Swiss-Flugplanung: «Normalität kommt frühestens 2024»

Swiss-Experten geben Auskunft zur Netzwerk- und Flugbetriebsplanung. Der Winterflugplan 2020/21 – vorgesehen sind noch 30% der Vorjahreskapazität – wird am kommenden 29.9. veröffentlicht.
Die Swiss-Macher: Oliver Buchhofer (Chef Flugbetrieb, links) und Michael Trestl (Chef Netzwerkplanung). © TI

Der ehemalige Edelweiss-Manager (bis März 2017), Dr. Michael Trestl, ist seit zwei Jahren als Senior Director Head of Network Management der Swiss tätig und für die gesamte Netzwerk-Planung verantwortlich. Zusammen mit Oliver Buchhofer, dem Head of Flight Operations, hat er vor den Medien in einem Hintergrund-Expertengespräch die grossen Schwierigkeiten aufgezeigt, mit welchen die Swiss in Corona-Zeiten konfrontiert ist.

Die Airline befinde sich in der sogenannten Restart-Phase, in der das Streckennetz sukzessive wieder um die ursprünglich angeflogenen Destinationen erweitert und der Flugbetrieb entsprechend aufgebaut werden soll. «Oberstes Ziel ist es, unseren Fluggästen einen möglichst verbindlichen und attraktiven Flugplan anzubieten», sagt Trestl (36). Immer wechselnde Einreisebestimmungen, behördliche Auflagen, aber auch die Verfügbarkeit von Besatzungen und geeignetem Fluggerät seien nur einige der zahlreichen Herausforderungen, welchen sich Swiss täglich stellen müsse. Da unterscheidet sich die Airline nicht von der Reisebranche, welche die gleichen Probleme mit der Covid-19-Krise kennt.

Langstrecken mit Fracht statt Passagieren

Die Frage, welche sowohl die Swiss – und auch Edelweiss Air – und die Reisebranche umtreibt, ist der lange Weg zurück zur Normalität. Die Flugplanung sei aus dem Gleichgewicht gefallen, attestiert Trestl. Kein Wunder ärgern sich die Fluggäste aus dem Business- wie auch aus dem Leisure-Sektor über den «unzuverlässigen, löchrigen» Flugplan.

Zu Beginn des Jahres 2020 war die unter einer Kapazitätserweiterung stehende Planung der Swiss (LX), über 100 Destinationen in mehr als 40 Ländern anzufliegen. Die LX konnte (oder musste) zwei B777, die Nummern 11 und 12, in Betrieb nehmen und wollte Washington und Osaka damit bedienen, einzig Osaka wurde dann einige Male in Pre-Corona-Zeiten noch angeflogen. Quasi über Nacht musste der Carrier seinen Flugbetrieb herunterfahren und anschliessend eine minimale Konnektivität für die Schweiz sicherstellen, im Mai hauptsächlich mit Europa-Flügen und einem Longhaul-Flug nach EWR (Newark).

Die Kapazitäten mussten in der Folge massiv reduziert werden, zeitweise standen über 90% der Flugzeuge am Boden, das Minus gegenüber der Planung betrug 97%. Bis Anfang Juli konnte die Swiss in Kooperation mit dem EDA 35 Repatriierungsflüge für 7400 Passagiere durchführen. Das kommerzielle Fiasko konnte in der Zeit bis Ende August die für die Swiss eher unübliche und nicht erwartete Nachfrage für Frachtflüge mildern: Auf 800 reinen Frachtflügen wurden 27’000 Tonnen Material transportiert. Bei drei Triple7-Maschinen wurden die Eco-Sitze ausgebaut um dort Fracht zu befördern und die verschiedenen Lieferketten für die Wirtschaft sicher zu stellen. Diverse Langstrecken wurden gemischt als Hybrid Fracht/Pax geflogen, so zum Beispiel Tokyo, Shanghai, Hongkong, Miami, Boston und San Francisco.

Der lange Weg zurück

Bis Ende Jahr betrug die Planung rund 40% der Pre-Corona-Zeit, für den Dezember wurden 50% prognostiziert. Weit gefehlt: Die beiden Swiss-Manager erleben seit August aufgrund der internationalen und schweizerischen Restriktionen einen regelrechten Rückschlag. Für September liegt nun deren Erwartung bei 30% der ursprünglichen Kapazität. Dies wird sich auch im vorgesehenen Winterflugplan 2020/21 auswirken, wo im Vorjahresvergleich gerade mal eine Kapazität von 30% eingeplant werden konnte.

