«PRG regelt Auftragsverhältnis von Kunde und Reisebüro nicht» (Ausgabe 2006-49)

Dr. Rolf Kuhn, der Anwalt hinter dem Bundesgerichtsentscheid, der die Gebühren-Debatte in der Reisebranche ausgelöst hat, äussert seine Sicht der Dinge.

Der Saldo-Artikel vom 22.11.2006, der den Reisebüros unterstellt, widerrechtlich Kommissionsgelder zu kassieren, hat in der Branche für Aufruhr gesorgt (TI berichtete). Derzeit klären verschiedene Anwälte im Auftrag des SRV die Sachlage ab.

Dr. Rolf Kuhn von Lutz Rechtsanwälte, Zürich, der das Urteil 4C.432/2005 vor Bundesgericht erstritten hat, welches der ganzen Diskussion zu Grunde liegt, erklärt gegenüber TRAVEL INSIDE seine Sicht der Dinge: «Das Bundesgericht hat im Entscheid auf das Auftragsrecht abgestellt.

Gemäss Art. 400 Abs. 1 OR muss ein Beauftragter dem Auftraggeber alles abliefern, was er im Zusammenhang mit der Ausführung des Auftrags erhält. Darunter fallen auch Zuwendungen Dritter, welche der Beauftragte erhalten hat. Der Sinn dieser Regelung ist derjenige, dass der Beauftragte lediglich ein Honorar vom Auftraggeber erhält und keine anderen Zuwendungen von Dritten. Erhält der Beauftragte Zuwendungen von Dritten, so besteht die Gefahr, dass er die Interessen des Auftraggebers vernachlässigt.

Mit anderen Worten besteht die Gefahr eines Interessenkonflikts. Um einen solchen grundsätzlich zu vermeiden, soll ausgeschlossen werden, dass der Beauftragte solche Zuwendungen von Dritten behalten kann, es sei denn, der Auftraggeber stimme dem zu.»
Die Grundfrage lautet: Lässt sich all dies auf die Reisebranche anwenden? Kuhn meint: «Der Bundesgerichtsentscheid drehte sich um einen Vermögensverwaltungsvertrag und hat deshalb an sich keine Berührungspunkte zur Reisebranche. Entscheidend sind aber die Ausführungen des Bundesgerichts zum Auftragsrecht. Dieses gilt für sämtliche Aufträge, unabhängig ob die Aufträge nun die Finanz- oder Reisebranche betreffen. Im Bereich des Reiserechts werden nun aber nicht nur Aufträge abgeschlossen, sondern Verträge verschiedenster Art.

Zudem kennt das schweizerische Recht mit dem Bundesgesetz über Pauschalreisen ein spezielles Gesetz, welches Regelungen enthält, die spezifisch die Reisebranche betreffen. Diese Regelungen sind zwingend und regeln gewisse Verträge nahezu abschliessend. Es gibt in der Reisebranche aber zumindest ein Vertragsverhältnis, welches als Auftrag qualifiziert werden kann: das Verhältnis zwischen Vermittler und Konsument. Das Pauschalreisegesetz (PRG) enthält zu diesem Verhältnis keine Bestimmungen, weshalb das Auftragsrecht zum Tragen kommt und damit grundsätzlich auch die Ablieferungspflicht.»

Kuhn meint, dass die Ablieferungspflicht im Zusammenhang mit einem Interessenkonflikt betrachtet werden muss – also beispielsweise wenn ein Reisebüro nur jene Reiseprodukte verkauft, an denen es am meisten verdient. «Ich bezweifle aber, dass sich an der bisher gängigen Praxis in den Reisebüros etwas ändert – da müsste schon ein Reisebüro von einem Kunden eingeklagt werden. Der Kunde müsste vom Reisebüro zunächst Auskunft über die erhaltenen Gelder erhalten, müsste nachweisen, dass es sich um einen Auftrag handelt und müsste zudem nachweisen, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen der Zuwendung und dem Auftrag gibt. Die genauen Rechtsverhältnisse hängen denn auch stark vom Einzelfall ab», so Kuhn.

Auf die Zusatzfrage, ob denn – falls Reisebüros nicht im Sinne des Auftragsrechts geschäften – inzwischen nicht das Gewohnheitsrecht gelte, meint Kuhn aber noch: «Das ist ausgeschlossen. Die Regelung von Art. 400 Abs. 1 OR steht so im Gesetz und gilt. Wenn sich gewisse Reisebüros nicht an das Gesetz halten würden, so würde dies nicht zu einer Änderung des Gesetzes führen.»
Die Kanzlei Lutz ist mit den Verhältnissen in der Reisebranche  vertraut: Dr. Rolf Kuhn betreute schon einige Reiserechts-Fälle. 

Jean-Claude Raemy