Hier entsteht der grösste Cruiseliner der Welt (Ausgabe 2016-09)

Auf der STX-Werft im französischen St. Nazaire steht derzeit die gigantische Harmony of the Seas von Royal Caribbean Int. im Endausbau. Ein Blick hinter die Kulissen vor Ort.

Das Gewusel ist gigantisch: Arbeiter schrauben, hämmern, schweissen, malen und hantieren an allen Ecken und Enden. Andere legen Material zurecht, klettern auf den Gerüsten rum, diskutieren mit Vorgesetzten oder hasten mit Plänen vorüber. Aus Schächten und Verschalungen quillt wie aus offenen Wunden ein Gewirr von Kabeln, Leitungen und Röhren. Bereits gefertigte Wände und Bodenbeläge sind zum Schutz abgedeckt, überall stapeln sich Bauelemente aller Art.

«Derzeit sind rund 2500 Arbeitende an Bord; diese Zahl wird in den nächsten Wochen auf über 3500 steigen», sagt Petteri Keso, Project Director der Oasis-Klasse bei Royal Caribbean Int., der uns über den gewaltigen Bau führt. Der finnische Schiffsbau-Architekt ist dafür verantwortlich, dass die neue Harmony of the Seas am 20. Mai voll funktionsfähig und bis ins Detail ausgerüstet zu ihrer Jungfernfahrt aufbrechen kann. Dazu ist er seit rund zwei Jahren mit einem Team von 20 Mann in St. Nazaire vor Ort, um jeden Bauschritt der STX-Werft zu prüfen und abzunehmen. 

Rund drei Jahre dauert es von der Vertragsunterzeichnung bis zur Ablieferung eines grossen Cruiseliners. Auftakt bildet die ganze Stahlarbeit, die in St. Nazaire derzeit für die vierte Einheit der Oasis-Klasse beobachtet werden kann. In riesigen Hallen werden über 40 Meter breite Stahlplatten und darauf Profile, Wände und Schächte verschweisst. 

Diese Sektionen werden zu Blocks kombiniert, die dann unter freiem Himmel in einem langen Baubecken mit gewaltigen Kränen zu einem Rumpf mit 18 Decks zusammengefügt werden. In dieses «Skelett» werden die vorgefertigten Kabinen eingefügt, schliesslich wird das Becken gewässert und das Schiff kommt in das Ausrüstungsdock – da, wo jetzt die Harmony of the Seas schwimmt.

«Für den gesamten Innenausbau arbeitet die Werft mit Hunderten von spezialisierten Sub-Unternehmen zusammen – die Koordination all dieser Zulieferer ist nach dem Stahlbau die zweite grosse Aufgabe der Werft», erklärt Keso. Kein Wunder, ist die Werft in St. Nazaire, heute mehrheitlich im Besitz des südkoreanischen STX-Konzerns, ein eminent wichtiger Arbeit-geber. Ein Neubau wie die Harmony generiert eine Wertschöpfung von rund einer Milliarde Euro.

Mit einer Bruttoraumzahl (BRZ) von 227000 wird die Harmony of the Seas das grösste je erbaute Passagierschiff. Die Oasis of the Seas (Inbetriebnahme 2009) war noch mit 222900 BRZ vermessen, die Allure of the Seas (Inbetriebnahme 2010) mit 225060 BRZ. «Der Hauptgrund liegt darin, dass die Kabinen minim länger sind, was mehr Raum mit sich bringt», informiert Petteri Keso. Die Aussenmasse sind deshalb etwas grösser als die bisherigen Einheiten mit einer Länge von 360 Metern und einer Breite von 66 Metern.    

«Sehr viel Wert wurde auf die Energieeffizienz gelegt – wir haben jeden Stein umgedreht», sagt Keso zu weiteren Unterschieden zu den bisherigen Oasis-Linern. So wurde die Form des Rumpfes angepasst und mit einer Bubble-Schicht versehen, was weniger Fuel-Verbrauch zur Folge hat. 

Oder die gesamte Innenbeleuchtung wurde auf LED umgestellt. «Dies alles führt zu rund 20% weniger Energieverbrauch pro Passagier», so Keso, der für die nächsten Wochen nur noch eins befürchtet: «Surprises». «Es gibt bei einem Bau dieser Grössenordnungen immer etwas, das nicht klappt – doch das ist einkalkuliert.»

Beat Eichenberger, St. Nazaire