«Die Digitalisierung ist gut vorangekommen» (Ausgabe 2015-50)

Andreas Heimann, Vizepräsident Deutscher Reise Verband, gewährt einen Blick über die Grenze.

Herr Heimann, man hört derzeit Erfreuliches von den stationären Reisebüros in Deutschland. Anzahl und Umsatz sind 2015 gestiegen. 

Nun ja, es sind moderate Wachstumsraten. Im Vergleich zum Vorjahr haben die rund 9900 Büros – inklusive Business Travel – 3% mehr Umsatz erzielt als 2014, rund EUR 24 Mia. Dieses Jahr sind 65 neue Büros dazugekommen. Positiv ist aber v.a. die Kontinuität des Ganzen. Bereits letztes Jahr hatten wir ein Plus von 100 Büros und 1,6% mehr Umsatz. Und die hinzugekommenen Büros sind im Wesentlichen wirklich Neugründungen, die für dieses Geschäftsmodell offensichtlich weiterhin eine stabile Zukunft sehen. Mit den Zahlen von 1998, als es noch 15700 Vertriebsstellen in Deutschland gab, ist das nicht mehr zu vergleichen, obwohl wir immer noch eine hohe Dichte an Reisebüros pro Einwohner haben. Die Umsatzrenditen sind mit 0,5 bis 1% zudem weiter tief. 

Beruht das Wachstum auch auf den Schweizern, die seit dem Eurocrash vermehrt in Deutschland buchen? 

(Lacht) Ich kann nicht bestreiten, dass die Grenzbüros vom schwachen Euro profitiert haben. Aber Zuwachsraten gab es hier schon in den Jahren zuvor, z.B. weil sich die Leute die Dossier-Gebühr sparen wollten. Aber das sind wechselseitige Phänomene. Wenn die Holländer oder Belgier bessere Angebote haben als wir, verlieren wir deutsche Kunden dorthin. Und, mit Verlaub, der deutsche Markt ist zu gross, als dass wir uns auf ein paar Schweizer Kunden verlassen könnten. 

Was hat dann den aktuellen Positivtrend ausgelöst?

Erstens hat der Hype, Reisen auf billigen Online-Portalen zu buchen, wieder abgenommen. Das sieht man auch daran, dass die OTAs in Deutschland zum ersten Mal nicht mehr überproportional zum stationären Vertrieb gewachsen sind. Auch sie haben beim Umsatz 3% zugelegt. Viele Kunden haben festgestellt, dass die Intransparenz im Netz enorm ist und ihr Schnäppchen am Ende gar keins war. Bei beratungsintensiven oder teuren Produkten wie Fernreisen oder Kreuzfahrten legen die Menschen deshalb wieder mehr Wert auf die Fachkompetenz des Reisebüros. Die Deutschen unternehmen nur 1,3 Urlaubsreisen pro Jahr, da wollen sie sicher sein, dass alles stimmt. Zudem ist die Digitalisierung in den Reisebüros extrem gut vorangekommen.     

Wie gut sind die deutschen Reisebüros IT-technisch aufgestellt?

Ich behaupte, wir sind sehr konkurrenzfähig. Die Datenqualität über Destinationen und Angebote ist sehr gut, aber auch die Verknüpfung von on- und offline, etwa durch die Betreuung der Kunden in der Filiale und zu Hause. Wir können den Kunden live am Bildschirm beraten, ihm Angebote auf der Website einspielen, die er gleich buchen kann. Oder wir schicken ihm, wenn er im Büro nicht gebucht hat, einen Link hinterher, wo er am Wochenende, wenn er ohnehin auf den OTAs nochmals nach günstigeren Angeboten schaut, einfach klicken und alles Besprochene gleich buchen kann. Auch das Multi-Channel-Marketing und die Kundenpflege via CRM spielen eine grosse Rolle. Der DRV hat hier eine wichtige beratende Rolle und bietet Workshops und andere Weiterbildungsgefässe zu diesen Themen an. 

Das klingt alles positiv. Welche Sorgen treiben die deutsche Branche um? Man hört u. a. von «Rabattschlachten», bei denen sich Reisebüros mit Rückvergütungen Konkurrenz machen. 

Sorgen haben wir sicher ebenso viele wie Sie in der Schweiz. Die mit den Rückvergütungen ist da nur eine Randerscheinung. Da machen uns v.a. Banken und Kreditkartenanbieter das Leben schwer, die Kunden anlocken wollen, indem sie 5% Rückvergütung auf Reisen anbieten, die sie über einen Fulfillment-Partner an den Markt bringen. Dagegen können wir nichts machen, da es nicht illegal ist. 

Was sind dann die grossen Themen?

Ein Riesenthema ist die Revision der EU-Pauschalreiserichtlinie. Hier haben wir vorläufig erreicht, dass Vermittler weiter einzelne Bausteine verkaufen dürfen, ohne gleich als Veranstalter zu gelten. Ebenfalls konnten wir die Versicherungsvermittler-Richtlinie positiv beeinflussen, so dass Reisebüros weiterhin Versicherungen verkaufen können, ohne vollkommen unrealistische Auflagen erfüllen zu müssen. Als Damoklesschwert über uns schwebt noch die Besteuerung der Unterkunftsleistungen, die von den Veranstaltern verlangt werden soll und den ganzen Einkauf ins Ausland abwandern lassen würde. Ein ebenfalls noch laufendes Verfahren ist das Sonntagsarbeitsverbot für Callcenter, das ebenfalls nicht sinnvoll für den Standort wäre. 

Ähnlich wie bei uns werden Ihre Sorgen sein, was die internationalen politischen Entwicklungen angeht. 

Das bewegt uns sehr. Im November hatten wir sehr verhaltene Reisebuchungen. Wir hoffen, dass das nicht in den buchungsstärksten Monat, den Januar, hineinläuft. Eine Umfrage der GfK (Gesellschaft für Konsumforschung) ergab, dass 30% der Familien ihr Reiseverhalten aufgrund der politischen Unsicherheiten ändern werden. Wenn Länder wie Ägypten ausfallen und wir das nicht mehr mit anderen Volumenmärkten wie der Türkei oder Tunesien ausgleichen können, wird es schwierig, unsere Umsätze zu halten. Wir sind auf den Massenmarkt angewiesen, obwohl die Wachstumsraten dieses Jahr aus dem hochwertigen Segment kamen.