«Grösse folgt der Kapazität» (Ausgabe 2007-06)

Peter Kuhn über das Europäische Cruise-Geschäft

Am vergangenen Dienstag trafen sich in Brüssel Vertreter der europäischen Kreuzfahrt-Industrie. Der Tagungsort war mit Bedacht gewählt worden, denn das Meeting war auch klar als Lobbying für die Branche im Herzen der EU angelegt. Und die Branche hatte allen Grund, stolz zu sein: In einer von drei interessierten Organisationen in Auftrag gegebenen, erstmaligen Präsentation von Zahlen zur europäischen Cruise-Szene wimmelt es nur so von Erfolgsmeldungen. Es ist in der Tat staunenswert, mit welcher Rasanz sich dieser Tourismus-Zweig in den letzten zehn Jahren auf dem alten Kontinent entwickelt hat. 2005 wurden total über 19 Milliarden Euro direkt und indirekt umgesetzt sowie Kommissionszahlungen von 480 Millionen Euro an Reisebüros vorgenommen.

Das entspricht laut den Verfassern der Studie in etwa dem Umsatz der Textil-Industrie in Europa oder jenem für Transportleistungen in Grossbritannien oder Deutschland. Und währenddem sich die Textilbranche angesichts der fernöstlichen Konkurrenz eher schwertut, ist mit Meerfahrten Kohle zu machen. Eindrücklich auch, welch technologische Fortschritte sich in Zeiten der Brutto-Tonnen-Gigantomanie realisieren lassen. Und «merkwürdig», dass der Schiffsbau fest in europäischen Händen ist und hier wiederum in jenen von drei Werft-Unternehmen, die zusammen 33 der 36 bestellten neuen Schiffe bauen.

Dem weiteren Boom scheinen keine Grenzen gesetzt zu sein. Im Gegenteil. Stand heute liegen Aufträge für 36 Schiffe nach dem Motto «Grösse machts aus» mit einer Kapazität von rund 93000 Betten vor, von denen etwa 40% in Europa vermarktet werden sollen. Weitere Ausbau-Pläne sind in der Pipeline, sodass es in der Zeit bis 2010 nicht nur bei einer Kapazitätsausweitung von 28% gegenüber heute bleiben dürfte.

Auf Seiten der Vermarkter scheint man sich über den Absatz dieser zusätzlichen Kapazitäten keine allzu grossen Sorgen zu machen. Die führenden Gesellschaften sind überzeugt, dass die Nachfrage auch nach 2010 nicht voll werde befriedigt werden können. Führt man die bisherigen, meist steilen Kurven linear weiter, dürfte dies wohl zutreffen. Nur: Ist nicht irgendwann mal auch ein Abflachen der Zunahmen zu erwarten, wie einer der Referenten verschämt und gegen den Schluss der Tagung fragte? Das vermochte die Überzeugung der vom Bericht erfreuten Mehrheit aber nicht zu erschüttern. Das Ziel ist klar: langfristig die USA als Nummer eins ablösen.