«Ein Missbrauch durch Briefkastenfirmen ohne Bezug zur Schweiz darf nicht sein» (Ausgabe 2015-43)

Der Garantiefonds der Schweizer Reisebranche wird nach dem WTA-X-Fall einige Grundsätze in Frage stellen, sagt Stiftungsratspräsident André Dosé.

Herr Dosé, der Insolvenzfall WTA-X Travel wird den Schweizer Garantiefonds Millionen kosten. Wie gross ist der Schaden genau?

Wir haben bislang nur grobe Schätzungen. Es handelt sich bisher um ungefähr 5500 Dossiers. Das heisst, der Schaden, der auf den Schweizer Garantiefonds zukommt, wird irgendwo zwischen CHF 4 und 6 Mio. liegen. Es sind noch nicht alle Fälle entschieden, v.a. was Abreisen nach dem 30. November angeht. Vom Schaden abziehen kann man die Garantiesumme von WTA-X, die ungefähr im Rahmen der öffentlich kolportierten CHF 800000 liegt. 

Wenn sich dies bestätigt, was bedeutet das für den Garantiefonds?

Das würde bedeuten, dass es sich um den grössten Einzelschaden in unserer 20-jährigen Geschichte handelt. Die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, sind jedoch ausreichend. Der Garantiefonds kommt deswegen nicht in Schwierigkeiten. Wenn sich Fälle häufen, ist es wichtig, dass wir nicht nur einzelne Schäden abdecken können, sondern alle. Wir sind eine Versicherung und haben uns abgesichert durch eine Rückversicherung.

Wird diese nun greifen? 

Das kann ich noch nicht sagen. Bei der Rückversicherung geht es um den kumulierten Schaden pro Jahr. Wenn dieser CHF 6 Mio. übersteigt, sind die über der Summe liegenden Schäden abgesichert.

Muss der Garantiefonds dann ab 2016 höhere Prämien zahlen? 

Wir haben einen laufenden Vertrag, der auch nächstes Jahr noch gültig ist. Darin sind auch die Prämien geregelt.

Wie kontrolliert man die Mitglieder? 

Die Firma muss detaillierte Angaben liefern, bevor der Garantiefonds den Teilnehmervertrag unterzeichnet. Jeder gibt zudem eine jährliche Aufstellung ab. Ausserdem kontrollieren wir regelmässig Erfolgsrechnungen und Bilanzen. Die Zahlen der Jahresabschlüsse stehen uns aber oft erst sechs Monate nach Jahresende zur Verfügung. In dieser Zeit sind wir teilweise etwas im Blindflug. Das ist eines der Problemfelder, mit denen wir uns beschäftigen. Können wir Teilnehmer verpflichten, uns schneller Einblick zu geben? Das ist nicht so einfach. Ich möchte diesen Prozess allerdings im Interesse aller deutlich verbessern.

Kann der Garantiefonds alle Mitglieder (derzeit rund 1500) kontrollieren?

Das macht nicht die Geschäftsstelle allein, sondern ist an eine Treuhandgesellschaft ausgelagert. Mit dieser schauen wir kritische Fälle an und leiten Massnahmen ein. Wir sind sehr effizient aufgestellt, das erwarten unsere Mitglieder von uns. Wenn dann zwei grosse Fälle gleichzeitig eintreten, kommt die Geschäftsstelle naturgemäss an ihre Leistungsgrenze. Unser Modell ist, dass wir den Normalbetrieb abdecken und uns im Notfall temporär personell verstärken.

Wer trägt die Verantwortung, wenn etwas nicht läuft, wie es soll?

Die komplette operationelle Abwicklung des täglichen Geschäfts obliegt dem Geschäftsführer. Die Stiftungsräte sind wie Verwaltungsräte zu betrachten. In Situationen grosser Belastung, wie dies momentan der Fall ist, tagt der Stiftungsrat häufiger und arbeitet sehr eng mit der Geschäftsstelle zusammen. Zudem wird der Präsident vom Geschäftsführer täglich informiert. 

Wo lag im aktuellen Fall das Problem?

WTA-X war seit sechs Jahren im Garantiefonds. Die Geschäftsstelle hat regelmässig kontrolliert und auf die kritischen Anzeichen reagiert. So hat man die Garantiesumme verdoppelt und vertiefte Einsicht verlangt. Dann hat sich alles viel schneller ereignet, als man es hätte voraussehen können. Mit den Kennzahlen, die uns zur Verfügung stehen, ist es schwierig, die Lage umfassend zu beurteilen. Man kann nicht, wenn ein Parameter anfängt, sich zu verschlechtern, sofort einen Ausschluss machen. Solche Fälle gibt es immer wieder, viele erholen sich dann aber wieder. Wir haben durch das Pauschalreisegesetz primär den Auftrag, Teilnehmer zu versichern, und nicht, sie schnellstmöglich auszuschliessen. 

Im Fall WTA-X wurde Kritik laut, man müsse für eine Firma den Kopf hinhalten, die einen Sitz in der Schweiz hat, aber v.a. in Deutschland geschäftet. 

Derzeit reicht ein Firmensitz in der Schweiz aus, damit man in den Zuständigkeitsbereich des Garantiefonds fällt. Das müssen wir jetzt hinterfragen. Braucht es einen gewissen Produktionsanteil oder eine ausschliessliche Produktion in der Schweiz, um Teilnehmer zu werden? Das ist nicht einfach, viele Anbieter verkaufen im Ausland. Was sicherlich nicht passieren darf, ist ein Missbrauch von Firmen, die aus steuerlichen Gründen einen Briefkasten hier aufstellen, aber gar keinen Bezug zur Schweiz haben. Da fehlt es dann auch an Transparenz gegenüber den Kunden. 

Arbeiten Sie schon an Verbesserungen?

Im November werden wir uns im Stiftungsrat dezidiert mit den angesprochenen Themen beschäftigen. Wenn Sie aber neue Regeln machen, müssen Sie auch in der Lage sein, diese zu kontrollieren. Im immer intransparenter werdenden Internetzeitalter stellt sich die Frage, wie wir Dinge besser nachverfolgen können. Ich möchte hier klar festhalten, dass der Garantiefonds gut funktioniert. Wir hatten 57 Fälle in 20 Jahren und konnten diese immer so lösen, dass die Kunden entweder reisen konnten oder entschädigt wurden.

 

Müssen die Mitglieder im nächsten Jahr mit höheren Beiträgen rechnen?

Der Stiftungsrat wird das Jahr 2015 sorgfältig analysieren und dann die Entscheidung bez. der Beiträge treffen. Es geht hier nicht allein um die Schadenfälle, sondern auch um deutlich tiefere Zinssätze der Banken sowie die generell schwierige Situation auf den Aktien- und Anlagemärkten.

SG