«Airlinevertrieb wird zu einem neuen Spiel» (Ausgabe 2015-28)

Swiss-CCO Markus Binkert nimmt Stellung zur neuen Distribution Cost Charge und zur Zukunft des Flugticketvertriebs.

Herr Binkert, die Branche hat heftig auf die Ankündigung der DCC reagiert. Wie haben Sie die Reaktionen erlebt?

Im Rahmen der Erwartungen: Sie waren heftig, aber das ist nachvollziehbar. Erste Massnahmen wie etwa die Abmeldung von unseren Workshops bedaure ich, denn dort investieren wir ja in den Trade und die Mitarbeiter. Falls wirklich juristische Massnahmen oder Boykotte durchgesetzt werden, würden wir dies ebenfalls bedauern. Wir wollen lieber auf konstruktive Gespräche setzen, das ist für alle zielführender. Denn der Kunde wird sich den Weg zu seinem gewünschten Produkt auch weiterhin suchen und finden.

Am 29. Juni fand auf CEO-Ebene ein solcher Austausch zwischen der Swiss -und der Branche statt. Was kam heraus?

Wir können nicht über die besprochenen Inhalte reden. Klar ist aber, dass die Fakten nun auf dem Tisch sind: Der Airlinevertrieb wird zu einem neuen Spiel, und vielleicht werden ein paar neue Spieler mitmischen, während andere nicht mehr dabei sein werden oder neue Rollen übernehmen. Bisher hatte es kaum Platz für Innovationen und neue Ideen, das ging nicht in diesem engen Korsett von GDS-Verträgen. Daraus haben wir uns nun befreit, und jetzt geht es darum, neue Distributionslösungen für uns als Swiss und den Trade zu finden. Dabei spielt auch der Faktor Zeit eine Rolle.

Wie meinen Sie das?

Man sollte nicht zu viel Zeit mit Streitigkeiten verlieren, sonst wird die Zeit für eine Lösungsfindung kürzer. Mit Hotelplan beispielsweise waren die Gespräche schon weit fortgeschritten, nun pausieren sie. Wir haben begrenzte Ressourcen und können nicht gleichzeitig mit allen Lösungen erarbeiten. Das kann dazu führen, dass Unentschlossene erstmal hintenanstehen müssen. Doch es ist bereits viel Bewegung in den Markt gekommen. Gewisse Anliegen oder Vorhaben mit Partnern, bei denen sich zuvor während Monaten nichts getan hatte, können nun plötzlich innert 24 Stunden realisiert werden. 

Sie sprechen von individuellen Lösungen. Ist das vielkritisierte Agenten-portal LHGroup-Agent.com also gar nicht für grosse Partner gedacht,
oder werden Sie es noch verbessern?

Ich würde es mehr als Übergangslösung betrachten, deshalb wird es in der Funktionalität wohl nicht mehr gross geändert werden. Auf keinen Fall soll es eine oder die alleinige Alternative zu den GDS sein. Es wird wohl eher von kleinen und mittleren Reisebüros eingesetzt werden. 

Und wie könnte so eine individuelle Lösung aussehen? Sprechen wir hier von Direktanbindungen?

Da gibt es viele Möglichkeiten. Ja, man kann sich direkt bei der Swiss anschlies-sen. Oder man wählt einen Aggregator, der dann vielleicht nicht nur bei der Swiss, sondern bei der ganzen LH Group oder auch noch anderen Airlines angeschlossen ist. Oder die GDS reagieren und bieten Alternativen zu deutlich reduzierten Kosten an. Es hängt immer davon ab, welcher Vertriebspartner welches Portfolio hat und was dessen IT-Systeme heute schon leisten können.

Und wenn einer IT-mässig weniger gut aufgestellt ist? Bisher war er dank den GDS trotzdem konkurrenzfähig.

