Was können die Reisebüros vom neuen ERV-Chef erwarten?

Walter Wattinger hat Anfang 2023 die Leitung der Europäischen Reiseversicherung ERV. Im Gespräch mit TRAVEL INSIDE äussert er sich zum Vertrieb via Reisebranche.
Walter Wattinger, CEO der ERV, Marktführer bei den Reiseversicherungen. ©TRAVEL INSIDE

Walter Wattinger, vom ERV-Versicherungsvolumen sind noch 50% dem klassischen Reiseversicherungs-Geschäft zuzuordnen. Wie viel davon ist Direktvertrieb und wie viel wird über die Reisebranche verkauft?

Weit über 50 Prozent wird immer noch über die TO vertrieben. Wir haben mit DER Touristik, MTCH, der Hotelplan Gruppe, Interhome und Globetrotter viele grosse und wichtige Kunden, die ein grosser Teil der Neuabschlüsse für ERV generieren. Wir sehen aber auch ein Wachstum im Direktvertrieb, also über unsere Website.

Wie ist die Tendenz?

Beide Kanäle wachsen ähnlich, heisst auch das Verhältnis bleibt in etwa gleich.

Wie werden die kleineren Unternehmen von ERV betreut?

Wir haben ein sogenanntes Key Account Management und ein Account Management. Das Key Account Management betreut unsere Schlüsselkunden, also die Grossen. Das Account Management ist in drei Regionen unterteilt. In jeder Region ist ein Account Manager zuständig für alle Produkte. Und diese besuchen und betreuen die kleineren Reisebüros oder Velohändler usw.

Was ist mit unabhängigen Vermittlern, die innerhalb einer Gruppierung wie TPS sind?

Diese Broker werden über das Key Account Management oder die Leiterin Vertrieb, Petra Eggimann, betreut.

Wie ist der Verteilschlüssel bei Jahres- und Einzelreiseversicherungen?

Es werden immer mehr Jahresversicherungen verkauft, das macht auch Sinn, weil der gewöhnliche Schweizer deutlich mehr als einmal pro Jahr in die Ferien geht. Bei zwei und mehr Reisen pro Jahr lohnt sich diese Jahresversicherung. Auch für Familien, mit unseren Familienangeboten sind die Jahresversicherungen viel attraktiver. Ungefähr sind zwei Drittel Jahresreiseversicherungen und ein Drittel Einzelreiseversicherungen.

Wie hat sich die Situation der Schadenfälle entwickelt?

Omikron haben wir im ersten und zweiten Quartal von 2022 massiv gespürt. Das kam auch für uns etwas unerwartet. Wir hatten im ersten Halbjahr 2022 etwa doppelt so viele Schadenfälle (Annullation) wie im Vorjahr. Reisezwischenfälle haben sich in diesem Zeitraum gar verdreifacht. Das hat zu deutlich höheren Kosten geführt und das haben wir auch im Abschluss gespürt.

Das heisst? Negativer Abschluss?

Nein, das nicht. Aber wir haben es gespürt, aber in Bedrängnis hat es uns nicht gebracht. Wir haben eine starke und saubere Bilanz – das ist unser Geschäft, welches gerade in den letzten Jahren dynamischer wurde. Seit der zweiten Jahreshälfte 2022 nimmt die Anzahl Schadenfälle deutlich ab, weil die Covid-19-Situation nicht mehr herrscht. Das ist auch gut für die Marge. Nicht gut für die Marge ist die Inflation, die wir ebenfalls spüren.

Inwiefern?

Pauschalreisen werden aus dem Ausland eingekauft. Das sind Leistungen, die aus dem Ausland eingekauft werden und dann von den grossen Reiseveranstaltern gebündelt werden. Wir haben zwar einen starken Schweizer Franken, wo ein Teil dieser importierten Inflation dämpft, aber wir spüren dennoch, dass die durchschnittlichen Schadenkosten einige Prozente gestiegen sind. Und das hat natürlich einen negativen Impact auf die Marge.

Das heisst der neue ERV-Chef hebt die Preise an?

Am 25. Januar haben wir unsere neue Travel-Produktelandschaft lanciert. Da wurden einige Deckungsänderungen vorgenommen. Wir haben zum Beispiel den Selbstbehalt rausgenommen. Wir haben auch die Deckungssummen erhöht. Aber wir mussten auch eine leichte Preisanpassung vornehmen, aufgrund der erweiterten Deckungen und Leistungsumfänge und auch ein bisschen wegen der Inflation. Beispielsweise wurde der Preis der Jahresversicherung «Multi Trip Clever» von 123 auf 134 Franken angepasst.

Die Provisionen steigen dementsprechend auch an, oder?

Der Provisionssatz ist in Prozent der Prämien und auf jeden Kunden individuell aufgrund von Volumen usw. ausgehandelt, daher gibt es auch dort eine kleine Anpassung.

Wie waren die Reaktionen auf diese Preisanpassungen?

Das beobachten wir sehr genau und wir durften feststellen, dass dies überhaupt keinen Einfluss hatte. Die Jahresversicherungs-Verlängerungs-Quote ist gleichgeblieben. Von Kundenseite, ob Endkunden oder Reisebüros, gab es auch kein Feedback. Das Preis-/Leistungsverhältnis stimmt – das zeigt auch eine kürzlich durchgeführte Untersuchung des Schweizer Instituts für Qualitätstests SIQT, welche die ERV nicht nur zum Kunden-Champion 2022 krönte, sondern auch in der Kategorie Preis/Leistung als Testsieger auszeichnete.

Wenn die Versicherung nicht zahlt, verärgert dies die Kundschaft. Verwenden Sie für die Ablehnung jeweils ein Standardschreiben?

Grundsätzlich suchen wir immer den Austausch, auch wenn wir eine Ablehnung kommunizieren müssen. Das Wichtigste ist, dass der Kunde versteht, weshalb wir etwas nicht bezahlen, und das braucht in gewissen Fällen eine persönliche Erklärung. Wenn die Begründung aufgezeigt werden kann, ist es in den allermeisten Fällen kein Problem.

Wir verwenden Standardschreiben, aber in vielen Fällen erfassen die Mitarbeitenden einen persönlichen Text. Das wird viel genutzt und ist mir auch sehr wichtig. Es gibt auch hin und wieder Diskussionen mit Reisebüros, dort ist es sehr wichtig, dass die Key Account und Account Manager die Reiseprofis betreuen und aufzeigen, weshalb etwas nicht gedeckt wird. Der Austausch ist immens wichtig. Reiseprofis sind nicht automatisch Versicherungsprofis, deshalb müssen wir sie schulen, so dass sie auch die richtige Erwartungshaltung verkaufen.

Bilden Sie Reiseprofis auch aktiv aus?

Ja, wir händigen Unterlagen aus, besuchen und schulen die Reiseprofis. Bei der Umstellung Ende Januar haben wir vorgängig auch mit grosser Beteiligung Online-Schulungen durchgeführt. Kommunikation ist die Lösung. Uns ist es wichtig, dass jeder und jede in den Filialen versteht, wie der Deckungsumfang unserer Produkte aussieht und das Wissen auch intern im Reisebüro weitergegeben wird, so dass unsere Produkte richtig verkauft werden.

Interview: Yannick Suter/Angelo Heuberger