Retailing-Boom im Spätsommer (Ausgabe 2010-38)

Sehr guter Geschäftsgang im August/September macht die Rückgänge in den ersten beiden Quartalen weitgehend wett.
Das Buchungsbarometer der Reise-Treuhand AG wies für den Monat August ein Plus von 29,1 Prozent bei den teilnehmenden Schweizer Reisebüros auf. Erlebt die Branche derzeit einen Boom? 13 befragte Retailer sprechen allesamt von exzellenten Geschäften im August und September.

Der aktuelle Run auf Buchungen wird zumeist auf einen Nachholbedarf zurückgeführt, da zahlreiche Schweizer ihre Badeferienbuchung im Frühjahr aufgrund diverser Krisen (Vulkankrise, Thailand-Chaos etc.) aufgeschoben haben – der Aufschwung hätte sonst schon früher eingesetzt. Auch allgemein bessere Wirtschaftsdaten und die gesunkene Arbeitslosigkeit wirken sich positiv auf die Reisenachfrage aus, ebenso die Stärke des Franken gegenüber Euro, Dollar und Pfund.

Allerdings haben die erfreulichen letzten Wochen nicht bei allen Befragten denselben Einfluss auf das Gesamtjahr. Bei den meisten ist es sogar so, dass per Ende Geschäftsjahr nur der Vorjahreswert oder eine leichte Steigerung erwartet werden. Die Nettorenditen entwickeln sich recht unterschiedlich.

Bei den KMU gibt sich besonders Harry Beringer (Forchbahn) euphorisch: «Per Ende August sind wir 42% im Plus gegenüber Vorjahr. Das ganze Jahr läuft bereits sehr gut. Die Nettorendite steigt auch kräftig. Es wird ein absolutes Rekordjahr geben.»

Ebenfalls positiv äussert sich René Bättig (RMR): «Bei uns lief es schon die letzten beiden Jahre sehr gut und wir bauen beim Personal aus. Mich interessiert der Umsatz aber nur noch zweitrangig. Das A und O ist die Rentabilität pro Dossier. Und so ein Boom hilft, die Renditen zu verbessern.» Ähnlich klingt es bei Alex Bähler (Reisebörse LCC): «Sollte es so weitergehen, wäre es super. Jegliche Umsatzsteigerung ist aber nichts wert ohne entsprechende Nettorendite – daran arbeiten wir schon bei der Auswahl der Produkte und Leistungsträger.» Letzteres ist auch für Cyrill Zimmermann (Royal Reisen) entscheidend: «Unsere Umsätze 2010 werden im Rahmen von 2009 oder knapp darüber ausfallen. Die Nettorendite steigt nicht automatisch mit einem höheren Umsatz. Entscheidend sind ein optimaler Einkauf und eine gute Kostenkontrolle.»

Knecht Reisen bewegt sich ebenfalls auf Stand des Vorjahres. Dazu Rolf Gerber: «Wir gehen davon aus, dass wir bezüglich Umsatz und Rendite auf Stand Vorjahr abschliessen können. Dies natürlich unter der Voraussetzung, dass keine negativen und nicht beeinflussbaren Ereignisse auf uns zukommen.» Sandra Studer (Globetrotter) ist mit dem bisherigen Geschäft sehr zufrieden: «Wir hatten auch schon zu Beginn des Jahres Umsatzsteigerungen. Im August lag der Umsatz in den Filialen im zweistelligen Bereich im Plus. Wir glauben, dass sich die Umsätze weiterhin positiv entwickeln werden.» Dennoch werde die Nettorendite tendenziell leicht sinken, «weil auf den historisch tiefen Flugtarifen 2009 prozentual mehr Marge erzielt werden konnte als jetzt 2010, wo die Preise wieder angestiegen sind.»

Eine leichte Umsatz-Steigerung erwartet Martin Reber (Schär Reisen), doch «die Nettorendite bleibt in etwa gleich, da wir ein konsequentes Kosteninkasso praktizieren.» Bei Chrisway bewegen sich laut Jörg Waldvogel Nachfrage und Nettorendite in etwa auf dem Niveau des Vorjahres: «Wir bewegen uns beim Umsatz zurzeit im einstelligen Prozentbereich hinter dem Vorjahr, allerdings war 2009 sehr erfolgreich. Massgebend für unsere Branche ist jedoch weniger die momentane Situation – entscheidend wird sein, wie sich die Konsumstimmung zu Beginn des neuen Jahres entwickeln wird.»

Heinz Orschel (Destour) hofft: «Aktuell sind wir noch etwas hinter Vorjahr – holen jedoch stetig auf und hoffen, das Resultat von 2009 zu egalisieren, da wir ein gutes Vorjahr hatten.» Silvio Storchenegger (Lichtensteig) schliesslich erklärt: «Nach dem Rekordjahr 2008 konnten wir 2009 und 2010 die Umsätze halten. Eine Umsatzsteigerung erwarten wir nicht, die Nettorendite dürfte eher rückläufig sein. Wir schauen optimistisch ins Jahr 2011, sind uns aber bewusst, dass die TOs und Airlines die Kommissionsschraube langsam noch weiter anziehen werden.»

Jean-Claude Raemy

Zuversicht im Retailing der «Grossen»

Hotelplan-Vertriebschef Daniel Reinhart erklärt: «Die erfreulichen Vergleichszahlen verdeutlichen, dass der Buchungseingang Juni bis September 2009 sehr schlecht war. Die erhöhte Nachfrage der letzten Wochen wird dazu führen, dass das Gesamt-Retailing (Hotelplan, Travelhouse, Globus Reisen) das am 31. Oktober endende Geschäftsjahr 2010 umsatzmässig ziemlich auf Vorjahreshöhe abschliessen wird, obwohl wir 2009 zwei POS geschlossen haben. Renditemässig werden wir erfreulicherweise leicht höher sein, weil mehr Honorare und Gebühren einkassiert wurden und der Verkauf nochmals zugunsten des eigenen Touroperatings gesteuert werden konnte.»

Kuoni-Vertriebschef Gianni Moccetti verkündet seinerseits: «Wir sehen einen Zuwachs in unseren Reisebüros im zweistelligen Bereich. Nach 2009 erwarten wir 2010 wieder einen Anstieg der Nettorendite. Dieser Trend hält aber nur an, wenn nicht wieder äussere Einflüsse wie Turbulenzen an den Finanzmärkten oder grössere Naturereignisse einen negativen psychologischen Effekt auf die Kunden haben.»

Rainer Schenkel, CFO von TUI Suisse und in dieser Funktion verantwortlich für den Eigenvertrieb, erläutert: «Der Buchungsstand liegt deutlich über Vorjahr, vor allem die Perioden Oktober bis Dezember 2010 und der April 2011. Der Aufschwung hat die ganze Schweiz erfasst, regionale Unterschiede sind nicht auszumachen. Unser Geschäftsjahr 2009/10 ist noch von den schwachen Abreisemonaten Oktober bis Dezember 2009 geprägt. Betrachtet man ausschliesslich den Sommer 2010, rechnen wir im Vergleich zum Vorjahr mit einem Zuwachs von rund fünf Prozent. Wir gehen davon aus, dass der aktuelle Aufwärtstrend anhält. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir das Buchungsniveau wie vor der Krise erst annähernd erreicht haben.»

JCR