Kann der Generalist gleichzeitig auch ein Spezialist sein? (Ausgabe 2006-35)

Peter Seiler, der Gründer des Spezialisten Caribtours, zur Frage des Jahres: Was unterscheidet die Generalisten von den Spezialisten?


Peter Seiler, momentan wird über Spezialist und Generalist diskutiert. Wie definieren Sie den Spezialisten?

Ein Spezialist stellt sich der Aufgabe, alles anzubieten, was es in seinem Gebiet gibt. Er benötigt ebenfalls die kompetenten Mitarbeitenden für eine umfassende Beratung. Der Spezialist darf nicht Produkte ab Stange anbieten, sondern muss für eine relativ kleine Anzahl Kunden alles bieten.



Was will der Kunde?

Der Spezialist muss herausfinden, was die Kunden, die nicht «Stangen-Produkte» buchen, wirklich suchen. Der Markt für die Spezialisten ist aber begrenzt: Nicht alle Leute lassen sich im Fachgeschäft beraten, sondern kaufen ohne Beratung beim Grossverteiler.

Die Leute, welche zu einem Spezialisten gehen, müssen auch bereit sein, mehr zu bezahlen. Der Prospekt eines Spezialisten muss spezieller sein, mit vielen Hinweisen und Tipps. Die Verkäufer müssen das Produkt kennen. Die Grossen machen einen riesigen Fehler, wenn sie mit ihrer Grösse gleichzeitig Generalist aber auch Spezialist sein wollen. Das geht gar nicht auf, weil ein Generalist eine andere Kostenstruktur hat. Der Generalist operiert mit eigenen Airlines. Der Spezialisten-Kunde will aber nicht immer an den Flugtagen der Charterflüge verreisen, sondern braucht Flexibilität.



Ein Grosser kann also nicht Spezialist sein, wie z.B. Kuoni mit den Destinations-Katalogen?

Rein technisch sind das Spezialisten-Angebote, wenn Kuoni sagt, auf den Kanaren werde alles angeboten, was überhaupt möglich sei. Da gibt es gar keine Diskussion. Jetzt kommt aber noch die andere Frage: Hat Kuoni die Spezialisten, die dieses Angebot auch richtig verkaufen? Der Spezialist definiert sich nicht nur über das Angebot. Es braucht Leute, die auch Fragen ausserhalb des Prospektes beantworten können. Geht das bei Kuoni aus wirtschaftlichen Gründen? Unsere Mitarbeitenden im Verkauf bei Caribtours waren ungefähr zehn Wochen (inklusive Ferien) nicht im Büro.



Kann ein Spezialist direkt verkaufen?

Das wäre das Ziel aller Träume. Bei Caribtours machte der Direktverkauf bis zu acht Prozent aus. Mehr war nicht möglich. Das Problem des Spezialisten ist, dass er nach oben begrenzt ist und nicht einen beliebig hohen Umsatz machen kann.



Wieso?

Weil er die Kosten im Griff haben muss. In dieser Hinsicht macht die Firma Knecht einen guten Job. Die zentralen Kosten sind dort sicher nicht so hoch. Bei uns war das anders. Ich konnte die Betriebskosten Jahr um Jahr senken, aber die zentralen Kosten sind dauernd gestiegen. Gewisse zentrale Funktionen wie Buchhaltung oder EDV sind nötig. Aber ein zentrales Marketing zum Beispiel hätte ich für Caribtours und Salinatours nie nötig gehabt. Vorbilder als Spezialisten waren für mich immer Urs Frey und Herbert Baumann.



Kann denn ein Spezialist mit wachsender Grösse die Kosten nicht besser umlegen?

Dann ist man nicht mehr Spezialist. Ein Spezialist zu sein, ist eine sensible Angelegenheit. Er kann nicht grenzenlos wachsen, weil der Konsum nicht grenzenlos wächst.



Darf dasselbe Produkt beim Spezialisten teurer sein?

Nein, aufgrund des Wettbewerbs ist das nicht möglich. Der Kunde akzeptiert das nicht. Hotelplan wird es nicht schaffen, ein Spezialist zu sein, solange er nur davon spricht und nichts ändert, nicht einmal den Prospekt. Anders bei Kuoni, wenn er 40 Kataloge für 40 Ziele unter dem starken Brand Kuoni herausgibt.



Was ist für den Kunden entscheidend: Bekanntheitsgrad der Marke, Umfang des Prospektes?

Der Kunde versucht heute oft zuerst einmal, im Internet zu buchen. Für die meisten ist das aber dann zu kompliziert, vor allem bei anspruchsvollen Reisen. Zweitens geht er zu seinem befreundeten Reisebüro und verlangt dort etwas Spezielles. Bei reinen Badeferien ist das weniger der Fall.



Braucht ein Spezialist anspruchsvolle Destinationen?

Ja, für mich ist das eines der wichtigsten Kriterien. Es kommt aber noch etwas anderes dazu: Die Leistungsträger – Hotels, Fluggesellschaften und so weiter – wollen weder einen Veranstalter noch einen Retailer. Sie wollen direkt zum Kunden gehen. Das ist eine Gefahr für die Spezialisten.



Hat ein Spezialist eine Chance gegen die Grossen, wenn diese sich mit ihren Brands beim Kunden als Spezialisten profilieren?

Wenn er innovativ ist und die Kosten im Griff hat, ist die Überlebenschance da. Ein kleiner Spezialist kann begrenzt erfolgreich sein und darf einfach nicht den Fehler machen, zu sehr zu wachsen. Ich glaube schon, dass die Grossen in bestimmten Gebieten als Spezialisten Erfolg haben können, aber es gibt Destinationen, in denen die Grossen nichts oder nur wenig machen.



Hat Travelhouse nicht langsam einen Brand-Salat?

Travelhouse hatte einmal acht Marken und wir beschlossen, keine weiteren mehr zu kreieren. Es war dann die Idee, aus Travelhouse auch eine Spezialistenmarke zu machen für beispielsweise Golf- oder Schiffsreisen. Ein paar Leute möchten, dass die einzelnen Marken verschwinden und nur noch unter dem Brand Travelhouse angeboten wird.



Welche Vorteile haben Kuoni oder Hotelplan gegenüber Travelhouse?

Erstens haben beide eine starke Dachmarke und zweitens einen eigenen starken Vertrieb. Beides hat Travelhouse nicht.



Chris Probst