der VR besetzt und gelebt wird, entscheidend.

Dazu kommt, dass sich die Branche im Umbruch befindet und sich zum Teil auch neu erfinden muss.

Heute haben wir ganz andere Ausgangslagen als zu meinen Kuoni-Zeiten und mit Covid haben wir eine Sondersituation, wo viele Themen erstmal auf Null gesetzt worden sind. Und keiner weiss, wie es denn in zwei, drei Jahren aussieht.

Und es gibt Firmen wie Booking.com, die heute eine ungeheure Marktmacht haben

Selbst wenn wir mit Booking.com irgendetwas gemacht hätten: ich glaube nicht, dass wir in der Schweiz die Mentalität haben, um zuerst durch ein Milliardenloch hindurchzugehen, um dann eine marktbeherrschende Stellung zu erreichen. Man muss auch immer die Investorenmentalität im Blick haben.

Das habe ich jetzt auch bei der Langham Gruppe in Hongkong gesehen. Das ist ein eher konservativer Investor. Da hiess es nicht, wir machen jetzt erst mal grossartige Anschubverluste, um eventuell später einen grossen Gewinn zu realisieren. Das ist nicht richtig oder falsch, man muss nur sehen, welchen Charakter ein Unternehmen hat und in welchem Kontext man da seine Entscheidungen treffen kann.

Sie haben an verschiedensten Orten mit unterschiedlichsten Kulturen Lebenserfahrung sammeln können. Was sind daraus folgend die jetzigen Zielsetzungen?

Das wichtigste für mich ist: sinnvoll engagiert zu sein. Das ist das, was ich suche. Ob in einem Verwaltungsrat oder in einer Führungsposition spielt eigentlich keine grosse Rolle. Das hängt dann wirklich vom Umfeld ab. Der Vorteil, in relativ jungen Jahren Unternehmer gewesen zu sein und auch Glück gehabt zu haben, hat mir die Freiheit gegeben zu wählen, für wen ich denn arbeiten will. Was ein unfassbares Glück ist. Was viele Menschen da draussen nicht haben und was ich auch immer schätzen werde.

Wie motiviert man seine Mitarbeitenden in Zeiten grosser Veränderungen?

Veränderung in einem bestimmten Klima birgt die Gefahr, dass es Angst mit sich bringt. Das heisst, es beginnt bei mir mit dem Klima, das in einer Unternehmung sein muss. Wenn ich ein Klima, eine Kultur schaffe, in der klar ist, dass wir versuchen, mit dieser Veränderung proaktiv umzugehen und darüber zu reden, was die Chancen und was die Risiken sind, dann nimmt man einen Teil der Angst weg.

Veränderung ist immer mit Unsicherheit verbunden. Der Umgang damit ist von Mensch zu Mensch verschieden. Es ist legitim, sich einen Job zu suchen, der Veränderungen nicht oder nur wenig ausgesetzt ist und eine grössere Sicherheit mit sich bringt. Wenn einer heute in die Reisebranche geht und mit 20 meint, dass er denselben Job auch noch mit 60 macht, dann wird es nicht so sein. In einer Verwaltung zu arbeiten ist diesbezüglich sicher einfacher. Wichtig ist, dass der Job dem Lebensplan entspricht.

Wenn ich das alles «zusammenzähle», was heisst das jetzt für Sie für Ihre Zukunft?

Keine Ahnung.

(Lachen) Wenn ich vergleiche: die Wohnung im 45. Stock in Hongkong und jetzt ein Domizil am Sihlsee. Das ist nicht nur geografisch ein Riesensprung.

Eine Gemeinsamkeit gibt es: beide haben wahnsinnig tolle Aussichten. Ansonsten, da haben Sie recht, gibt es nicht viele Gemeinsamkeiten.

Andersherum analysiert: Sie haben das Privileg, sich Zeit zu nehmen, um zu schauen, wie es mit Ihnen weitergehen soll. Der Job als VR bei HP ist ja kein Hundertprozentjob.

Es werden noch weitere VR-Mandate hinzukommen. Und sonst gibt’s auch noch weitere Jobs. Ich habe die Familie, das ist ein Stückweit ein Job, dann habe ich Investitionen, die ich getätigt habe, die für die Altersversorgung wichtig sind. Ich bin investiert in Themen, wo ich entweder das Thema verstehe oder den Menschen vertraue, die dahinterstehen. Ich bin beispielsweise in ein Startup investiert, das sich nicht mit Krypto-Währungen aber mit Krypto-Transaktionen beschäftigt. Ich verstehe von dem Thema gar nichts. Ich finde aber das Team und denjenigen der das macht total spannend.

Sehnsucht nach eine Führungsrolle?

Da müssten die Umstände ausserordentlich gut stimmen. Das hängt vor allem mit der Situation meiner Eltern zusammen. Es kommen viele Leute aus dem Headhunterbereich auf mich zu, aber das hat definitiv keine Priorität.

Eine glücklich privilegierte Position

Absolut. Und ich weiss es. Ich muss mich nicht über die Rolle definieren. Ich habe kein Ausgabenniveau, das ein riesige Einkommen nötig macht. Und ich definiere mich nicht darüber, dass das Wort CEO auf meiner Visitenkarte steht. Ich bin ja zur Zeit auch noch der Langham Gruppe verbunden, weil der Eigentümer mich gefragt hat, als Senior Adviser für Europa und den Nahen Osten tätig zu sein.

(Interview: Kurt Schaad)