LX 1953 verspätet – die Folgen (Ausgabe 2006-38)

29% der LX-Passagiere steigen in Kloten um und erhöhen so die Komplexität der Flug-Operation, die von der LX-Einsatzleitstelle geführt wird.

«Angenommen, LX 1953 verlässt Barcelona am Morgen statt um 9.40 Uhr 30 Minuten später, können sich für den weiteren LX- Betrieb folgende, gravierende Konsequenzen ergeben», hält der Chef der LX-Einsatz-Leitstelle, Jean-Marc Guillet, vor einer Gruppe von Interessierten fest:
«Die Anschlussflüge in Zürich nach Warschau (7 Pax), Birmingham (13), Mailand (27), Stuttgart (6) und Paris (9) erhalten je auch 30 Minuten Verspätung. Dies wiederum bedeutet, dass die Rückflüge dieser Maschinen nach Zürich meist auch wieder verspätet sind.»
«So werden wegen der neuen Umsteigepassagiere die abendlichen Flüge nach Sao Paulo (17 Pax aus Warschau), Hongkong (7 Pax ex Birmingham), Bangkok (12 Pax ex Milano), Johannesburg (8 Pax ex Stuttgart) und Tel Aviv (15 Pax ex Paris) auch mit einer Verspätung von je einer halben Stunde belastet.» Dies ist nur ein Auszug aus den entstehenden Flugplanabweichungen. «Wegen der Verspätung einer einzigen Maschine wurden 52 Flüge verspätet und sank die Pünktlichkeitsquote um 15% auf 85%. Dabei sind im Schnitt 82% unser Ziel.»

Andere Passagiere der ursprünglich verspäteten LX 1953 mussten laut Guillet wie folgt umgeleitet werden oder sich mit langen Wartezeiten abfinden:

•    18 Pax nach Budapest: 5 Stunden Wartezeit oder Flug via München
•    5 Pax nach Stockholm: Flug via München
•    5 Pax nach Moskau: 8 Stunden Wartezeit oder Flug via München
•    2 Pax nach Hamburg: 3 Stunden Wartezeit oder Flug via München
•    3 Pax nach Berlin: 3 Stunden Wartezeit
•    3 Pax nach Hannover: 5 Stunden Wartezeit oder Flug via München
•    3 Pax nach Istanbul: Flug via  München.

Solche Operationen zu einem glücklichen Ende zu bringen, ist nur eine der täglichen Arbeiten in der LX-Einsatz-Leitstelle. Diese, auch Operation Control Center (OCC) genannt, tritt vor allem dann in Aktion, wenn etwas schief zu laufen droht oder bereits so gelaufen ist und die Bewältigung ausserordentlicher Vorkommnisse ansteht. Dabei sollte der Kunde im Normalfall von solchen Eingriffen möglichst wenig bemerken. Von Kloten aus werden weltweit überwacht und im vorrangigen Interesse der Kunden gesteuert:

•    Flotten-Bewegungen
•    Optimierung des Produktes
•    Steuerung aller Operationen
•    Troubleshooting während 24 Stunden
•    Notfall-Koordination
•    Konstante Wetter-Beobachtung
•    Proaktive Massnahmen, um vorhersehbare Probleme zu lösen
•    Täglicher Rapport an die Geschäftsleitung

Neben proaktiven Handlungen ist der Rhythmus des OCC grossteils fremdbestimmt, es müssen eingetretene und unvorhersehbare Störungen behoben werden.
Ziel aller Bemühungen  in solchen Fällen ist laut Guillet «das schnellstmögliche Herstellen des Normalzustandes». In der Einsatzleitstelle arbeiten deshalb pro Schicht rund 20 Vertreter vielfältiger Bereiche in einem Grossraumbüro eng zusammen: Crew Dispatch & Control, Flight Dispatch, Passenger Care Center, Ground Services, Swiss Technics, Swiss World Cargo.
Deren Mitglieder  bringen die Interessen und Lösungsvorschläge ihres Bereichs ein und beraten mit den Kollegen der andern Bereiche, bevor die neutrale Einsatzleitung über zu treffende Massnahmen entscheidet. Die Einsatzleitstelle wird auch nach dem Auszug der Swiss aus dem Klotener Operations Center dort angesiedelt bleiben, «denn wir müssen am Puls des Geschehens und in der Nähe der Crews sein», wie Guillet bemerkt.
Unregelmässigkeiten im Flugbetrieb gehen primär auf die folgenden Faktoren zurück, wie Guillet aus Erfahrung berichtet:

•    Wetter (z.B. Enteisen im Winter)
•    Streiks (auch angesagte)
•    Technische Probleme
•    Sicherheitsbestimmungen (London nach dem 10. August)
•    Air Traffic Control Vorschriften
•    Flughafen Zürich (Nachtflugverbot, Anflugregime u.a.)
•    Verspätungen

In der Einsatz-Leitstelle wird im Dreischichtenbetrieb (nachts nur drei Personen) gearbeitet. Guillet: «Irregularitäten in Europa können wir kaum in der Luft, sondern nur am Boden korrigieren. Zum Beispiel durch eine andere Disposition der Maschinen, was aber sehr viele andere Parameter wie die Berücksichtigung von Crew-Ruhe-Zeiten etc. ins Spiel bringt. » Dieses Puzzle zu einem Ganzen, das heisst zur bestmöglichen Lösung, zu führen, ist nicht immer einfach und ein täglicher Challenge.

Guillet: «Bei uns verläuft kein Tag wie der andere, ich weiss am Morgen nie, was uns noch alles bevorsteht.» Swiss hat zum Beispiel in Kloten aus Kostengründen keine Cockpit-Besatzungen auf Pikett, kann diese aber innerhalb von zwei Stunden mobilisieren. Kabinen-Crews stehen dagegen auf Pikett. Total verfügt Swiss über zwei «Ersatz-Flugzeuge», die zu rund 65% der Zeit tatsächlich zur Verfügung stehen. Je heterogener die Flotte zusammengesetzt ist, desto schwerer wiegen Störungen, da deren Behebung wegen der Diversität exponentiell zunimmt. Das bedeutet laut Guillet zum Beispiel, dass Easy Jet kein ausgeklügeltes OCC betreibt wie Swiss, da dort nur ein Flugzeugtyp eingesetzt wird.

Auch wenn tendenziell immer mehr Informationen sofort abrufbar in den Systemen gespeichert sind, haben die Verantwortlichen viele Eckwerte ständig präsent. Das hilft, wenn es darum geht, die Verspätung eines Langstrecken-Flugs auch unter dem Aspekt Kosten zu beurteilen. «Da müssen zum Beispiel Zusatzkosten für Kerosin bei höherer Geschwindigkeit und tieferer Flughöhe gegen Übernachtungskosten für 280 Personen abgewogen werden.»
Und es muss recht schnell entschieden werden, wie Guillet abschliessend lächelnd und mit der Erfahrung von 27 Dienstjahren anmerkt.

Peter Kuhn