«Der Ausblick ist unklar, der lange Weg zurück zur Normalität dürfte frühestens 2024 eintreffen», sagt der gebürtige Österreicher in LX-Diensten. Die Flugplanung erfodere ein hohes Mass an Flexibilität und sei von der Volatilität der Entwicklungen der Reisebeschränkungen, der Quarantänebestimmungen und der Risikolisten abhängig.

Die Kunden reagieren sehr verändert darauf: «Wir haben eine sehr hohe No-Show-Rate, viele Annullationen und extrem kurzfristige Neubuchungen», stellt Trestl fest. Normal sei die No-show-Rate weniger als 1%, auf dem Höhepunkt des Lockdown bei 80% und jetzt immer noch bei rund 20%. Neue Buchungen im Gegensatz zu den Stornierungen würden sich derzeit bei der Swiss eher stagnierend bis negativ entwickeln. «Der Wiederaufbau des Netzwerks kann nicht nach üblichen betriebswirtschaftlichen Zielen gesteuert werden, zumindest die variablen Kosten müssen gedeckt sein», so Trestl.

70% der Änderungen aufgrund der Reiserestriktionen

Auf die Frage, wie die Swiss ihre Flugplanung respektive die Kapazität des Flugsitzangebotes in Einklang mit der Nachfrage bringen will, muss Trestl anerkennen, dass konventionelle Planungsansätze derzeit nicht brauchbar sind. Sein Team prüfe Suchanfragen in Buchungskanälen und beobachte das Buchungsverhalten, das extrem volatil bleibe. «70% der Änderungen gibt es aufgrund der Reiserestriktionen und der negative Trend bei den Buchungen hält selbst nach Aufhebung der Quarantänepflicht an, wie das Beispiel Belgrad/Serbien zeigt.»

Auch der für die Swiss wichtige Hubverkehr ist betroffen: temporäre Anpassungen seien nötig um Verkehrsströme zu ermöglichen. Aktuell liege der Fokus auf dem Verkehr in die EU und selektiven Transferströmen. Die üblichen 6 Wellen pro Tag werden im neuen Winterflugplan auf 4 Wellen täglich verkürzt. Gerade im Winter mit einem hohem Business-Passagier-Anteil sei eine Reduktion der Nachfrage um 30% zu erwarten. Die neue Realität der Swiss bedeutet keine 100’000 Fluggäste pro Tag, sondern noch einige Tausend.

Im Flugbetrieb im September wurden gemäss dem aktiven Piloten Oliver Buchhofer, früher auch als Journalist tätig, bei den Langstrecken rund 380 von ursprünglich 1600 geplanten Flügen durchgeführt, also knapp ein Viertel. Bei den Kurzstrecken waren es rund ein Drittel. Kommerziell sieht es düster aus: vor Corona kassierte die Swiss CHF 3 Mio. pro Tag und jetzt gehen täglich CHF 1 Mio. verloren. 50 von 90 Kurzstreckenziele sind derzeit im Programm, bei den Langstrecken werden 15 von 29 Zielen angeboten.

Im Winter A220 statt A320

Die Swiss beschäftigt rund 1400 Piloten, betreibt aktuell 70 von insgesamt 90 Flugzeugen und will an dieser Zahl festhalten. Dies wird mit der unterschiedlichen Flugzeug-Nutzung unter der Woche begründet: Dienstag bis jeweils Donnerstag sei der Bedarf gering, danach schnellt es hoch. Sieben Maschinen sind derzeit «parked» und 13 längerfristig «stored».

Über den Winter wird die Kurzstrecken-Flotte der A320 ausser Betrieb genommen, da würden dann die kleineren A220 eingesetzt. Von der Helvetic Airways sind im langfristigen Wetlease drei von ursprünglich 10 geplanten Flugzeugen für die Swiss im Einsatz. Der Flugbetrieb erfordere eine starke Präsenz der verschiedenen Teams: Die abteilungsübergreifende Task Force komme immer noch zweimal wöchentlich für das Feedback und die Durchführung des Flugbetriebs zusammen, sagt Buchhofer. (TI)