Das ist es ja genau! Diese können weiterhin auf die komfortable Lösung mit den GDS und ihrem Mehrwert setzen, quasi das sorgenfreie Paket. Aber dieser Service ist nicht mehr gratis, respektive wird dem Endkunden belastet. Die Reisebüros haben heute ja schon unterschiedliche Service Fees, in die sie Gebühren hineinrechnen, einige transparent, andere nicht. Je mehr Zusatzleistungen der Kunde erhält, desto eher akzeptiert er einen Pauschalbetrag. Und wenn wirklich nur ein Flug Zürich–London gebucht werden soll, kann unser neues Agentenportal zum Einsatz kommen.

Mehr als die CHF 16 stösst der Branche sauer auf, dass die Swiss den Vertrieb erst kurzfristig informierte und nicht zuvor ins Boot holte. Es gebe kein partnerschaftliches Verhältnis mehr.

Es liefen Vertragsverhandlungen mit den GDS mit offenem Ausgang. Da können und dürfen wir doch nicht einzelne Partner vorgängig informieren. Aber aus heiterem Himmel kam die Neuigkeit sicher nicht. Wo immer in den letzten Monaten ein Austausch stattfand, haben wir kein Geheimnis daraus gemacht, wo die Reise hingeht und dass Full-Content-Zusagen und Preisparität nicht mehr zeitgemäss sind.

Trotzdem: Sie bieten einmaligen Kunden nun bessere Konditionen als langjährigen Partnern.

Mit diesem Vorwurf tue ich mich schwer. Erstens bekommt das Reisebüro immer noch dieselben Tarife wie der Direktkunde, niemand zwingt es, in den GDS zu buchen. Zweitens haben wir noch andere partnerschaftliche Agreements mit der Branche, die der Einzelkunde nicht erhält. Die Reisebüros und wir brauchen uns weiterhin gegenseitig, aber wir können uns dem Fortschritt nicht verwehren. Irgendwann musste das aktuelle System zu einem Ende kommen. Über Jahre hinweg haben sehr viele sehr gut daran verdient – nur nicht die Airlines.

Noch ein Wort zu den neuen Europatarifen. Ist der Start am 23. Juni geglückt?

Ja, in den eigenen Kanälen sind wir gut gestartet. Bei den Fremdkanälen entspricht der aktuelle Stand unseren Erwartungen. Dass es noch nicht überall einwandfrei läuft, ist klar. Aber wir sehen tägliche Fortschritte.

Mit mehr Vorlaufzeit wären die Fremdkanäle vielleicht schon bereit gewesen. Kann es im Interesse der Swiss liegen, dass sie es nun nicht sind?

Überhaupt nicht, da steckt kein strategisches Kalkül dahinter! Wir hätten dies früher bekanntgeben wollen, konnten es wegen der hohen Komplexität aber nicht. Aber die Kritik nehmen wir ernst, und wir ziehen daraus unsere Lehren für ein nächstes Mal.

Stehen denn weitere Neuigkeiten an? Eine neue Langstrecken-Preisstruktur?

Irgendwann könnte das zum Thema werden, schliesslich verfolgen wir überall den Ansatz, den individuellen Kundenbedürfnissen nachzukommen. Aber wir haben nun sehr viele Projekte angestossen, die nächsten zwölf Monate stehen im Zeichen der Konsolidierung. Grundsätzlich werden wir Produktethemen künftig viel schneller umsetzen, jetzt wo die Basis geschaffen ist. Wir werden mehr mit Zusatzleistungen oder einzelnen Angeboten wie z.B. unserer Roaming-SIM-Karte spielen, um herauszufinden, was beim Kunden gut ankommt.

Vielleicht analog zu Lufthansa Holidays oder Etihad Holidays ein eigenes
Ferienprodukt? «Swiss Holidays»?

Im Moment haben wir keine Ressourcen für weitere grosse Projekte. Aber wir beobachten den Markt und was innerhalb unserer Gruppe geschieht. Das ist der Vorteil des Konzerns – die Airlines können voneinander lernen und entsprechend schnell in der Umsetzung sein.

Stefan Jäggi