Die Spezialistenmarken der grossen TOs verlieren an Kredit (Ausgabe 2011-45)

Fachwissen und Verfügbarkeit sind für Retailer wichtige Kriterien bei Spezialisten.

Wann ist ein Spezialist eigentlich noch ein Spezialist? Die Reorganisation von Hotelplan Suisse und die damit verbundene «Industrialisierung» der Abläufe in allen Destinationen und Marken liessen diese alte Frage wieder aufkommen. Bei den Travelhouse-Submarken verschwinden die branchenweit bekannten Product Directors, im Einkauf werden auch in Spezialisten-Destinationen immer mehr Aufträge an Schnittstellen und Agenturen ausgelagert. Werden die Marken auf diese Weise den Ansprüchen der Retailer noch gerecht?

Auch die anderen grossen Veranstalter wie Kuoni und TUI Suisse versuchen mit ihrem Markenportfolio den Spagat zwischen Generalist und Spezialist. Wie dies gelingt, darüber gibt es in der Branche unterschiedliche Meinungen. René Blum, Geschäftsführer von Parade Reisen Zürich, erklärt, dass bei den Spezialisten-marken der grossen drei Veranstalter die Qualität nicht immer genüge: «Im direkten Kundenkontakt an der Front müssen wir uns auf schnelle und vertrauenswürdige TO-Partner stützen können. Leider sind gewisse Verant-wortliche bei den grossen TOs schlecht erreichbar bzw. das Serviceniveau ist nicht genügend. Wenn wir mit einem ‹Wir klären das mal ab› abgespiesen werden, buchen wir lieber bei anderen Spezialisten.» 

Verfügbarkeit, gepaart mit Fachwissen, führt zu Geschwindigkeit – ein oft genanntes Kriterium. «Wir wollen schnell sein», sagt Daniel Roduner (Port-air Reisen Ennetbürgen), «und wenn wir bei einem TO nicht durchkommen, weil er zu wenig Personal hat, buchen wir halt auf eigene Faust, z.B. auf Exclusively Hotels.» 

Nicht alle reagieren so. Oft spielen auch Kommissionsüberlegungen eine Rolle, was für die Retailer zu unbefriedigenden Lösungen führen kann.  «Bis anhin konzent-rieren wir uns auf Kuoni und Hotelplan. Manchmal würden wir gerne mehr kleinere Spezialisten verkaufen, können dies aber aus Gründen der Kommissionierung nicht tun», sagt  Werner Blum (Move Reisen Zürich). 

Dasselbe Bild bei Heinz Binggeli (Binggeli Reisen Olten): «Wenn ich ganz frei wäre, ohne den Druck der Mindestumsätze, würde ich öfters bei den unabhängigen Spezialisten buchen.» Zwar hätten die Spezialistenmarken der grossen TOs unbestritten ihre Qualitäten; andere Spezialisten wie Let’s go, Tourasia oder Kira dünken Binggeli aber noch eine Spur kompetenter. «Das beginnt bei der ersten Auskunft und geht bis zu den hervorragenden Reise-unterlagen.» Gerade bei Travelhouse spüre man hingegen die vielen Veränderungen und den Know-how-Verlust der letzten Jahre.

Auf die Reorganisation bei Hotelplan Suisse und die Auswirkungen auf die Spezialistenmarken von Travelhouse angesprochen, sind viele Retailer skeptisch. «Durch das anhaltende Köpferollen ist Hotelplan als Partner ziemlich unberechenbar geworden», sagt Christian Sigg (Reisebüro Rolf Meier Reisen Neuhausen). Er folgt der TTS-Philosophie und arbeitet mit allen drei Grossen zusammen; Travelhouse-Produkte sind allerdings ausgenommen, da sie in Konkurrenz zu den TTS-Produkten stehen.

Etwas moderater sieht es Natalie Dové (Nussbaumer Reisen Burgdorf): «Mit den Abteilungsleitern, die nun gehen mussten, hatte ich selten zu tun. Ich kann mir aber vorstellen, dass die Umstellungen auch Auswirkungen aufs Team haben werden. Obwohl sich die Mitarbeiter viel Mühe geben, merkt man die Turbulenzen der letzten Jahre.»

Ansonsten ist Dové mit den Spezialistenmarken der grossen Veranstalter aber grösstenteils zufrieden. «Der Spagat zwischen Generalist und Spezialist gelingt den grossen drei gut, vor allem in den ‹üblichen› Destinationen wie etwa Thailand oder Malaysia. Bei exotischeren Ländern kann es vorkommen, dass wir auf kleine, hoch spezialisierte TOs wie Tourasia oder Take It ausweichen.»

Lobende Worte findet auch Reto Christoffel (Destour Sargans). «Mein Büro ist TwD-Mitglied, deshalb arbeite ich wenn immer möglich mit den TwD-Spezialisten zusammen. In zweiter Pri-orität setze ich dann auf Kuoni, gefolgt von TUI Suisse und Hotelplan Suisse. Insbesondere mit den Kuoni-Spezialisten wie Kontiki und Intens Travel bin ich sehr zufrieden», sagt er. Die Auswahl erfolgt bei Christoffel oft nach subjektiven Kriterien: «Wenn ich jemanden persönlich kenne oder auch schon eingeladen wurde, spielt das eine Rolle.»

Harte Worte von der Konkurrenz

Die Konkurrenz beobachtet die Entwicklung bei den Spezialistenmarken der grossen Veranstalter genau und findet harte Worte, wie etwa STA Travel. «Bei den Spezialisten der Grossen kann man nach den Reorganisationen und dem Köpferollen nicht mehr von Spezialisten sprechen», sagt Rahel Seiler, Product Manager Air & Land bei STA, «das Know-how, das man von einem Spezialisten erwarten würde, ist durch die zahlreichen Abgänge verloren gegangen. Es gibt fast nirgendwo mehr langjährige, erfahrene Mitarbeiter.» STA Travel kann den Bedarf an Spezialistenprodukten grösstenteils mit eigenen Angeboten abdecken; als Ergänzung werden Spezialisten herbeigezogen. 

Stefan Jäggi/Jean-Claude Raemy