Wird Albanien die neue Trend-Destination?

Marco Wipfli, Gründer und Inhaber von Meersicht Travel, schildert für TI seine Eindrücke durch das aufstrebende Balkanland.
©Marco Wipfli

Während meiner Albanien-Reise im Juli hatte ich auf meine Facebook-Posts äusserst viele Reaktionen erhalten: «Ist das echt?», «ist das wirklich so schön?», «sieht ja traumhaft aus!». Man hat das Gefühl, als hätte ich ein neues Paradies am Mittelmeer entdeckt. So einfach ist es aber nicht: Jeder Albanienreisende braucht einen grossen Koffer, gepackt mit Toleranz, Offenheit für Neues und eine Portion Pioniergeist. Albanien ist zwar in einem extrem schnellen Wandel, aber die Regierung schafft es nicht, dieser rasanten Geschwindigkeit überall Rechnung zu tragen. Seit meinem ersten Besuch 2007 hat sich zwar schon sehr viel zum Positiven, aus meiner Sicht aber auch ein paar Dinge zum Negativen, verändert.

TAUSENDE BUNKER, überall über das ganze Land verteilt, sind stumme Zeugen aus der Zeit des Diktators Enver Hoxha, der von 1944 bis 1985 das Land regierte. Intellektuelle wurden verfolgt, Religion wurde verboten und die Menschen wurden komplett von der Umwelt abgeschirmt. Für mich ist es immer wieder faszinierend, diese Geschichten aus der Zeit vor 1991 zu hören. So zum Beispiel von einer Frau, welche mir in Gjirokastra erzählt hatte, dass sie am Strand eine Coca- Cola-Dose gefunden hätte, welche vom nahen Italien angespült wurde und zur Attraktion ihres Hauses wurde – man kannte zu dieser Zeit keine Dosen in Albanien. Ein Mann aus Tirana erzählte mir Geschichten über den einzigen Fernsehsender des Landes, welcher nur über hungernde Kinder aus Afrika berichtete, um der Bevölkerung zu suggerieren, dass sie es in Albanien besser haben.

So hat jeder in diesem Land eine Geschichte zu erzählen. Auf jeden Fall begegnet man in Albanien den unterschiedlichsten Menschen, aber alle haben eines gemeinsam: Neugier auf Fremde und eine äusserst sympathische und freundliche Art, ihm gegenüberzutreten. Natürlich findet man auch die Nachwehen des Kommunismus. So zum Beispiel das Auto, welches bei den Albanern einen extrem hohen Stellenwert hat; was kaum zu übersehen ist. Und die Religion spielt in Albanien, im Gegensatz zum Kosovo, nach wie vor keine wichtige Rolle.

MEINE DIESJÄHRIGE REISE HABE ICH auf der Insel Korfu begonnen. Da es momentan noch keine Direktflüge aus der Schweiz nach Albanien gibt und Korfu nur gerade 30 Fährminuten von Saranda im Süden Albaniens entfernt ist, ist dies die kürzeste Anreise für den Süden Albaniens. Saranda ist nicht wirklich eine Schönheit, und da ich dies ja bereits wusste, war ich dieses Mal positiv überrascht. Zwar ist es eine Touristenhochburg, aber es gibt inzwischen nette kleine Hotels, gute Restaurants, eine Strandpromenade und schöne Strände. Wenn jemand genau das sucht und günstig Badeferien machen möchte, wieso nicht Saranda?

Da ich von den Stränden Albaniens Verschiedenes gehört habe, wollte ich sie nun mit eigenen Augen sehen. Somit habe ich mich auf den Weg gemacht und habe von Ksamil im Süden bis hin zu Shengjin im Norden praktisch jeden Strand besucht. Wirklich Traumstrände habe ich am Ionischen Meer, an der Albanischen Riviera, gefunden. Von einsamen Buchten bis hin zu langen Kiesstränden und vor allem türkisfarbenes Meer mit kristallklarem Wasser.

©Marco Wipfli

Bei Vlora beginnen das Adriatische Meer und die Sandstrände. Umso nördlicher die Strände, umso mehr Leute, umso unattraktiver. Die Albanische Riviera hat dafür eine andere Problematik: den Bauboom. Als ich 2007 die Albanische Riviera zum ersten Mal bereiste, gab es ausser in Saranda nur eine Handvoll kleine Unterkünfte; und nur ein Hotel in Himare. Elf Jahre später gleicht die Küste einer Baustelle, überall werden Hotelkomplexe und Resorts gebaut und in zehn Jahren wird man diese Küste nicht wiedererkennen. Ich hoffe für Albanien, dass ein Umdenken in Richtung Nachhaltigkeit stattfindet, sodass diese traumhafte Küste ein Traum bleiben wird.

Sowieso, Albanien besteht ganz und gar nicht «nur» aus Stränden, sondern verfügt über eine grosse Geschichte, über die UNESCO-Weltkulturerbe- Stätten Butrint, Berat und Gjirokastra, über Sehenswürdigkeiten wie das grösste Amphitheater der Balkanhalbinsel in Durres oder die antike Stadt Apollonia. Speziell in die pittoresken Stadtzentren von Berat und Gjirokastra habe ich mich verliebt und Tirana muss man einfach erlebt haben. Eine bunte Mischung aus Alt und Neu, mediterran, italienisch, griechisch, eine Stadt mit vielen jungen, schönen Menschen. Ich kann nicht behaupten, Tirana ist eine «Beauty», aber Tirana ist faszinierend!

Auf keinen Fall verpassen darf man das Trendquartier «Block» mit den vielen Restaurants und Bars. Als Abschluss meiner Reise besuchte ich das Restaurant Mullixhiu in Tirana. Nachdem ein amerikanisches Magazin 2017 dieses Restaurant zu den zehn besten Restaurants Europas gewählt hatte, musste ich als Gourmet und Liebhaber lokaler Küchen dorthin pilgern.

Obwohl der 33-jährige Bledar Kola über keinen Michelin-Stern verfügt, ist er mitten in der Slow-Food-Bewegung und im Reich der Spitzenköche angekommen. Die Speisekarte besteht aus autochthonen albanischen Gerichten. Ein Besuch lohnt sich!

 


 

©Marco Wipfli

Marco Wipfli

Der Urner gründete 1995 Unique Travel und avancierte zur ersten Adresse für Ferien an der östlichen Adria. 2008 verkaufte er das Unternehmen (später Adria365) an Kuoni und wechselte die Branche: Er wurde Geschäftsführer von Lägerebräu. Ende 2016 kehrte Wipfli in die Reisebranche zurück und gründete Meersicht Travel & Lifestyle – ein Spezialist für Kroatien, Slowenien, Serbien, Montenegro und Albanien. Insbesondere Albanien wird im nächsten Katalog ausgebaut: So wird Meersicht 2019 eine Rundreise zum Thema Nachhaltigkeit in Albanien durchführen, geführt von einem Schweizer, welcher in Albanien lebt.

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